Chefs müssen flexibler sein

Die Hotel & Gastro Union hat eine Task Force gebildet, um realisierbare Rezepte gegen den Fachkräftemangel zu entwickeln. Bei ihrem ersten Treffen am 25. Oktober haben die Teilnehmenden über neue Umsetzungsmöglichkeiten des L-GAV-Arbeitszeitmodells diskutiert.

  • In einem sind sich die Task-Force-Teilnehmenden einig: Es braucht besser qualifizierte Führungskräfte, die das individuelle Potenzial ihrer Mitarbeitenden erkennen und ihnen dementsprechende Stellen bieten. (Bilder Filipa Peixeiro)
  • «Wir haben die Produktion auf den Nachmittag verlegt.» (PETER AMREIN, EXECUTIVE KÜCHENCHEF, SWISS HOLIDAY PARK AG,
    MORSCHACH)
  • «Ein zeitgemässer, pünktlich bezahlter Lohn ist auch eine hohe Wertschätzung.» (KURT BAUMGARTNER, BESITZER DER BELVÉDÈRE HOTELS, SCUOL)
  • «Es geht nicht um Zimmerstunden, sondern um gravierende Führungsprobleme.» (PETER DURRER, HOTELIER)
  • «Holen wir die Fähigkeiten der Mitarbeitenden
    ab, explodiert deren Motivation.» (PHILIPPE GIESSER, GRÜNDER SINNVOLL GASTRO, LUZERN)
  • «Gerade Tieflohnangestellte sind auf 100%-Stellen angewiesen.» (SIMONA SEILER,
    GASTGEBERIN, PARKHOTEL MARGNA,
    SILS IM ENGADIN)
  • «Man sollte mutiger sein und neue Arbeitszeiten
    einfach ausprobieren.» (ANDI LEIPZIG, SOUS-CHEF ART DECO HOTEL MONTANA, LUZERN)
  • «Ältere Mitarbeitende sind wertvolle Ressourcen.»
    (MAURO PELLANDINI, SENIOR HR CONSULTANT, EMPIRICON AG, BE)
  • «Viele verlassen die Branche, weil es dem
    Chef an Sozialkompetenz fehlt.» (JOSEF PRENKA,
    BERUFSFÖRDERER, HOTEL & GASTRO UNION, LUZERN)
  • «Unsere Köche arbeiten vier Tage und haben dafür drei Tage frei.» (PHILIPP SCHNEIDER,
    GASTROUNTERNEHMER, KRONE MOSNANG AG, MOSNANG)
  • «Hinter der Arbeitszeit steht meist ein anderes, grösseres Thema.» (ADRIAN HÄNGÄRTNER, AUSBILDUNGSBERATER, MITTELSCHUL- UND
    BERUFSBILDUNGSAMT, BERN)
  • «Wir lassen Mitarbeitende zwischen unseren
    Hotels rotieren.» (KRISTINA TANASIC,
    HR-LEITERIN, FRED TSCHANZ GRUPPE, ZÜRICH)

Die zurzeit wohl grösste Sorge der Hotellerie und Gastronomiebranche ist der Fachkräftemangel. In gewissen Regionen wie beispielsweise im Engadin ist es inzwischen sehr schwierig geworden, gute Mitarbeitende zu finden. «Wir haben nicht bloss einen Fachkräfte-, sondern einen generellen Personalmangel», sagt Kurt Baumgartner. Er ist Besitzer der Hotels Belvédère in Scuol.

Der Hotelier des Jahres 2019 ist überzeugt: «Mitarbeitende der Altersgruppe 50+ werden künftig ein riesiges Thema für unsere Branche sein.» Er jedenfalls spanne den Altersbogen in Stellenausschreibungen bereits heute bewusst gross. «Wenn ich nicht schreibe ‹Gesucht: Chef de service, Alter 30 bis 70›, finde ich kaum jemanden.»

«Ältere Mitarbeitende sind wertvolle Ressourcen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken», findet Mauro Pellandini. Er ist Senior Human Resources Consultant bei der Empiricon AG, eine auf strategisches Personalmanagement sowie Mitarbeiter und Kundenbefragungen spezialisierte Beraterfirma. Ältere Mitarbeitende einzustellen, bringe aus seiner Sicht etliche Vorteile. Die 50+-Jährigen bringen Berufs- und Lebenserfahrung mit. Sie sind in ihrer Persönlichkeit und ihren Lebensumständen gefestigt und gerade wegen ihres Jahrgangs an langfristigen, verbindlichen Arbeitsbeziehungen interessiert. Ganz im Gegensatz zu den Vertretern der Generation Z. «Die jüngeren Generationen stellen mehr Forderungen. Wenn du diese nicht erfüllst, sind die Angestellten weg», sagt Kristina Tanasic, HR-Leiterin bei der Fred Tschanz Gruppe in Zürich.

