Exotisches von ganz nah

Dass Köche vermehrt bevorzugt mit Produkten aus der Umgebung arbeiten, ist nichts Neues. Doch einige beziehen sogar Zitrusfrüchte, Ingwer, Peperoncini und Tomatillos aus nächster Nähe.

  • Nenad Mlinarevic, Koch des Jahres vom Restaurant Focus im Park Hotel Vitznau, mit Salvador Garibay (rechts). Der Agronom, der ursprünglich aus Mexiko stammt, pflanzt am Vierwaldstättersee Früchte und Gemüse an, die man nicht in Weggis vermuten würde. (Bilder: Salvatore Vinci)
  • Die Zitrone Buddhas Hand ist ein Augenschmaus. (ZVG)
  • Diese Kakteen sind essbar. Wenn man weiss, wie zubereiten.
  • Nenad Mlinarevic ist total scharf auf diese Tomatillos.
  • Was nach einem Dschungel aussieht, bringt viel Abwechslung auf den Teller.
  • Grosse, schmackhafte Kumquats wachsen in Weggiser Gewächshäusern.

Auch wenn im Restaurant Focus plötzlich Ingwer, Lemongrass oder Chili auf dem Teller auftauchen, darf sich der Gast sicher sein, dass der Head Chef im Park Hotel Vitznau seiner Devise treu geblieben ist. Nur mit einheimischen Produkten arbeitet der Koch des Jahres 2016 Nenad Mlinarevic dort. Doch seit rund einem Jahr hat der mit zwei Michelin-Sternen sowie 18 GaultMillau-Punkten ausgezeichnete Koch durch Foodscout Dominik Flammer einen neuen Produzenten gefunden. Salvador Garibay verkauft ihm neben herkömmlichem Gemüse Chili, schwarzen Mais, Kumquats und Amarant aus dem benachbarten Dorf.

«Ich begann hier mit dem Versuch, Chili anzupflanzen, weil meinen Landsleuten bestimmte Sorten fehlten», erzählt der in Mexiko geborene Agronom. Er betreibt seine kleine Gärtnerei an der Hauptstrasse in Weggis als Hobby. Nach aufwendiger Pröbelei wachsen bei ihm in unbeheizten Gewächshäusern nun sogar Kakteen und Edamame-Bohnen nach Demeter-Richtlinien. Nenad Mlinarevic zeigt sich beim Besuch vor Ort begeistert; will wissen, wie dieses Kraut heisst, wie weit der Mais schon gediehen ist und was denn da so fein riecht. «Im Herbst haben wir besprochen, was Salvador Garibay für das Restaurant Focus anpflanzen wird.» Und vor drei Monaten hat er ihm gemeinsam mit seiner Küchen-Crew dabei geholfen: «Ich bin der Meinung, dass Lebensmittel sorgfältiger behandelt werden, wenn man selbst erlebt hat, wie aufwendig ihre Herstellung ist», so der Koch des Jahres.

Chili statt Pfeffer

Die nicht ganz alltäglichen Produkte aus Weggis sind eine grosse Bereicherung für Nenad Mlinarevic, der sie in seinen Gerichten dezent einsetzt: «Ganz toll finde ich beispielsweise die Chili. Da ich keinen Pfeffer verwende, der wächst nun halt einfach nicht in der Gegend, geben sie meinen Gerichten eine feine Schärfe.» Fünf verschiedene Sorten bezieht Nenad Mlinarevic aus dem Nachbardorf. Er legt sie ein in Essig und kombiniert sie zu Fisch. Oder verwendet sie als Sweet-Chilisauce für Geflügel sowie als Sriracha – eine tabascoähnliche Paste – fürs Rindstatar. Die milderen Sorten schmort er als Gemüse im Ofen.

Dieser Tage werden die Tomatillos reif. Kleine, knackige, süss-saure Früchte aus der Familie der Physalis. Der Spitzenkoch will unbedingt zehn Kilo davon: «Sie eignen sich super, um klein geschnitten mit Koriander und Frühlingslauch einer Salatsauce beigegeben zu werden.» Ganz besonders freut sich Nenad Mlinarevic auf den schwarzen Mais. Er will Tacos nach alter, traditioneller Art herstellen. Salvador Garibay hilft ihm dabei. Um seinen Gästen im Herbst einen rein mexikanischen Gang anbieten zu können, füllt er die Tacos mit einem Forellen-Ceviche.

