Die Angst vor der Kritik im Netz

Wie schön war die Zeit, als sich der Gast gleich in der Beiz beschwerte. Ein paar nette Worte, ein Espresso aufs Haus und die Sache war geklärt. Heute wird online zur Hetzjagd geblasen.

  • Daumen runter: Negative Rückmeldungen tätigen Gäste heute oft nicht mehr direkt im Lokal. Gastronomen und Hoteliers müssen sie später online zur Kenntnis nehmen. (Illustration Solange Ehrler)
  • Das Bewertungsportal als Instrument zur Frustbewältigung: Die bösen Kommentare entsprechen hie und da nicht der Wahrheit. (llustration Solange Ehrler)

«Mir wurde richtig schlecht», erinnert sich Zaki Ibram an den 3. August letzten Jahres. Von einem Freund wird der Geschäftsführer der Zürcher Szenebeiz Fischer’s Fritz auf den neuesten Eintrag auf der Facebook-Seite «Blacklist Restaurants & Hotels» aufmerksam gemacht. Dort schreibt ein Herr namens Maurus Müller: «Es fällt mir ja schwer, aber das ist ein absolutes No-Go: Wie kalkuliert man zwei Tomaten, geschnitten, nature, ohne Öl, ohne Essig, ohne Salz und ohne Brot? Vorletzte Woche im «Fischer’s Fritz», Kosten: 25 Franken. Schade, bis dato war ich happy.»  

Wahrlich ein happiger Preis für zwei rohe Tomaten! Ein Missverständnis? Zaki Ibram antwortet sogleich: «Guten Tag, Herr Müller, ich danke Ihnen vielmals für die Kritik. Nur so können wir besser werden. Wie wäre es, wenn sie mal vorbeikommen, damit wir das miteinander besprechen. In der Zwischenzeit werde ich es mit unserem Küchenchef anschauen.» 

Reagieren, sich für die Kritik bedanken, den Gast besänftigen und einladen – das klingt nach einer klugen Strategie. Sind die Wogen geglättet? Von wegen! «Ui, da hätte ich einen dicken Hals gekriegt!», schreibt eine Frau unter den Eintrag. «Das hat irgendein Nichtsnutz-Kellner so verrechnet», giftelt ein Mann.  

«Was ein einzelner Eintrag in den sozialen Medien auslösen kann, ist unglaublich. Der Albtraum eines jeden Gastronomen», gesteht Zaki Ibram. «Dabei entstand die Geschichte aus einem doofen Missverständnis. Maurus Müllers Frau bestellte einen Tomaten-Mozzarella-Salat ohne Öl, ohne Essig und ohne Mozzarella. Dabei ging eine Information unter und letztlich wurde ihr der normale Preis verrechnet. Für zwei rohe, geschnittene Tomaten hätte sie natürlich nichts bezahlt.» Anstatt im Lokal zu reklamieren, macht Frau Müller die Faust im Sack, bezahlt und erzählt die Geschichte zu Hause. Ihr Mann macht seinem Ärger auf Facebook Luft. Eine Geschichte, wie sie zahlreiche Gastronomen und Hoteliers kennen und fürchten.

Gammelfleisch und Durchfall – oder üble Nachrede

Facebook, Tripadvisor, Yelp, Booking, Holidaycheck – im World Wide Web wimmelt es von lauter Bewertungsportalen. Besucher geben Sterne, Punkte und Kommentare ab. Während das Abchecken von Hotel-Bewertungen vor der Buchung längst gang und gäbe ist, hat sich selbiges auch vor dem Restaurantbesuch etabliert.  

Sven Ruoss, Studienleiter CAS Social Media Management an der Hochschule für Wirtschaft Zürich, erklärt: «Menschen haben schon immer Tipps zu Restaurants, Hotels und Clubs ausgetauscht. Mit dem Aufkommen von digitalen Portalen findet dieses Phänomen nun auch im Netz Ausdruck.» Der grosse Unterschied zu früheren Austauschformen sei, die teilweise Anonymität auf Webportalen. «Da ist die Hemmschwelle niedriger.  Offline würde man sich vielleicht nicht trauen, eine Kritik derart zu überspitzen und in jener Art und Weise zu formulieren.»  

Eine üble Erfahrung musste Tony Navarro, seit dreissig Jahren Besitzer des Restaurants Turm im Zürcher Niederdorf, machen. Nach einem Besuch in seinem Zweitlokal Triibhuus reklamiert eine Frau auf der «Blacklist Restaurants & Hotels» über den miserablen Service. Es folgen mehrere Kommentare, die den Eintrag stützen, ehe ein Nutzer unter dem Namen Manuel Boncaramel schreibt: «Wer mal in einem Betrieb von Tony Navarro gearbeitet hat, geht dort nicht freiwillig essen. Wenn ihr wüsstet, was hinter den Kulissen passiert – en Guete!»  

Der Nächste doppelt nach, er habe nach dem Essen bei Navarro an Durchfall gelitten. Dann setzt Manuel Boncaramel zum K.o.-Schlag an: «Die Mitarbeiter behandelt er wie Dreck. Ich habe in drei Monaten 15 bis 20 Mitarbeiter kommen und gehen sehen. Er scheint auch die Lebensmittelkontrolleure zu schmieren. Wenn das Fleisch stinkt und schleimig ist, wird es mit Chili und Knoblauch mariniert, dann ist es wieder frisch. Ich als Koch fand es bedenklich und musste dort weg, weil ich nicht mehr bereit war, die Gesundheit der Gäste aufs Spiel zu setzen.»  

