Auf einen grünen Zweig gekommen

Ein Trend aus den USA erobert die hiesige Küche: Microgreens peppen unsere Gerichte auf. Doch die kleinen Blätter sind viel mehr als nur eine hübsche, gesunde Verzierung.

  • Manuel Vock, Denis Weinberg und Robin Bertschinger (v. l.): Wohin sie das Start-up mit den Pflänzchen wohl noch treibt?
  • Nicht nur als Dekoration geeignet: Diese Micro Greens sind junge Zwergerbsen-Pflänzchen. Ihr Aroma ist noch stärker als jenes ihrer Früchte. (Bilder Claudia Link)
  • Aromatische Adliswiler Micro Greens: Meerrettich, Radieschen, Zwergerbse, Senf und Rotkohl (v.l.).

Am Schalter einer ehemaligen Filiale der Zürcher Kantonalbank vorbei, geht es über die Treppe unter die Erde. Das grosse Rohr oberhalb der Treppe dient als Lüftungsschacht. «Kommt rein!», ruft eine recht junge, männliche Stimme. «Willkommen bei uns.» Die Luft ist feuchtwarm, es riecht ähnlich wie in der Masoala-Halle des Zürcher Zoos. Grüne Pflanzen, ein Gewässer, in dem Fische schwimmen, noch mehr Pflanzen und alles scheint miteinander verbunden. Und drei junge Männer, die verschmitzt grinsen und das Staunen geniessen. Was geht hier vor?

Ist das tatsächlich die Produktionsstätte, von der Spitzenköche wie Frank Widmer, Executive Chef im Zürcher Luxushotel «Park Hyatt», oder Punktekoch Tobias Buholzer von der «Rose» in Rüschlikon/ZH ihre Micro Greens beziehen?

Micro Greens – so heissen die kleinen, zumeist grünen Austriebe von Blattkräutern und diversen Gemüsepflanzen. Sie werden nach nur wenigen Tagen oder Wochen geschnitten und weisen sehr intensive Geschmacksnoten auf. Zudem sind sie im jungen Alter nicht nur knackig, sondern auch besonders vitaminreich.

«Micro Greens sind Alleskönner», schwärmt Manuela Rüther. «Je nach Sorte können sie das Frühstück genauso bereichern wie einen kunstvoll zubereiteten Dinner-Teller.» Die Deutsche, die in mehreren Sterneküchen kochte, veröffentlichte Anfang 2017 ihr 152-seitiges Buch «Micro Greens – Micro Leaves: Grüne Power aus dem Küchengarten. Anbau, Sorten, Rezepte».

Lokal und nachhaltig

Nachdem sich die kleinen Grünen in der US-amerikanischen Küche etablierten, setzen mittlerweile auch immer mehr Schweizer Köche auf sie. Ein vorübergehender Trend? Ein kurzfristiger Hype? «Hyatt»-Küchendirektor Frank Widmer ist vom Gegenteil überzeugt: «Micro Greens werden uns erhalten bleiben, sie sind nicht nur ein Modetrend.»

Für ihn sind die grünen Pflänzchen aus der einstigen ZKB-Filiale der Zürcher Gemeinde Adliswil ein besonderer Glücksfall, zumal er im neu eröffneten «Hyatt»-Restaurant Parkhuus konsequent auf lokale, nachhaltige Produkte setzt.

Manuel Vock (27), Robin Bertschinger (26) und Denis Weinberg (25) sind die drei grinsenden Gesichter, die hinter dem Start-up stecken, das sie «Umami» getauft haben, weil ihre Pflänzchen den Gerichten einen besonderen Goût, das gewisse Etwas, verleihen sollen. Drei Wirtschaftsstudenten ohne Bezug zur Gastronomie, ohne Kulinarik-Vorwissen, dafür mit umso mehr Herzblut ausgestattet. «Manuel ist der Bio-Freak unter uns», erklärt Denis Weinberg. «Er hat das System ausgeklügelt.»

Es ist ein in sich abgeschlossenes Aquaponik-System. In der Aquaponik werden in einem einzigen Wasserkreislauf Fische und Pflanzen angebaut. Die Ausscheidungen der Fische – in diesem Fall sind es Tilapia – werden durch verschiedene Bakterien von Ammonium zu Nitrit und schliesslich zu Nitrat oxidiert. Dieses Nitrat wird von den Pflanzen über die Wurzeln aufgenommen, was wiederum das Wasser für die Fische von diesen Nährstoffen säubert.

Würmer runden den Kreislauf ab

«Das Wasser haben wir seit Anfang 2016 nie gewechselt», erzählt Manuel Vock. «Es ist sauber und sogar trinkbar.» Tatsächlich, das Wasser hält der Probe stand: Es sieht nicht nur sauber aus, sondern schmeckt auch vorzüglich und verursacht keinerlei Magenbeschwerden.

Wie nachhaltig die «Umami»-Jungs ticken, beweist Vock mit der Naturfaser-Matte, auf der die Micro Greens gedeihen. «Wenn wir die Pflanzen abgeschnitten haben, gelangen die Matten auf den Komposthaufen gleich neben dem Haus. Dann kommen Würmer und zerfressen die Matten, ehe wir die Würmer herausholen und sie an unsere Fische verfüttern.»