Natürlich könne es sein, räumen Baumgartner und Pellandini ein, dass ältere Mitarbeitende nicht mehr fünf Tage die Woche Vollgas geben mögen. Um ihr Potenzial dennoch optimal zu nutzen, braucht es neue Ansätze. Von denen können gleichzeitig die jüngeren Generationen mit ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung sowie auch der Betrieb profitieren. So könnte man das bestehende Arbeitszeitmodell, welches die Sozialpartner im Landes-Gesamtarbeitsvertrag für das Gastgewerbe (L-GAV) festgelegt haben, kreativer umsetzen. Entgegen vieler Vorurteile bietet der L-GAV bei der Gestaltung der Arbeitszeiten nämlich viel mehr Spielraum, als oft behauptet wird.

«Krone Mosnang 4:3»-Modell

Ein Hotel, das sich diesen Spielraum zunutze gemacht hat, ist die «Krone» in Mosnang. Philipp Schneider führt den Betrieb in fünfter Generation. Er hat für seine Köche die Vier-Tage-Woche eingeführt. In der Task-Force-Runde erzählt er, wie es dazu kam. 

«Weil in unserer Umgebung etliche Restaurants eingingen, entschlossen wir uns, nur noch einen Ruhetag pro Woche zu machen. Das führte unter anderem dazu, dass wir uns Gedanken über die neuen Öffnungs- und Arbeitszeiten machen mussten.»

Er habe mit den Köchen gemeinsam überlegt, wie die Bedürfnisse des Betriebs und die der Mitarbeitenden möglichst optimal in Einklang gebracht und Arbeitsabläufe mithilfe moderner Küchentechnik optimiert werden könnten. Das Ergebnis ist das «Krone Mosnang 4:3»-Modell. «Die Köche arbeiten an vier Tagen 10,5 Stunden, verzichten auf Zimmerstunden und haben dafür drei Tage frei.» So haben alle regelmässig und langfristig planbar an Wochenenden frei. Das freut nicht nur die jungen Angestellten, die in den Ausgang wollen, sondern auch die Mitarbeitenden, die bereits Familie haben.

Um sicherzugehen, dass diese Abmachung auch rechtens ist, hat Philipp Schneider, der Mitglied im Schweizer Kochverband skv ist, sein Modell dem Rechtsdienst der Hotel & Gastro Union vorgelegt. Dieser hat das Modell als absolut L-GAV-konform bestätigt.

Dieses Praxisbeispiel löste bei den anderen Task-Force-Teilnehmenden positives Erstaunen, ja sogar Begeisterung aus. Philippe Giesser, Gründer Sinnvoll Gastro, meinte beispielsweise: «So gut und so einfach! Wieso ist mir das nicht in den Sinn gekommen.» Auch Andi Leipzig, Sous-chef im Art Deco Hotel Montana in Luzern, gefällt das «Krone Mosnang 4:3»-Modell. «Ich würde gerne so arbeiten und weiss, dass viele meiner Kollegen auch so denken.» Er findet: «Man sollte mutiger sein und neue Arbeitszeiten im Betrieb einfach mal ausprobieren.»

Chefs ohne Führungs-Know-how

Neben dem Mut, Neues auszuprobieren, braucht es aber vor allem Chefs, die bereit sind. Bereit, Bestehendes zu hinterfragen, unbekannte und vielleicht anfangs auch unbequeme Wege zu gehen, verbindlich zu sein, Vertrauen zu schenken und Verantwortung zu übertragen. Doch solche Chefs sind rar. Der Hotelier Peter Durrer bringt es auf den Punkt: «Wir sind in unserer Branche sehr stark im Handwerklichen, haben aber gravierende Führungsprobleme.» Philippe Giesser weiss, warum das so ist. «Wir bilden kreative Menschen zu tollen Köchen und zuvorkommenden Gastgebern aus. Wenn es rund läuft, sind sie nach vier Saisons in einer Führungsposition, haben aber keine Ahnung von Führung.»

Es ist zwar schön, dass strebsame Berufsleute im Gastgewerbe bereits in jungen Jahren auf der Karriereleiter aufsteigen können. Das führt aber auch dazu, dass sich viele dieser Führungskräfte weder die nötige Lebenserfahrung und persönliche Reife noch die zum Führen von Mitarbeitenden nötigen Management- und Softskills aneignen können.

Ohne gemeinsame Werte, keine einheitliche Marschrichtung

«Was auch oft fehlt, ist die geistige Mise-en-place», ergänzt Peter Durrer. Zum Beispiel haben viele Chefs für ihr Team und ihren Betrieb keine Werte definiert. Genau dies wäre aber ein Hebel, an dem in Bezug auf den Fachkräftemangel angesetzt werden müsste.

