«Man konsumiert mit gutem Gewissen»

Die Detaillisten in der Schweiz führen immer mehr vegane Alternativen zu Fisch, Fleisch oder Käse. Für Veganer sind diese allerdings nicht gedacht.

Die Trend- und Zukunftsforscherin gibt auf Anfrage auch Workshops. (ZVG)

Frau Hauser, wie hat sich das Konsumverhalten der Schweizerinnen und Schweizer in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Mirjam
Hauser: Es hat eine markante Bewusstseinsveränderung gegeben, die einem Rundumschlag gleichkommt. Insbesondere beim Thema Essen. Das führt so weit, dass Leute selbst dann auf ihre Essgewohnheiten zu sprechen kommen, wenn diese eigentlich keine Rolle spielen. 

Inwiefern?
Letztens hatten wir zum Beispiel eine Befragung, bei der es ums Autofahren ging. Dort gab es solche, die angaben, zwar ein Auto zu besitzen, sich dafür beim Essen besonders nachhaltig zu verhalten. Das ist eine Entwicklung, die man vor fünf oder zehn Jahren noch nicht beobachten konnte. Das Thema Nachhaltigkeit hat eine starke Präsenz. Beispielsweise hat auch der Veganismus in den letzten fünf Jahren nochmals stark an Bedeutung zugelegt. 

Woran liegt es?
Zum einen ist die Zahl der Veganerinnen und Veganer organisch gewachsen. Immer mehr Menschen tun dies aus Überzeugung, weil sie auch etwas für das Klima tun wollen. Durch die vegane Lebensweise leisten sie ihren Beitrag. Aber auch die Medien und Trendfollower spielen eine wichtige Rolle. Deshalb sind auch die Gastronomie und die Industrie auf den Zug aufgesprungen. 

«Das Thema Nachhaltigkeit ist allgegenwärtig.»
 

Es gibt unzählige vegetarische und vegane Lebensmittel. Wozu braucht es fleischkopierende Alternativen?
Diese Produkte richten sich an jene, die der veganen Ernährung nicht prinzipiell abgeneigt sind, aber noch nicht so richtig wissen, wie sie das umsetzen sollen. In der heutigen Zeit und in unserem Kulturkreis spielt das Fleisch bei den meisten Menüs eine zentrale Rolle. 

Also sind die vielen Fleischalternativen in den Regalen gar nicht auf Veganer und Vegetarier zurückzuführen?
Genau. Die Gruppe, an die sich diese Produkte primär richten, ist die Gruppe der Flexitarier.  

Bin ich das schon, wenn ich einmal wöchentlich auf tierische Produkte verzichte?
Naja, das ist schwierig zu definieren. Man kann keine klare, für alle gültige Grenze ziehen. Grundsätzlich geht es bei den Flexitariern darum, öfters auf Fleisch zu verzichten.

Wie kommt es dazu, dass sich der Begriff Flexitarier trotz fehlender Definition so stark etabliert hat? 
Ich glaube, das liegt daran, dass der Begriff keine klare Definition braucht, sondern für eine weit verbreitete Idee steht. Der Grundgedanke dahinter lautet: Es muss nicht jeden Tag Fleisch sein, aber komplett verzichten möchte man darauf auch nicht. 

Wenn jemand ein Quornschnitzel oder Tofu-Spiess-chen isst, dann verzichtet er doch auf Fleisch? 
Natürlich verzichtet er im Moment, aber mit einem guten Gefühl. Mit dem Kauf solcher Produkte tun die Menschen etwas Gutes für das Klima und für den Tierschutz. 

Ich könnte doch stattdessen auch einen Linseneintopf oder dergleichen zubereiten, warum also das Schnitzel? 
Weil Schnitzel, Würste und dergleichen in unserem Kulturkreis noch immer eine zentrale Rolle spielen. Mit den fleischlosen Alternativen kann ich traditionelle Gerichte ohne grossen Mehraufwand zubereiten. Es fühlt sich darum weniger wie ein Verzicht an. Das ist auch die Botschaft der Hersteller: Burger bleibt Burger, Schnitzel bleibt Schnitzel.  

Der Umstand, dass vegane Alternativen solche Begriffe verwenden dürfen, stösst einigen Fleischessern sauer auf. Warum ist das so?
Es verhält sich ähnlich wie bei religiösen Konflikten: Auch dort spielen die eigene Werthaltung und der persönliche Lebensstil eine wichtige Rolle. Die Menschen halten an dem fest, was ihnen wichtig ist.

Welche Auswirkungen hat das gesteigerte Ernährungsbewusstsein der Gesellschaft für die Gastronomie? 
Ich glaube, die Gastronomie profitiert davon und wird kreativer. Heute findet man selbst in den entlegensten Gegenden mindestens eine vegetarische Alternative auf der Karte. Immer seltener handelt es sich dabei um den altbekannten Gemüseteller. Damit trifft die Gastronomie den Nerv der Zeit.

(Interview Désirée Klarer)


Zur Person

Als Senior Research Manager bei der GIM Suisse Gesellschaft für innovative Marktforschung analysiert die Trendforscherin Mirjam Hauser Konsumverhalten. Davor hat sie mehr als sieben Jahre am GDI Gottlieb Duttweiler Institut Megatrends und Gegentrends beobachtet und Zukunftsszenarien entwickelt. Am GDI publizierte sie zudem Dutzende von Eigen- und Auftragsstudien. Ihre Erkenntnisse hat sie in über 80 Referaten zu Megatrends, Konsum- und Foodtrends an öffentlichen Veranstaltungen und Workshops präsentiert.