Hotelmitarbeitende lernen Selbstschutz

Nicht alle Gäste sind friedliche Zeitgenossen. Besonders wenn Alkohol im Spiel ist, steigt die Gewaltbereitschaft. Gastgewerbler sollten wissen, wie sie sich verteidigen können.

Übungssache: Zuerst ein lautes «Stop» und wenn das den Angreifer nicht bremst, folgt ein gezielt platzierter Kniestoss.(Rif)

Alessia Kerber ist Team Supervisor im Restaurant im 25hours Hotel an der Zürcher Langstrasse. Früher arbeitete sie auf der spanischen Insel Ibiza. Dort erlebte sie, wie ein betrunkener Gast im Streit mit einer zerbrochenen Flasche einen anderen Barbesucher so verletzte, dass dieser verstarb. 

Ihr Erlebnis ist besonders schrecklich. Doch auch alle anderen Teilnehmenden am Workshop «Umgang mit aggressiven Personen» haben Erfahrungen mit gewaltbereiten Gästen gemacht. Dieser eintägige Kurs findet im Rahmen einer internen Weiterbildung der beiden Zürcher 25hours Hotels statt. 

Freiraum schaffen und abhauen

Neben theoretischem Wissen über die verschiedenen Aggressorentypen lernen die Mitarbeitenden auch, sich körperlich zu wehren. Dies immer mit dem Ziel, sich den nötigen Freiraum zu verschaffen, um sich in Sicherheit zu bringen.

«Ihr werdet nicht dafür bezahlt, euch spitalreif schlagen zu lassen», sagt Tian Wanner. Er ist Kommunikations- und Selbstverteidigungstrainer. Wie aggressiv Gäste werden, weiss der Kursleiter aus eigener Erfahrung. Wanner arbeitete früher als Türsteher. 

Nachgeben oder strikt sein?

«Das grösste Sicherheitsrisiko ist oft das eigene Ego», sagt Wanner.  Dabei sei Deeskalation oft die beste Selbstverteidigung. Zumal man emotionale Konflikte mit alkoholisierten Gästen nicht rationell lösen kann. Er rät: «Hört auf eure Intuition. Sie ist eine perfekte Warnanlage und es wäre dumm, sie zu ignorieren.»

«Greift dich jemand an, ist der Gegenangriff oft die einzige Handlungsoption.»
 

Ein weiterer Tipp des Kursleiters: «Stellt euch immer wieder einmal bildlich vor, wie ihr in bestimmten Szenarien reagieren könntet. Dann seid ihr nicht so überrascht, wenn ihr wirklich einmal in die Situation geratet.» 

Es gibt drei Hauptmotive für Gewaltbereitschaft bei Gästen.

  • Ressourcenbeschaffung: Der Angreifer will etwas, zum Beispiel Geld, und ist bereit, Gewalt einzusetzen, um es zu bekommen (Raubüberfall). 
  • Status: Der Aggressor will sein Ansehen als cooler Typ bei einer Person oder Personengruppe stärken. Er führt dazu einen so genannten Affentanz auf, um zu zeigen, dass er der grösste Affe im Urwald ist.
  • Selbstwert: Der Aggressor fühlt sich in seinem Selbstwert angegriffen, wenn seinem Wunsch nicht entsprochen wird. Zum Beispiel, wenn der Barkeeper einem sichtlich betrunkenen Gast keinen Alkohol mehr ausschenkt.

Ob man status- und selbstwertmotivierten Aggressoren nachgibt oder sich widersetzt, hängt von der Situation sowie der körperlichen und physischen Konstitution des Mitarbeitenden ab. 

Kein allgemeingültiges Rezept

Manchmal lässt sich die Situation auflösen, wenn man das eigene Ego zurückstellt und dem aggressiven Gast seinen Willen lässt. Manchmal ist es aber zielführender, selbstbewusst aufzutreten und körpersprachlich eine klare Grenze zu ziehen: Gewicht auf beide Beine verteilen, aufrechte Haltung, Schultern zurück, Blick leicht über die Kopfhöhe des Gegenübers richten und die Arme in einer lockeren, jedoch abwehrbereiten und schützenden Haltung auf Brusthöhe halten. Ruhig und höflich mit dem Aggressor sprechen. Dieses Auftreten kann eine brenzlige Situation entschärfen. 

Nicht auf den Schlag warten

Leider lassen sich nicht alle aggressiven Gäste so beschwichtigen. Falls man sich körperlich zur Wehr setzen muss, sollte man nicht damit warten, bis der Gegner schon zugeschlagen hat. 

Aus diesem Grund trainieren die 25hours-Mitarbeitenden mit Tian Wanner neben Abwehr- auch Angriffstechniken und die sichere Flucht. Denn die beste Selbstverteidigung ist immer noch, der Gewalt so rasch wie möglich aus dem Weg zu gehen und sofort die Polizei zu rufen.

(Riccarda Frei)


Das sagt das Gesetz

StGB Artikel 15, Rechtfertigende Notwehr

Wird jemand ohne Recht angegriffen* oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren.

*Mit Recht angreifen darf in der Schweiz  beispielsweise die Polizei.

 

Mehr Informationen unter:
www.functionalfighting.ch