Der mit dem Käse spricht

Zu Gast in Thun bei Affineur Christoph Bruni. An einem Tag, an dem er seine Passion für den Käse wieder einmal verflucht. Das Problem: Dieser Mann ist kompromisslos.

  • «Ich bin ein Spinner», sagt Christoph Bruni über sich selbst. (Bilder Lea Hepp)
  • Mehr als zehn Jahre lagert dieser Pouligny St-Pierre schon: «Den Ziegenkäse würde nicht jeder mögen.»
  • Affiniert: Brunis Käse kriegt viel Pflege.

Christoph Bruni ächzt. Die Kälte setzt ihm unerbittlich zu. Minus sieben Grad Celsius zeigt das Thermometer an diesem Mittag Ende Januar an. Erst gerade hat er drei neue Holzscheite in den Ofen gelegt, der sein Einfamilienhaus aufwärmt, schon muss Bruni wieder ins Freie. Der Lastwagen mit dem Käse aus Frankreich ist angekommen. Ein langärmliges Funktionsshirt, zwei Pullover und eine kurze Dehnübung, um die Gelenkschmerzen zu bekämpfen. Dann geht es raus in den frostigen Winter.

«Merde», schimpft Bruni, als er die Lieferung kontrolliert. Auf Französisch – damit es der Käse versteht? Ob er mit der Ware unzufrieden ist oder ob es an der aufwendigen Verpackung liegt, die ihm zu schaffen macht, erschliesst sich nicht. Säuberlich werden die Holzkistchen zerlegt, die Klebstreifen landen in einem separaten Abfallbehälter. «Früher habe ich sogar die Heftklammern abgetrennt. Ist ja Wahnsinn, wie viel Metall weltweit täglich im Müll landet.» Damit kommt er nicht klar.

Das ist die Lebensgeschichte des Christoph Bruni. Schon als kleiner Junge im bernischen Liebefeld fragt er sich, weshalb es sein müsse, dass jene, die Nahrung verkaufen, sich Nahrung kaum leisten können. Später übersetzt er in seinem Plattenladen Songtexte, um die Leute auf die faschistischen Inhalte aufmerksam zu machen. 1984 gehört er zu den Besetzern der Reithalle.

Und wie findet man von da den Weg zum Käse-Experten? Über Drogen. Bruni konsumierte harte Drogen, auch um die Trennung seiner Eltern zu verarbeiten. Er wird schwer krank, erleidet noch als Teenager ein Magengeschwür. Erst dank einer Aromatherapie geht es wieder aufwärts. Da beginnen ihn Nahrungsmittel, ihr Wesen und Wirken, zu interessieren. Als seine Freunde Anfang der neunziger Jahre einen Quartierladen eröffnen, nehmen sie Bruni mit ins Boot. Da entdeckt er die Liebe zum Käsekeller. «Es faszinierte mich, wie zwei gleichentags produzierte, identische Käse sich anders entwickeln, wenn sie in unterschiedlichen Kellern gelagert sind.»

Wie ist die Stimmung beim Käsen? Wie geht es den Tieren?

Bruni kauft sich das Buch «Käse. Die 200 besten Sorten der Welt» und taucht ein in die Welt des Milcherzeugnisses. Immer tiefer, immer kompromissloser. In sein Sortiment schaffen es nur Rohmilchprodukte, der Hintergrund des Produkts ist mindestens ebenso wichtig wie Aroma und Textur. «Mir ist wichtig, wie die Stimmung unter den Mitarbeitern ist und wie man die Tiere behandelt.» Er kennt seine Produzenten persönlich, holt die Ware vielerorts selbst ab, den «Tête de Bruni», einen zarten, leicht pikanten Kuhkäse, stellt Michel Beroud in Rougemont/VD eigens für ihn her.

Seit über zwanzig Jahren verkauft Bruni Käse zweimal wöchentlich auf dem Markt auf dem Bundesplatz. Moritz Leuenberger sei der einzige Bundesrat gewesen, der je bei ihm eingekauft habe. Ueli Maurer grüsse immerhin freundlich. Seine Käuferschaft aber seien Stammkunden. Sie schätzen Brunis Produkte und seine Feinarbeit. Diese macht ihn nämlich zum Affineur. «Das ist kein geschützter Titel. Jeder, der Käse bewusst behandelt, ist eigentlich ein Affineur.» Ein Verfeinerer, Veredler.