«Für die Mitarbeitenden der Generationen X, Y und Z ist es wichtig, dass ihre Arbeit sinnvoll und wertvoll ist. Sie wollen selbständig und eigenverantwortlich arbeiten, sich und ihre Ideen einbringen können», sagt Mauro Pellandini. Je besser die Werte des Betriebes und des Mitarbeitenden übereinstimmen, desto kleiner ist die Gefahr, dass er sich eine neue Stelle sucht.

Peter Durrer arbeitet stark mit Werten. «Wir entwickeln im Team drei Werte, nach denen wir uns, unsere Dienstleistungen und Handlungen ausrichten.» Diese Werte gilt es zu leben und zwar auf allen Hierarchiestufen, vor und hinter den Kulissen. Durrer rät, sich auf nur drei Werte zu beschränken. «Mehr macht keinen Sinn, weil sich das im Alltagsgeschehen eh keiner merken kann.»

Ein grosser Vorteil von klar kommunizierten und gelebten Werten: Es gibt weniger Fehlbesetzungen und Missverständnisse bei der Rekrutierung, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigt und der Lohn sowie die Arbeitszeiten sind plötzlich nicht mehr so wichtig. Dafür ist der Wunsch nach Mitbestimmung und individuellen Lösungen gross.

Peter Amrein, Executive Küchenchef im Swiss Holiday Park in Morschach und skv-Mitglied, hat es seiner Equipe freigestellt, ob sie mit oder ohne Zimmerstunde arbeiten möchte. Da es sowohl Befürworter wie Gegner der Zimmerstunde gibt, hat er die Arbeitsabläufe und Arbeitspläne so aufgegleist, dass beide Gruppen zufrieden sind. Zum Beispiel hat er die Gemüseanlieferung und die Produktionszeiten auf den Nachmittag verlegt. So kann er Köche ohne Zimmerstunde von 11.30 bis 21 Uhr arbeiten lassen und hat sie zu beiden Servicezeiten im Betrieb.

Ganz nebenbei hat sich daraus ein Vorteil fürs Unternehmen ergeben. «Seit wir Schichten ohne Zimmerstunde haben, hat sich der geografische Radius für die Mitarbeitersuche enorm vergrössert. Zweimal täglich nach Morschach zu fahren, war vielen zu mühsam; aber einmal ist okay.»

«In den vielen Beratungsgesprächen, die ich führe, zeigt sich immer wieder: Die Unzufriedenheit mit den Arbeitszeiten ist nur das Symptom. Meistens steht ein ganz anderes, grösseres Thema dahinter. Zum Beispiel fehlende Wertschätzung», sagt Adrian Hängärtner. Er ist beim Mittelschul- und Berufsbildungsamt Bern unter anderem für die Lehraufsicht zuständig.

Ob Lernende oder gestandene Berufsleute, sie alle wünschen sich Wertschätzung. Diese lässt sich auf ganz verschiedene Arten ausdrücken. So etwa durch zeitgemässe und immer pünktlich ausbezahlte Löhne, verbindliches und frühzeitiges Planen der Arbeitseinsätze oder aber auch über individuelle Lösungen wie Jobsharing und -rotation, Teilzeitpensen oder Homeoffice für Mitarbeitende in der Administration.

Sehr positiv auf die Fluktuationsrate und die Motivation der Mitarbeitenden wirken sich massgeschneiderte Jobprofile aus. Dazu Philippe Giesser: «Wir schauen, welche Interessen und Fähigkeiten unsere Mitarbeiter ausserhalb ihres Berufes haben und wie wir diese in unseren Betrieben einsetzen können.» Daraus ergaben sich ganz neue Stellen und die Motivation explodierte förmlich. Giesser Hotel & Gastro Union. nennt ein Beispiel: «Eine Mitarbeiterin näht sehr gerne. Jetzt ist sie zu einem Teilen während ihrer Arbeitszeit bei uns als Schneiderin beschäftigt.»

Auch Simona Seiler, Gastgeberin im Parkhotel Margna in Sils im Engadin, findet Flexibilität in der Jobgestaltung wichtig. «Gerade Angestellte im Tieflohnsegment sind finanziell auf volle Arbeitszeiten angewiesen. In einem Saisonbetrieb ist das aber nicht immer möglich.» Es sei denn, man werde kreativ und suche nach Lösungen – im eigenen Haus oder in Kooperation mit anderen Betrieben im Ort. Doch dazu fehlt es leider noch zu oft an der nötigen geistigen Mise-en-place.

(Riccarda Frei)