Traumferien für Allergiker

Gluten- und laktosefreie Ferien – unkompliziert und genussreich. Für Menschen mit einer Lebensmittelunverträglichkeit ist das ein Traum. In der Nationalparkregion wird er wahr.

  • Die Nationalparkregion/GR mit ihren Heilbädern, der guten Luft und dem Sportangebot ist seit jeher eine Gesundheitsregion. Das Projekt «Gluten- und laktosefreie Ferien» ist ein erster Schritt dazu, dies stärker zu betonen. Als Nächstes soll die Region auch barrierefrei werden. (Andrea Badrutt, Chur)
  • Glutenfreies Taboule (Couscous) mit Hüttenkäsetatar und Spargel – eine Kreation von Eduard Hitzberger. (ZVG)
  • Süsser Genuss: glutenfreier Marronikuchen mit Früchten garniert von Meier-Beck in Sta. Maria. (ZVG)

Es war einmal ein Bäcker. Er lebte mit seiner Familie in Sta. Maria im Val Müstair. Eine seiner Töchter leidet an Zöliakie und darf kein glutenhaltiges Brot mehr essen. Deshalb fing der Bäcker vor 15 Jahren an, Brot und Kuchen ohne Gluten zu backen.

Mittlerweile hat Meinrad Meier seine Bäckerei an eine seiner Töchter übergeben. Wie ihr Vater führt auch Lucia Meier glutenfreie Brote und Backwaren als festen Bestandteil im Sortiment.

Die Meier-Beck AG mit ihrem Café wiederum ist selbst Bestandteil des Projekts «Nationalparkregion – Gesundheitsregion». Bei diesem Projekt geht es vorrangig um präventive Angebote sowie Dienstleistungen für Gäste, die ein spezielles Bedürfnis haben. Sei es, dass sie während der Ferien im Hotel Pflegeleistungen der Spitex benötigen oder wegen Allergien und Lebensmittelintoleranz eine besondere Ernährungsform einhalten müssen. Im Alltag haben sich diese Menschen und ihre Umgebung auf die besonderen Essbedürfnisse eingespielt. In den Ferien hingegen ist es für sie oft mühsam, sich so zu ernähren, wie es gut für sie ist.

Einfach geniessen, ohne Extrawurst und Erklärungen

Natürlich gibt es immer mehr Restaurants, die auf Wunsch der Gäste laktosefreie oder glutenfreie Gerichte zubereiten. Allerdings möchten Gäste mit besonderen Bedürfnissen nicht bei jeder Mahlzeit immer nach einer Sonderbehandlung fragen. Auch ist es nervig, sich ständig erklären zu müssen, Auskunft über seine Gesundheit zu geben oder für «Extrawürste» gar einen Aufpreis bezahlen zu müssen. Zum Beispiel, wenn man statt der Nudeln lieber Kartoffeln als Beilage hätte.

Wie viel schöner wäre es für diese Gäste, wenn sie aus der ganz normalen Speisekarte einfach ein gluten- oder laktosefreies Gericht wählen könnten? So einfach und unkompliziert, wie es beispielsweise die Vegetarier tun. Das hat sich wohl auch Michael Langen gedacht. Er ist Diätkoch und Küchenchef des «Ospidals» in Scuol und gilt als der geistige Vater der gluten- und laktosefreien Ferien in der Nationalparkregion.

Dieses touristische Angebot wurde in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitszentrum Unterengadin (Center da sanda Engiadina bassa), der Universität St. Gallen (IMP-HSG) und der Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG (Tessvm) entwickelt und lanciert. «Gestartet haben wir mit sechs Hotels und acht Restaurants. Weitere Betriebe und Partner stossen laufend dazu», sagt Philipp Kemmler. Er ist Produktmanager Gesundheit/Wasser bei der Tessvm und koordiniert das gluten- und laktosefreie Erlebnisangebot in der Nationalparkregion.

Aktuell beteiligen sich 15 Hotels und 18 Restaurants am Projekt. Sie ermöglichen ihren Gästen gluten- und laktosefreie Ferien – im Tal wie auf dem Berg. Hinzu kommen verschiedene regionale Produzenten, Lebensmittelgeschäfte und Vermieter von Ferienwohnungen. Sie alle tragen dazu bei, dass Menschen mit einer Lebensmittelunverträglichkeit einen unbeschwerten, kulinarisch genussreichen Aufenthalt in der Nationalparkregion verbringen können. Die einen, indem sie standardmässig gluten- oder laktosefreie Gerichte auf ihre Speisekarten setzen und diese mit einem entsprechenden Logo kennzeichnen. Die anderen, indem sie in ihren Ferienwohnungen Küchenutensilien bereitstellen, die nicht mit Gluten in Berührung gekommen sind. Wieder andere, so wie der Meier-Beck, indem sie ihre Rezepturen und Arbeitsabläufe ändern, um ihre Produkte in einer für Allergiker verträglichen Variante herzustellen.

Montag ist Backtag

Damit ja keine Spuren von Gluten in die glutenfreien Produkte gelangen können, werden die Rohstoffe getrennt gelagert. Auch wird in einem, von der eigentlichen Bäckerei getrennten Raum produziert. «Jeden Montag verwandeln wir unsere Pâtisserie in eine glutenfreie Backstube», sagt Lucia Meier. Dazu wird dieser Raum nicht nur speziell gründlich gereinigt. Er ist auch mit Maschinen und Backutensilien ausgestattet, die ausschliesslich für die Verarbeitung von glutenfreien Rohstoffen benutzt werden.

