«Maschinen manipulieren Gäste»

Der Sensoriker besuchte die 18. Madrid Fusión – und ist begeistert. Hier erzählt er exklusiv über Fish Aging, künstliche Intelligenz und Trends in der Gastronomie.

Auf HG+ gibt es ein Bookazine zu gewinnen (siehe Schluss vom Text). (ZVG)

Patrick Zbinden, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an den weltweit wichtigsten Fachkongress für Gastronomie zurückdenken?
Patrick Zbinden: Da denke ich an die geballte Ladung Wissen, die von den besten Köchen der Welt vermittelt wurde. Besonders die Spanier teilten grosszügig mit, welche Entdeckungen sie gemacht  und was sie erforscht haben. Auch der europäische «Koch des Jahres» wurde dort gekürt. Die Ehre gebührt dieses Jahr dem Italiener Niko Romito. Der Chef im Restaurant Reale in Castel di Sangro (I) ist Träger des Titels. 

Die Ausgabe lief unter dem Titel Essenzielle Küche – bewusste Einfachheit. Was fiel auf?
Es fiel auf, dass viele Chefs ihre Arbeit, ihren Automatismus hinterfragen. Sie denken permanent über ihre Techniken sowie Philosophien nach und handeln entsprechend. Solche Inputs machen Summits wie die Madrid Fusión so wertvoll. Ich lege jedem Koch und Gastronomen wärmstens ans Herz, die Madrid Fusión oder die Gastronomika in San Sebastián (E) zu besuchen.

War die Digitalisierung ein Thema?
Ja, besonders die künstliche Intelligenz. Sony präsentierte eine App, die aufzeigte, wie man einzelne Zutaten eines Gerichts ersetzen kann. Die Firma greift dabei auch die Themen Unverträglichkeiten und Allergien auf. IBM hat ein Programm entwickelt, das Daten anhand von Uploads auf sozialen Medien zusammenträgt. So findet sie heraus, welches der nächste (Food) Trend wird und welche Emotionen damit verbunden sind.  Zudem ist es neu durch die Messung der Hirnströme möglich, herauszufinden, was den Gast am meisten unterhält. So kann das Erlebnis im Restaurant gesteigert, können die Gäste manipuliert werden. 

Welche Gerätschaften sind Ihnen aufgefallen?
Die Köche des Restaurants Disfrutar in Barcelona (E) schwärmten vom Melangeur der Firma Sosa. Das Gerät kommt ursprünglich aus der Schokoladenproduktion. Damit wird zerkleinert und emulgiert. Man kann damit aber auch Fette, Butter oder Öl aromatisieren und färben. Etwa mit Gefriergetrocknetem. 

«Der Besuch solcher Summits ist ein Muss für Gastronomen. Er gibt Inspiration und hilft Köchen, die eigene Handschrift zu finden.»
 

Über einen möglichen Trend, das Aging von Fischen, haben Sie bereits online bei uns berichtet. Können Sie nochmals zusammenfassen?
Das Credo je frischer, desto besser ist überholt! Neben dem Aspekt der Nachhaltigkeit ruft das Aging von Fischen neue, unglaubliche Aromen hervor, wie Josh Niland vom «Saint Peter» in Sydney (AU) und Kōji Kimura vom «Sushi Kimura» in Tokio (JP) eindrücklich zeigten. Sie entziehen den Fischen Blut oder Wasser, so dass kein Nährboden für Bakterien mehr besteht und lassen sie bis zu 60 Tage reifen.

Sie haben die Köchin Elena Arzak vom «Arzak» in San Sebastián explizit erwähnt.
Die ehemalige Studentin der Hotelfachschule Luzern präsentierte Forschungsergebnisse, welche sie und ihr Team zusammen mit dem Basque Culinary Center erarbeiteten. Dabei wurde in Testreihen der Einfluss von natürlichen und isolierten Fruchtenzymen aus Ananas (Bromelin), Papaya (Papain) und Co auf die Textur von Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten untersucht. Studiert man die erarbeiteten und präsentierten Ergebnisse, dann macht es durchaus Sinn, selbst in der gehobenen Küche texturverändernde Enzyme einzusetzen.

Welche Namen muss man sich weiter merken?
Ángel León ist der Rockstar der Madrid Fusión. Tritt er auf die Bühne, wähnt man sich an einem Rockkonzert – der tosende Applaus ist jeweils überwältigend. Jedes Jahr überrascht er mit Neuigkeiten. Er zeigt entweder absolut neuartige Zubereitungstechniken für Fisch oder neu zu entdeckende Zutaten aus dem Meer – diesmal war es ein Wurm. Ivan und Sergey Berezutskiy vom «Twins Garden» in Moskau (RU) verarbeiten Gemüse und andere Zutaten zu Wein. Jeremy Chan vom Restaurant Ikoyi in London (GB) kocht mit afrikanischen Gewürzen sowie Einflüssen aus Senegal. Und Mario Sandoval vom «Coque» in Madrid (E) hat eine Ballaststofflinie entwickelt, etwa auf der Basis von Hafer und Flohsamen.

(Interview Sarah Sidler)


Zur Person

Patrick Zbinden objektiviert, analysiert, verknüpft und archiviert permanent Daten aus den Fachgebieten Essen und Trinken. Er unterrichtet «Food Design» an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern und referiert regelmässig bei Gastrosuisse. Als Sensoriker ist er für Degustationstests für verschiedene Medien verantwortlich.

Verlosung

Die HGZ verlost in Zusammenarbeit mit Patrick Zbinden das Bookazine «Madrid Fusión 2020». Auf über 300 Seiten sind Referatkurzfassungen und Rezepte zu finden. Dafür das Bild in der Zeitung mit der App HG+ scannen.