Stress ist ein Branchenkiller

Auf Mitarbeitende im Gastgewerbe entfällt immer mehr Arbeit. Sie sind erschöpft und gehen weg. Was tun, um sie zu halten?

Wer permanent erschöpft ist, sieht keine Zukunft im Beruf. (Adobe-Stock)

Es ist eine alarmierende Entwicklung: Zwischen 2016 und 2022 steigt die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in der Schweiz unter Stress und Erschöpfung leiden, von 38 auf 43 Prozent. Als Folge davon erkranken immer mehr Arbeitnehmende psychisch oder körperlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage der Dachorganisation Travail Suisse, der auch die Hotel & Gastro Union angehört. «Die Arbeitsprozesse wurden in den vergangenen Jahren stetig beschleunigt, gleichzeitig verlangen Arbeitgebende in den Betrieben  immer mehr Flexibilität von den Arbeitnehmenden», sagt Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travail Suisse.

Besonders prekär ist die Situation im Gastgewerbe. Der an-haltende akute Personalmangel belastet die Betriebe und die Angestellten. Fällt ein Mitarbeitender aus, muss die anfallende Arbeit durch andere aufgefangen werden. Im schlimmsten Fall werden ganze Dienstpläne geändert und Ruhetage gestrichen. Ein grosser Pool an Aushilfen, welcher Ausfälle kompensieren könnte, existiert nur noch in wenigen Betrieben. «Das Gastgewerbe hat es in der Vergangenheit verpasst, genügend attraktive Rahmenbedingungen anzubieten, um die Arbeitnehmenden in der Branche zu halten und genügend Nachwuchs zu rekrutieren», so die Analyse von Roger Lang, Leiter Rechtsdienst und Sozialpolitik bei der Hotel & Gastro Union.

Teildienste und die Tagesarbeit auf zehn Stunden minimieren

Wo muss der Hebel angesetzt werden, um die Bedingungen zu verbessern? Die Arbeitnehmerorganisation der Branche sieht vier Ansatzpunkte. Erstens: Teildienste minimieren. Die immer noch weit verbreiteten Zimmerstunden könnten beispielsweise in Küchen wegfallen, wenn in den Betrieben moderne Prozesse und Arbeitsweisen für Vorproduktionen eingeführt würden. Allgemein for­-dert die Hotel & Gastro Union, dass der Zeitraum der Arbeit von zwölf auf zehn Stunden reduziert werden soll.

Den Monatsdienstplan zwei Wochen im Voraus bekommen

Zweiter Ansatzpunkt ist eine frühzeitige Bekanntgabe von Dienstplänen, damit Mitarbeitende ihre Zeit mit der Familie oder für ihre Hobbys besser planen können. Die Hotel & Gastro Union fordert deshalb, dass die Dienstpläne zwei Wochen im Voraus bekanntgegeben werden müssen und dass kurzfristige Änderungen von den Arbeitnehmenden abgelehnt werden können.

Dritter Ansatzpunkt: Für die hohe Arbeitsbelastung braucht es genügend Ausgleich. «Wer einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt ist, kaum wertgeschätzt wird und dann noch ein tiefes Einkommen hat, der ist besonders schnell erschöpft und desillusioniert», so Roger Lang. Die Hotel & Gastro Union fordert deshalb, die maximale wöchentliche Arbeitszeit ­auf 40 Stunden zu beschränken und die Löhne auf allen Stufen ­anzuheben. Gesetzesänderungen herbeizuführen braucht viel Zeit. Die Hotel & Gastro Union sieht den Königsweg in der Sozial­­partnerschaft. «Lösungsvorschläge können wir nur mit den Arbeitgeberverbänden erarbeiten und in einem neuen Landes-Gesamtarbeitsvertrag verankern», sagt Roger Lang.

Seit Mai 2019 setzt der Arbeitgeberverband Gastrosuisse allerdings auf Blockade. Die Hotel & Gastro Union macht deshalb Druck. Die im Herbst 2022 lancierte Unterschriftensammlung «Gemeinsam gegen Personalmangel» läuft auf Hochtouren. Bereits mehr als 13 000 Personen haben die Kampagne unterschrieben. Damit machen sie deutlich, dass die Probleme der Branche endlich angepackt werden müssen. Wenn nicht, wächst die Zahl jener, die unter Erschöpfung leiden, weiter. Mit der Folge: Immer mehr Mit-arbeitende kehren dem Gastgewerbe den Rücken.

(Jörg Ruppelt)


«Gemeinsam gegen Personalmangel»

Mit der breit angelegten Unterschriftensammlungverbindet die Hotel & Gastro Union vier wichtige Forderungen:

  • Eine bessere Ausbildung von Mitarbeitenden und Arbeitgebenden
  • Eine wertschätzende Führungskultur der Arbeitgebenden
  • Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit
  • Eine generelle Lohnerhöhung auf allen Qualifikationsstufen

Mehr Informationen unter:

gegen-personalmangel.ch