In der Weinwelt spielen Naturweine eine Nebenrolle. Genau das macht diese so interessant für die Gastronomie.
Sven Stauffer: Lassen Sie uns doch bitte von lebendigem Wein oder Real Wine sprechen.
Diese Begriffe sind treffender als der mittlerweile schon fast überpopuläre Begriff Naturwein.
Vor ungefähr sieben Jahren lernte ich Severin Aegerter von der Weinhandlung Cultivino kennen. Er hatte damals schon verstanden, dass Weine der Logik eines Ortes folgen sollen und nicht der des Massengeschmacks. So erfuhr ich, dass Energie und Vitalität im Wein eine wichtige Rolle spielen und dass man dadurch den Ursprung erkennen kann. Seither betrachte ich Wein aus einem anderen Blickwinkel.
Ja. Bei Severin Aegerter konnte ich etliche Real Wines probieren. Das waren prägende Momente, und ich bin immer wieder auf die lebendigen Weine zurückgekommen – obwohl ich damals noch überhaupt kein Profi war.
Das Angebot an lebendigen Weinen ist sehr beliebt bei unseren Gästen und weckt deren Neugier. Florian Stalders Küche besticht durch authentischen Geschmack, für mich war deshalb von Anfang an klar, dass wir ausschliesslich mit lebendigen, authentischen Weinen arbeiten werden. Sie passen einfach besser zu unserer Küche. Die Gäste verstehen das für uns so wichtige Zusammenspiel von Essen und Trinken und haben grosse Freude an den Erfahrungen, die sie bei uns machen können.
Sind sie total überrascht, welche Geschmackswelten sich ihnen öffnen, oder verwundert, dass Wein eine solche Vitalität enthalten kann. Es gibt aber auch Gäste, die ein wenig Zeit brauchen, um den Zugang zu finden.
Manchmal mehr, manchmal weniger, so, wie das bei konventionellem Wein auch der Fall ist. Ich lasse die Weine für sich sprechen und gebe den Gästen die Chance, den Wein erst selber zu entdecken, bevor ich Erklärungen abgebe. Oft ist es so, dass Weine, die in meinen Augen eher als komplex und anspruchsvoll gelten, den Gästen einfacher zu servieren sind als ein etwas banalerer und weniger facettenreicher Wein.
Nein. Aber das wäre kein Problem. Es geht um die Erfahrung. Real Wines haben andere Aromen und oft mehr Tannine als konventionelle Weine. Die Faszination, die davon ausgeht, ist sehr gross.
Das kommt ganz auf den Wunsch des Gastes und den Abend an. Glasweise hat man die Möglichkeit, mehrere Weine zu verkosten. Ich empfehle, Zeit mit dem Wein zu verbringen. Um einem Wein wirklich gerecht zu werden und seine Phasen zu erleben, sollte man ihm mindestens eine Flasche lang Zeit lassen. Wir verkaufen sicherlich überdurchschnittlich viele Flaschen, schätzen aber auch die Möglichkeit, durch den Offenausschank einzelne Gerichte perfekt zu begleiten.
Mittlerweile gibt es da schon ein paar Weinhändler, die ein wirklich gut selektioniertes Sortiment an lebendigen Weinen führen. Durch persönliches Interesse lernte ich über die Jahre nebst Severin Aegerter Menschen wie Martin Helfer von Weinkultur Bern oder auch Sascha Pauli von «Urban und Ich» kennen. Sie haben mir extrem geholfen, Gleichgesinnte zu treffen, so habe ich mir mittlerweile ein Netzwerk aufbauen können, welches über die Schweizer Grenze hinausgeht.
Weder noch. Lebendigen Wein hat es ja immer schon gegeben, und es wird ihn auch immer geben.
(Interview Gabriel Tinguely)
Sven Stauffer führt zusammen mit Florian Stalder das Restaurant Moment in Bern. Die gelernten Köche, beide Mitte zwanzig, lernten sich an der Hotelfachschule in Thun kennen. Sie teilen die Leidenschaft für das gastronomische Handwerk. Dabei spielen eine saisonale Küche mit Produkten aus der Region und lebendige Weine eine wichtige Rolle.
*) Als Naturwein wird Wein aus biologischem oder biodynamischem Rebbau bezeichnet, der mit traubeneigenen Hefen spontan vergärt und unfiltriert und ohne Sulfite als Konservierungsmittel abgefüllt wird. Sven Stauffer nennt diese Art von Wein lebendigen Wein oder Real Wine. Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht. Häufig ist auch von Raw, Orange oder Amber Wine die Rede.