So holt man vergessene Aromen in die Küche zurück

Küchenchef David Krüger sucht mit seinem Team nach einem neuen Wirkungsort. Derzeit bietet er Kräuterwanderungen an und schreibt an seinem Agefood-Buch.

  • Birne auf Terrine von der Alpgeiss mit Speck, Haferbiskuit und Haselnusskrokant. (Bilder David Krüger)
  • Kamille wird zu Kamillenschupfnudeln und Kamillenkrapfen, Flusskrebse mit Kamillenöl verarbeitet.

Die Sonne brennt. Über dem Asphalt flimmert die Hitze. Und doch gedeihen hier in der Nähe von Rotkreuz/ZG vielerlei Pflanzen. Es scheint, als würde ihnen die Hitze nichts ausmachen. Und vieles, das vermeintlich als Unkraut abgetan wird, ist zum Verzehr geeignet und erst noch äusserst gesund. Die hier gedeihenden Pflanzen liefern neben vielen Vitaminen lebenswichtige Gerb- und Bitterstoffe. «Kräuter gedeihen überall. Im Frühjahr wachsen auf zehn Quadratmetern 40 Kräuter. Jetzt sind es etwas weniger. Doch da dieses Jahr mit dem starken Regen Anfang August die zweite Vegetationsphase begonnen hat, wachsen viele wieder neu», erläutert David Krüger. Ihr Aroma sei jedoch nicht mehr dasselbe wie im Frühjahr. Es verändere sich mit der Jahreszeit – und mit dem Standort. Wald-Ziest etwa könne nach Heu oder nach Pilzen schmecken.

Seit rund 20 Jahren widmet sich der ehemalige Executive Chef des Hotels Ambassador à l’Opéra in Zürich den Wildpflanzen. Er hat 2015 die Firma Agefood gegründet und kochte im Zürcher Viersternehotel seit 2018 nach Agefood-Kriterien. In der Agefood-Küche werden Produkte verwendet, welche schon seit Jahrtausenden so in der Natur vorzufinden sind, oder diesen Arten sehr nahe kommen. Seine Küche wurde innert acht Monaten mit 15 Gault-Millau-Punkten dotiert. Da das Hotel Ambassador, das dazugehörende Restaurant und die Dachterrasse aufgrund einer Gesamtsanierung bis Mitte 2021 geschlossen sind, bietet David Krüger derzeit zweimal wöchentlich Kräuterwanderungen an. Viele seiner verwendeten Produkte kommen aus Wäldern, Seen und Bergregionen, da diese am ursprünglichsten sind. Deshalb zweigt er baldmöglichst von der heissen Asphaltstrasse in einen lauschigen Waldweg ab.

Schritt für Schritt führt David Krüger auf dem Spaziergang durch den Wald in die Welt der Wildkräuter. Während zwei Stunden erhält man geballtes Wissen. «Das hier ist Labkraut. Es wurde früher zum Käsen verwendet. Das ist die Wicke. Gerichte mit der wilden Erbse hatten wir immer auf der Karte. Verwendet man sie mit Mädesüss in einer Suppe, entstehen Mandel-, Melonen- und Honigaromen.» Die Gundelrebe eignet sich mit ihrem Mentholaroma bestens für die Pâtisserie. «Wildkräuter sind ein Gewürzersatz.» Das hübsche Blatt des Frauenmantels verwendet David Krüger als Frühlingsrolle. So geht es weiter. 

Intensiv erforschte Lebensmittel

In der Agefood-Küche verwenden der Schüler von Ausnahmekoch Harald Wohlfahrt und sein Team rund 200 meist selbst gesammelte Produkte. «Wir haben fast alles ausprobiert.» Nach dreijähriger intensiver Forschung wissen sie nun, dass die Saat der wilden Möhre nach dem Apfel Granny Smith duftet und Sauerklee mit Rahm nach Banane. «Mit Gerichten wie der Malvenkaltschale und der Fünfwurzelsuppe mit Wald-Ziest und gebeizten Karpfen bringen wir die technischen und sensorischen Kochtechniken aus dem Dreisternelokal mit dem Aroma und der Einzigartigkeit von Wildkräutern zusammen», so der 46-Jährige.

«Schön wäre es, wenn ich mit meinem Team in einem kleinen Lokal weiter nach dem Agefood-Konzept kochen könnte.»

David Krüger, Sternekoch


Dieses enorme Wissen bündelt er derzeit mit seinem Sous-chef und 3D - Fooddruck - Spezialisten, Niclas Ohrmann, in einem Buch. Das Werk ist zu 80 Prozent fertig und widmet sich ganz dem Agefood-Konzept. Es ist hochwertig bebildert und bietet neben zahlreichen Tipps und Tricks über hiesige Wildkräuter und -pflanzen, 80 Gerichte und 130 Rezepte. 30 Rezep-
te davon widmen sich Friandises wie süsser Kastanienrinde oder Mispeltarte. 30 Haltbarkeitsarten garantieren eine Versorgung während des ganzen Jahres. 

Bereit für neue Herausforderung

Wer das Potenzial der Agefood-Küche und David Krügers Team erleben möchte, hat vom 10. bis 12. September im «Opera» die Möglichkeit dazu. Reservationen unter Agefood.ch. Jeweils abends präsentiert die Crew ein Fünfgangmenü. «Ich hoffe, dass wir unser Können weiterhin gemeinsam mittels des Agefood-Konzepts umsetzen können», so David Krüger. Ab November ist er mit seinem Team verfügbar für neue Herausforderungen. Am liebsten in einem Lokal mit wöchentlich wechselndem Menü.

(Sarah Sidler)



David Krüger

Der 46-jährige gebürtige Deutsche weist 25 Jahre Erfahrung als Küchenchef und gastronomischer Leiter in Betrieben mit Flair für natürliche Produkte auf. Den Grundstein seiner Haltung zu Produkten erlernte er bei Harald Wohlfahrt in der «Traube Tonbach» im Schwarzwald. 2000 schloss er die Ausbildung zum Küchenmeister als Jahrgangsbester ab. Er ist Foodfotograf und Chefreferent in Kochschulen und für Teamschulungen. Seit 2014 arbeitet er nach der Agefood-Philosophie. Diese wurde 2018 im «Opera»
in Zürich innert acht Monaten mit 15 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet.

Kräuterwanderungen

Immer donnerstags und samstags ab 13 Uhr oder nach Vereinbarung vermittelt der Kräuterprofi innert zwei Stunden geballtes Wissen unserer Ahnen über Aromen und Verwendung von Urprodukten. Die verteilten Kräuter-Eistees und Agefood-Cookies zeigen auf, welch riesiges Potenzial in unseren Wiesen und Wäldern vorhanden ist.