Zahlungsmittel mit Mehrwert

Kryptowährungen polarisieren. Sie lösen Euphorie, Misstrauen oder Zukunfts­ängste aus. Das digitale Geld ist nicht nur ein Zahlungsmittel und Spekulationsgut, sondern der Anfang einer tiefgreifenden Entwicklung.

  • Wann die Kryptowährung «Guru» im Skigebiet der Weissen Arena eingeführt werden soll, ist noch offen. Bis März wird das Produkt noch entwickelt, dann folgt eine ausführliche, geschlossene Testphase. (Bilder ZVG / Keystone)
  • Der vernetzte Gast: Bereits über 150 000 User haben die «Inside Laax»-App heruntergeladen. Ob Kryptowährung oder App – nicht die Digitalisierung ist die grösste Herausforderung, sondern dass die Mitarbeitenden die gebuchten Leistungen in Echtzeit erbringen können.
  • Reto Gurtner ist Präsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung der Weissen Arena AG in Laax–Flims–Falera.

Banken bangen um ihre Existenz. Sollten sich Kryptowährungen  als Hauptzahlungsmittel durchsetzen, werden viele Kerndienstleistungen der Geldinstitute ­überflüssig. Schon heute braucht es zum Führen eines Bitcoin-­Kontos keine Bank mehr. Das gilt auch für das Überweisen von di­gi­­tal­em Geld via Blockchain (siehe Info-Box unten).

Für das Gastgewerbe sind Bitcoin und Co. in der Regel einfach zusätzliche Währungen so wie Euro oder US-Dollar. Die meisten Betriebe akzeptieren jedoch noch keine Kryptowährungen. Eine Ausnahme ist das Hotel Adula in Flims. Die Gäste können hier an einem Automaten Bitcoin kaufen oder verkaufen und auch damit bezahlen. «Das wird bisher allerdings kaum genutzt», sagt die Marketingleiterin des Hotels Adula Marion Minarik.

Für den visionären Denker Reto Gurtner sind Kryptowährungen eine Chance, seine Gäste besser zu verstehen. Der Präsident der Weissen Arena AG von Flims-Laax-Falera sieht in der Blockchain-Technologie zudem ein Hilfsmittel, um Unternehmen wirtschaftlicher zu führen.

Arbeitsschritte reduzieren

«Das heutige Bezahlsystem ist ­ineffizient, personal- und mate­ri­al­­intensiv und somit teuer», sagt Reto Gurtner. Ob mit Bargeld oder Kreditkarte bezahlt wird, es braucht jemanden, der einen Bon oder eine Rechnung ausstellt, einkassiert, den Tagesabschluss macht und das Geld zur Bank bringt. In der Buchhaltungsabteilung werden die Transaktionen erneut kontrolliert und verbucht. Und auch die Bank muss die Zahlungen nochmals erfassen. 

«Dieser administrative Aufwand ist doch ein Irrsinn», findet Gurtner. «Beim Zahlen mit einer Kryptowährung müsste jede Transaktion dank der Blockchain-Technologie nur ein einziges Mal erfasst werden. Alle, vom Gast über den Dienstleister bis zum Steuerprüfer, können den Vorgang jederzeit einsehen und nachvollziehen.» Statt administrativer Routine­arbeit könnten Mitarbeitende spannendere, gewinnbringende Auf­gaben übernehmen. Etwa als ­persönliche Gästebetreuer und Erlebnisgestalter.

Mit dem «Guru» Geld sparen

Noch kann in der Weissen Arena Flims-Laax-Falera nicht mit digitalem Geld bezahlt werden. Reto Gurtner will das ändern. Gleichzeitig will er unabhängig von
externen Anbietern bleiben. Deshalb ist er daran, ein geschlossenes System mit einer eigenen Kryptowährung aufzubauen. Diese soll im Wert einem Franken entsprechen und «Guru» heissen. So lautet auch Gurtners Spitzname bei den Einheimischen; hier steht «Guru» für «Greatest User Return Unit». Also eine Währung, die dem Anwender den grösstmöglichen Nutzen bringt. Wobei mit Anwender der Gast wie auch die Weisse Arena gemeint sind.