«Ich stelle meine Karte heute nach den Produkten zusammen, die meine Produzenten mir anbieten. Eine Herausforderung, die Spass macht. Einfach zum Hörer greifen und bestellen, das war früher einmal.» Da Salvador Garibay manchmal mit Gemüsekisten voller Exoten vorbeifährt, machen die «Focus»-Köche eben Glace aus Kakteen, Kompott aus Kumquats und Sauerklee-Sorbet. Die regionale Küche im «Focus» wird sich auch künftig entwickeln. Denn Salvador Garibay wird bald Amarant, Edamame, Kichererbsen und Quinoa liefern. «Wir werden immer besser, auch dank unserer Produzenten», sagt Nenad Mlinarevic.

Österreich – Paradies der Zitrusfrüchte

Heinz Reitbauer veräppelt seine Gäste nicht, wenn er Zuckererbsen mit Knollen, Sauerklee, Meyer-Zitrone und Leindotter-Öl als rein regionales Gericht verkauft. Er ist der Meinung, dass alle Produkte dort bleiben sollen, woher sie kommen und kocht deshalb regional. Regionale Zitronen?! Tatsächlich. Heinz Reitbauer hat das Glück, für sein Restaurant Steirereck im Wiener Stadtpark Zitrusfrüchte aus der unmittelbaren Umgebung beziehen zu können. Und was für welche! Teils bis zu 150 Jahre alt sind die Zitrusbäume aus den kaiserlichen Orangerien im nahen Schloss Schönbrunn. Die bedeutendste Zitrussammlung Europas beheimatet hunderte von Zitrusarten, alle mit eigenem Duft und Aroma. «Wir sind vor rund acht Jahren zufällig auf diesen Schatz gestossen. Er liegt nicht einmal zwei Kilometer Luftlinie entfernt», sagt der Spitzenkoch.

Differenzierung dank Zitronen

Rund 20 der exotischen Zitrusfrüchte aus dem nahen Schlosspark verwendet der Koch heute regelmässig. Stark ausgebaut hat Hofgärtner Heimo Kärner für ihn etwa die Zitrone Buddhas Hand, die Diamante, die Bergamotte und die Meyer-Zitrone. «Da wir versuchen, eine säureprägnante Küche zu bieten, sind wir sehr dankbar für die verschiedenen Säuren, die uns die Zitrusfrüchte liefern», sagt Heinz Reitbauer. «Als Würzmittel übers Jahr helfen sie uns, eine Differenzierung im Geschmack zu erreichen und uns damit einzigartig zu machen.»

Konservieren und Haltbarmachen sind deshalb wichtige Themen im «Steirereck». Das ist im Restaurant auf den ersten Blick erkennbar: Den Eingangsbereich zieren unzählige Einmachgläser mit den unterschiedlichsten Früchten und Gemüse. Doch der wahre Schatz liegt in den unteren Geschossen des Hauses. Dort lagern getrocknete, vakuumierte, eingelegte, gefrorene und fermentierte Gemüse und Früchte, wie eben die Zitronen.

Mit allen Techniken gewaschen

Die hocharomatische, leicht an Mandarine erinnernde Meyer-Zitrone findet auf eindrückliche fünf Arten Verwendung: Sie wird pur in Becher abgefüllt, in kleinen Portionen tiefgefroren, um später in Jus und Fonds Gerichten das gewisse Etwas zu verpassen. Auch die hauchdünn geschälte Schale geben die Köche im «Steirereck», nachdem sie getoastet wurde, Saucen zu. Dem Abrieb der Schale wird Salz beigemischt. Zudem wird die Zitrone auf zwei verschiedene Arten fermentiert. Eine davon dauert einen Monat lang.

Das Hauptprodukt Diamante riecht stark zitronig. Die bis zu zwei Kilogramm schwere Frucht besitzt nur wenig, fast trockenes, zitroniges Fruchtfleisch. Deshalb sind das Weisse sowie die Schale von Bedeutung. Heinz Reitbauer scheut sich nicht davor, die eingelegten Zitronatschnitze der Diamante auf Lammwaden zu servieren und sie püriert dem Kartoffelstock beizugeben. Um an das pure Fruchtfleisch der Bergamotte zu kommen, arbeiten die Wiener sogar mit Techniken aus der Brennerei.

Damit nichts von den wertvollen Pflanzen verloren geht, werden teils auch Blüten verarbeitet. Die der Orangen etwa werden zu Sirup, um beispielsweise Apfelringe darin zu kochen. Später frittiert, werden diese in Orangenblütenzucker gewendet, um das regionale Mahl auch mit einer exotischen Note abschliessen zu können.

(Sarah Sidler)


Genuss- und Bezugsquellen

Restaurant Focus
Park Hotel Vitznau
 Seestrasse 18
6354 Vitznau
www.restaurant-focus.ch

Restaurant Steirereck
Am Heumarkt 2A
1030 Wien, Österreich
www.steirereck.at

Salvador Garibay
salvador.garibay@hotmail.com
Tel. 079 381 84 17