Die dunkle, geheime Wahrheit oder ganz übler Rufmord durch einen frustrierten, vielleicht entlassenen Mitarbeiter? Tony Navarro sagt, er kenne Boncaramel nicht. Der Name dürfte ein Pseudonym sein. Navarro: «Ganz schlimm, was der mir antut. Er verbreitet schreckliche Unwahrheiten. Ich versuche, die Einträge löschen zu lassen und erwäge rechtliche Schritte.»

Ein Fall für den Anwalt?

Wie ist in einem solchen Fall vorzugehen? Holger Sigmund berät weltweit Hotels und Restaurants im Umgang mit der Kommunikation auf sozialen Plattformen. Sein Tipp: «Ist die Kritik beleidigend oder gar unwahr, können rechtliche Schritte tragend werden.» Von solchen rät er aber ab. «Sie sind viel zu aufwändig. Ich empfehle bei Beleidigungen und unwahren Behauptungen den Kontakt zum entsprechenden Portal mit Hinweis auf die rechtliche Situation. Dies führt eher zu einer Löschung, als wenn man sich rechtfertigt oder gar dem Kunden oder dem Portal droht. Die Portale sind rechtlich auch nicht angreifbar. Im Ernstfall nur der Bewerter selbst. Rechtsanwältin Barbara Klug von der St. Galler Advokatur Klug tendiert auch zur Lösung mittels Aufforderung zum Löschen des Eintrags. «In manchen Fällen ist der Weg zum Friedensrichter allerdings unvermeidbar. Nach meiner Erfahrung zeigen spätestens dann Plattformbetreiber, aber auch Bewerter, Einsicht.» Es gebe mittlerweile gute Rechtsschutzversicherungen für Restaurants, die für solche Verfahren anfallende Kosten übernehmen würden.  

Für den Laien, insbesondere für den Direktbetroffenen sei es schwierig einzuschätzen, ob eine Bewertung zulässig ist oder nicht. «Der Unterschied zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil ist fliessend, die Abgrenzung zwischen erlaubter und unerlaubter Äusserung ebenso», sagt Klug.  

Die Probe aufs Exempel hat Christian Rach gemacht. Der deutsche Koch wurde durch die RTL-Sendung «Rach, der Restauranttester» bekannt, in der er strauchelnden Betrieben mit unverblümter Kritik, aber auch mit viel Herzblut wieder auf die Beine zu helfen versuchte. In der Folgesendung «Rach undercover» ging er dann verkleidet und maskiert jene Restaurants testen, die auf Bewertungsportalen miserabel abschnitten. Rach: «Im Internet hat man heute jegliche Schamgrenze verloren, egal auf welchem Portal: Man haut drauf und benutzt Worte, die man vermutlich seinem Gegenüber am Tisch niemals sagen würde. Ich frage mich: Was sind das für Leute und welche Motivation haben sie, so zu kritisieren?» Der TV-Zuschauer sieht in der Sendung viele mit versteckter Kamera festgehaltene Restaurantbesuche, die ansprechend bis sehr gut sind. Und bestimmt nicht so schlecht, wie sie bewertet wurden.

Internet: mehr Chance als Gefahr  

Schimpftiraden im Internet – fast jeder Gastronom und Hotelier kennt sie. Auch Marc Brechtbühl, Mitinhaber des Zürcher «Kaufleuten»: «Online-Kritik nehme ich sehr ernst. Auch wenn sie manchmal übertrieben ist, kann man aus ihr oft rauslesen, wo im Betrieb der Schuh drückt. Diese negative Facebook-Gruppe mag ich aber nicht. Die Leute sind zu wenig sensibel. Für einen kleinen Gastronomen kann solche Kritik sehr geschäftsschädigend sein.»  

Markus Segmüller, Carlton-Geschäftsführer, dessen Betrieb auf Facebook des Rassismus bezichtigt wurde, erinnert sich lieber an früher: «Da hat man für die Reklamation das Telefon zur Hand genommen und die Sache war erledigt. Heute sind noch immer die allermeisten Gäste sehr zufrieden, doch man schreibt eher, wenn etwas schlecht war. Viele lassen da ihren Frust ab.»  

Trotz Shitstorm-Potenzial glaubt Social-Media-Studienleiter Sven Ruoss ans Positive im Internet: «Social Media ist für die Gas-tronomie und Hotellerie mehr Chance als Gefahr. Es gilt, diese zu nutzen.»

 

Die vier wichtigsten Tipps

1. Mitarbeiter schützen.

Social-Media-Management-Studienleiter Sven Ruoss: «Wird ein Mitarbeiter mit Namen erwähnt, lassen Sie den Eintrag löschen.»

2. Kritik selektieren.

Restauranttester Christian Rach: «Ehrverletzende und anonyme Kritik möglichst schnell ausblenden. Konstruktive Kritik ernst nehmen und darauf reagieren.»

3. Finger weg von Fälschungen.

Anwalt Bertram Buchzik: «Besonders positive Bewertungen über sich selbst oder absichtlich negative Kommentare von Konkurrenten können gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstossen.»

4. Zur Rechenschaft ziehen.

Anwältin Barbara Klug: «Zunächst versuchen, den Plattform-betreiber dazu zu bewegen, den Eintrag zu löschen. In der rechtlichen Verantwortung steht sowohl der Bewerter wie auch der Plattformbetreiber.»

Nützliche Links

Buchzik Anwaltskanzlei

www.buchzik.ch

Advokatur Klug

www.advokatur-klug.ch

Kommunikationsberater Holger Sigmund

www.holgersigmund.com