Neben acht Brotsorten, die es in Toastform und als Brötchen gibt, werden auch kleine Zöpfe, Fitnessriegel, Croûtons, Kleingebäck und diverse Torten glutenfrei hergestellt. Wer jetzt denkt, man müsse nur das Weizenmehl austauschen und schon habe man glutenfreie Backwaren, irrt sich. Es gilt, auch die Rezepturen anzupassen. Glutenfreies Mehl hat einen leichten, aber typischen Eigengeschmack. Ausserdem verändert sich die Teigkonsistenz. «Am Rezept für die Tuorta da nusch haben wir rund neun Monate getüftelt», sagt Lucia Meier. Die Füllung für diese Nusstorte ist zwar die gleiche wie bei der konventionellen Tuorta da nusch. Der Teig aus glutenfreiem Mehl war aber viel zu brüchig. «Wir haben das Problem gelöst. Wie, das bleibt unser Betriebsgeheimnis.»

Glutenfreie Capuns und panierte Schnitzel

Kein Geheimnis hingegen ist, dass Lucia Meier jeweils im Sommer das zum Meier-Beck gehörende Café in ein Restaurant mit Mittagsmenüs ummodelt. Hier können Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit ungeniert die Bündner Spezialität Capuns oder ein währschaftes paniertes Schnitzel mit Pommes frites geniessen. Die Capuns sind mit glutenfreiem Mehl hergestellt. Das Schnitzel ist mit glutenfreiem Paniermehl aus eigener Produktion ummantelt. Damit selbst beim Frittieren keine Kontamination übers Öl stattfinden kann, stehen zwei getrennte Fritteusen im Einsatz. «In der einen werden nur Pommes frites und glutenfreies Frittiergut zubereitet.»

Die Konzentration einer ganzen Ferienregion auf die Bedürfnisse von Menschen mit einer Lebensmittelallergie setzt ein fundiertes Wissen an der Dienstleistungsbasis voraus. Philipp Kemmler organisiert deshalb zu Saisonbeginn jeweils eine Schulung für die Mitarbeitenden der am Projekt beteiligten Betriebe. Die Schulungen werden von einer Ernährungsberaterin und einem Diätkoch begleitet. Einmal jährlich ist eine Expertin der IG Zöliakie mit von der Partie.

In diesen Schulungen geht es in erster Linie um das Vermitteln von Grundwissen über Lebensmittelallergien und -intoleranzen. Die Teilnehmenden sollen aber auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen kennen. Sie erfahren, welches die häufigsten Fehler sind, die gemacht werden, und welchen gesundheitlichen Risiken und Folgen sie einen Gast aussetzen, wenn sie nicht sorgfältig arbeiten. Ergänzt wird die Theorie durch gute, praktische Beispiele aus Küche und Service.

Glückliche Gäste, neues Stammpublikum

Die Anstrengungen, die man in der Nationalparkregion unternommen hat, um hundertprozentig gluten- und laktosefreie Ferien zu ermöglichen, scheinen sich zu lohnen. Projektmanager Philipp Kemmler jedenfalls kann positive Zahlen verkünden. «Im Jahr 2015 konnten wir durch dieses Angebot 1500 Logiernächte und 2600 Restaurantbesuche generieren.» Es hat sich bereits eine neue, treue Stammkundschaft gebildet. «Einige Gäste waren bereits zum dritten oder vierten Mal da», weiss Niculin Meyer, Leiter Kommunikation und stellvertretender Direktor Tessvm.

Dieses Jahr dürfte die Nachfrage noch weiter ansteigen. Der gluten- und laktosefreie Lebensstil ist nämlich auch bei Menschen ohne Lebensmittelintoleranz gerade en vogue. Das führt dazu, dass immer mehr allergikertaugliche Produkte den Weg ins Sortiment der Detailhändler finden, die Preise für die Spezialprodukte etwas moderater werden und die Angebotsvielfalt wächst.

Und so gibt es in dieser Geschichte auch für die an Zöliakie erkrankte Bäckerstochter ein kleines Happy End.

(Riccarda Frei)


Zahlen und Fakten

3 % der Schweizer sind Vegetarier. Dieser Anteil ist seit 20 Jahren immer etwa gleich gross. Hingegen steigt die Zahl der Flexitarier (Menschen, die immer öfter auf Fleisch verzichten) konstant an. Konkrete Zahlen gibt es nicht, aber gemäss Schätzungen sind zwei Drittel der Schweizer Flexitarier.

20 % der Schweizer, also über 1,6 Millionen Menschen, sind von einer Nahrungsmittelintoleranz betroffen. Bei den meisten handelt es sich um eine Laktoseintoleranz.

1 % der Schweizer leiden an einer Glutenintoleranz. Etwa gleich viele Menschen an einer Histaminintoleranz.

8 % der Kinder in der Schweiz sind von einer Lebensmittelallergie betroffen. Bei den Erwachsenen sind es vier Prozent.


Mehr Informationen unter: 

<link http: www.nationalparkregion-gesundheitsregion.ch>www.nationalparkregion-gesundheitsregion.ch
<link http: www.aha.ch>www.aha.ch
<link http: www.zoeliakie.ch>www.zoeliakie.ch
<link http: www.meierbeck.ch>www.meierbeck.ch

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