Bruni entschuldigt sich beim Käse und spricht mit lästigen Fliegen

Ein solcher kann gewiss jeder sein, aber keiner ist wie Bruni. Nicht nur, dass er Käselaibe wäscht, Stücke behutsam umpackt und genau weiss, welcher Käse wie lang und unter welchen Bedingungen reifen muss, um zum perfekten Zeitpunkt über den Ladentisch zu gehen. Nein, Bruni spricht sogar mit dem Käse. «Ja, ich habe mich zum Beispiel schon beim Käse dafür entschuldigt, wie ich ihn behandle. Er verdient Respekt.» Auch die lästigen Fliegen habe er im Sommer vom Käse weggekriegt, indem er zu ihnen gesprochen habe. «Ihr dürft überall hin, nur meinen Käse lasst bitte in Ruhe», habe er sie gebeten. Es hat funktioniert.

«Ich bin ein Spinner», gesteht Bruni. Einer, dessen veredelte Produkte auf den Käsetellern der Spitzengastronomie serviert werden. In den beiden Solothurner Betrieben «Traube» in Trimbach und «Attisholz» in Riedholz, die je mit einem Michelin-Stern und 17 Gault-Millau-Punkten dekoriert sind. Sogar im New Yorker «NoMad» des Schweizer Starkochs Daniel Humm kamen die Gäste schon in den Genuss von Brunis Käse.

Doch wann soll der Käsegang denn nun serviert werden: Vor dem Dessert oder danach? «Da bin ich entspannt», verrät Bruni. «Es ist beides schön, die Mahlzeit mit dem Geschmack des Desserts oder mit jenem von Käse zu beenden.»

Warum nicht den Käse hinschmeissen und Bestatter werden?

Aus drei Gründen gönne er sich gerne einen Käseteller. Erstens helfe er bei der Verdauung, zweitens sei oft noch ein Schluck Wein übrig, der sich zu Käse besonders schön trinke. Und drittens sei der soziale Akt des Teilens eines Käsetellers erwähnt.

Wobei das mit dem sozialen Aspekt bei Bruni gerade nicht zutrifft. «Wegen meiner übermässigen Passion habe ich alles verloren.» Während andere Freundschaften pflegen, pflegt er Käse. Zuletzt scheiterte auch seine langjährige Ehe. «Jeden Tag denke ich: Hätte ich es mir doch nur leichter gemacht.» Könnte er nochmals von vorne beginnen, Bruni würde sich nicht mehr für Käse entscheiden.

Vor einem Jahr wollte er alles hinschmeissen. Er bewarb sich um eine Praktikumsstelle als Bestatter. Als er erfuhr, dass die Särge aus Polen stammten und teils mehrfach verwendet würden, liess er davon ab. Lieber möchte er künftig ein wenig entschleunigen und wieder Kontakte aufbauen. Wie sich das mit seiner Kompromisslosigkeit vereinbaren lässt, weiss Bruni selbst noch nicht. Was er aber weiss: dass er dringend den frisch gelieferten Käse einbetten muss. Der harrt nämlich schon seit Stunden bei Minusgraden aus. Sorry, lieber Käse.


Der Käsegang

Laut Christoph Bruni erlebt der Käsegang in den letzten Jahren einen Aufschwung. Seine Tipps für den perfekten Käsegang:

  • Nicht mehr als vier bis fünf Käsesorten auf den Teller
  • Dem Gast nicht zu viel erzählen – es geht um den Käse, nicht um den Gastgeber
  • Die Variation macht es aus: extrahart, hart, weich, flüssig, frisch
  • Soll es nur ein kleiner Käseteller sein, dann kommen je ein Hartkäse, ein Weichkäse und ein Blauschimmelkäse drauf
  • Den Käse sinnvoll anrichten und damit dem Gast die Möglichkeit einer logischen Reihenfolge geben: zuerst fein, dann kräftig, sonst geht der milde Käse unter
  • Feigensenf, Chutneys und Co. sehen auf dem Teller hübsch aus und können eine zusätzliche Dimension hervorbringen, sind aber kein Muss
  • Kein No-go: Es gibt keinen Käse, der grundsätzlich nicht auf einen Käseteller darf

 

Kontakt

Bruni L’Art du Fromage
Bürglenstrasse 11
3600 Thun
Tel. 079 432 99 06
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