Erst seit letztem Oktober beliefert das Trio die lokale Gastronomie mit ihren Pflänzchen. Senf-, Meerrettich-, Radieschen-, Rotkohl- und Zwergerbsen-Blätter gibt es zurzeit, laufend wird an neuen Sorten getüftelt. Auf gut Glück meldeten sich die Jungs bei jenen Restaurants in der Region, bei welchen sie sich Chancen erhofften, angehört zu werden. Ihre Produkte überzeugte praktisch alle.

Tobias Buholzer, der mit seiner Frau Sabrina die Rüschliker «Rose» führt und 2008 von «Gault Millau» zur «Deutschschweizer Entdeckung des Jahres» gekürt wurde, erinnert sich ans erste Treffen mit «Umami»: «Die Jungs haben ihren Gewächskeller ganz in der Nähe meines Restaurants. Eines Tages kamen sie auf mich zu und fragten nach meinem Interesse. Für mich war sofort klar, dass diese kleinen Pflänzchen einen Platz auf meinen Tellern kriegen, da ich viel Wert auf regionale Produkte lege. Diese Micro Greens aus Holland und anderen Ländern waren mir schon lange ein Dorn im Auge.»

Buholzer kritisiert Deko-Köche

Genau wie Frank Widmer, der das Adliswiler Grün unter anderem zu Pesto und Chimichurri verarbeitet, verwendet auch Buholzer die Greens wegen deren Aromatik und nicht etwa primär zu dekorativen Zwecken. «Diese kleinen Pflänzchen sind sehr aromatisch, jedes hat einen vollkommen anderen Geschmack», erläutert Buholzer. «Es sollte gut darauf geachtet werden, wozu sie eingesetzt werden und auch wie viel davon.»

Dann setzt der Sternekoch zur Kritik an. «Leider gibt es heute vermehrt Köche, die praktisch jedes Gericht zur Dekoration mit derselben Mischung an Micro Greens behäufen. Das mag ich überhaupt nicht, da es geschmacklich meist nicht passt und auch den Pflänzchen zu wenig Achtung schenkt.»

In welcher Küche die geschmacksstarken Pflanzen verwendet werden, darüber sind sich Widmer und Buholzer uneins. Während der Executive Chef des «Hyatt» findet, man könne sie überall einsetzen, meint Buholzer: «Bei einer rustikalen Küche haben Micro Greens für mich nichts zu suchen.»

Sortiment wird stetig erweitert

Dass den Micro Greens die verdiente Achtung geschenkt wird, ist «Umami» wichtig. Robin Bertschinger: «Deshalb bringen wir die neuen Säckchen stets persönlich vorbei und tauschen uns mit den Köchen aus. Da ergeben sich für beide Seiten spannende Inputs.» Dies bestätigt auch Markus Imboden, Küchenchef im Zürcher «Metropol»: «Die Qualität stimmt und sie sind immer aufgeschlossen für neue Vorschläge. Sie sind auch ständig daran, das Sortiment zu erweitern. Ich möchte die Zusammenarbeit ausbauen.»

Um die steigende Nachfrage befriedigen zu können, arbeitet das «Umami»-Trio daran, sein Aquaponik-System auszubauen. Demnächst soll die Anlage um ihr Sechsfaches wachsen, auch an einen Umzug wird bereits gedacht. Damit die Gastronomie für die kleinen Grünen stets grünes Licht hat.

Kontakt zu «Umami»: <link>info@shopumami.com


(Benny Epstein)


Was Sie rund um die Micro Greens noch wissen müssen


11 Franken 

kostet ein «Umami»-
Säckchen durchschnittlich. Darin sind 80 Gramm einer Pflanzensorte.


In den 1980er-
Jahren tauchten in San Francisco die ersten Micro Greens in Gerichten auf.


1 Kilogramm

Micro Greens kommen in der Küche des Restaurants Metropol in Zürich jede Woche zum Einsatz. Hier wird bereits seit drei Jahren mit Micro Greens gekocht und dekoriert.


2 bis 10

Gramm von den kleinen Grünen verwendet Reto 
Vögeli, Küchenchef im 
«Belvoir» in Rüschlikon/ZH, pro Gericht. Eines seiner Gerichte heisst «Quinoa mit Jakobsmuschel und Micro Greens aus Adliswil».


Das «Belvoir»-Serviceteam ist darauf geschult, dem Gast auf Fragen zu den Micro Greens Antworten zu liefern.


Basilikum

wächst im Aquaponik-
System von «Umami» ebenfalls. Er ist äusserst aromatisch und leicht scharf. Die Blätter enden letztlich bei «Mikks». Das Start-up produziert Sirup-Konzentrate zur Herstellung frischfruchtiger Cocktails.


40 Mal

mehr Nährstoffe als in 
ihren ausgewachsenen 
Verwandten fanden 
Forscher in den Micro Greens von Rotkohl, 
Randen und Koriander.