Der «Guru» soll in Kombination mit der bereits bestehenden «Inside Laax»-App unter anderem zur Verkaufsförderung, Gästebindung, als Bonussystem und zum Steuern der Frequenzen dienen.

Gäste, die mit «Guru» bezahlen, werden einen konkreten Mehrwert erhalten. Das können exklusive Angebote wie beispielsweise Bevorzugung bei Tisch­reservationen oder frequenzabhängige, spontane Spezialangebote sein. In der Praxis könnte das etwa so aussehen: Per App werden alle User informiert, dass von 14 bis 16 Uhr in einem bestimmten Bergrestaurant ein «Guru» doppelt so viel Wert hat wie im übrigen Skigebiet.

Davon haben alle etwas. Der mit «Guru» bezahlende Gast spart und sammelt gleichzeitig Bonuspunkte, so genannte Tokens. Die kann er im Rahmen eines Bonusprogramms gegen Dienstleis­tun­gen oder Waren eintauschen. Das Bergrestaurant steigert in ­einer frequenzarmen Zeit seine Auslastung und die Weisse Arena AG kommt zu noch mehr und ­genaueren Gästedaten.

Daten sammeln, um ökonomischer zu arbeiten

Bereits heute hinterlassen die Gäste überall in der Weissen Arena digitale Spuren. «Knapp jeder zweite Gast hat unsere ‹Inside Laax›-App heruntergeladen», sagt Reto Gurtner. Was den 63-Jährigen besonders freut: «Es sind nicht nur die Jungen, die unsere App nutzen. Unter den Top-Usern hat es erstaunlich viele Senioren.»  Das liegt wohl daran, dass die App nicht bloss ein digitaler Prospekt, sondern ein hilfreiches Tool ist. Zum Bestellen eines ­Menüs ebenso wie zum Kaufen von Tickets oder dem Messen und Vergleichen der persönlichen ­Performance auf den Skipisten. ­Gurtner ist überzeugt, dass sich mit der Einführung einer eigenen Kryptowährung in Verbindung mit der App weitere, noch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

«Je  besser wir den einzelnen Gast kennen, desto individuellere Angebote und Erlebnisse können wir ihm bieten», sagt Reto Gurtner. Dieses Wissen hat aber auch ganz klar betriebswirtschaftliche Vorteile für die Weisse Arena AG.

Gurtner räumt ein: «Die Daten aus der App und dem «Guru»-­Zahlungsverkehr werden uns helfen, die Betriebskosten zu senken.» Basierend auf der Analyse der ­Daten wisse man frühzeitig, wer sich wann, wie lange und wo im Skigebiet aufhalten werde und kenne sein Konsumverhalten in der Gastronomie. Dementsprechend müsse man an jenem Tag nur die Anlagen und Restaurants öffnen, die zum Verhaltensprofil der Mehrheit der Gäste passen.

Den Gast bewerten

«Wie wertvoll ist dieser Gast für mein Unternehmen?» Diese Frage lässt sich nach der Einführung der Kryptowährung anhand mess­barer Fakten klar beantworten. Wobei der Wert eines Gastes nicht ­allein von dessen Kaufkraft ­abhängt, sondern von einem ­Potpourri weiteren Faktoren.

«Bisher haben die Gäste immer uns bewertet, neu werden wir die Gäste bewerten können», sagt Reto Gurtner. Der «Guru» werde ein gutes Instrument sein, um die wertvollen Gäste ganz individuell zu belohnen und weniger wertvolle Gäste zu motivieren, in diese Liga aufzusteigen.

Die Zukunftsvision vom gläsernen Gast kommt nicht bei allen gut an. Als Reto Gurtner in einem Interview mit der Onlinezeitung Watson die geplante Einführung des «Guru» ankündigte, hagelte es negative Kommentare. Die meisten Schreibenden prangerten die Datensammlerei an. Reto Gurtner hat dafür wenig Verständnis. Überall auf den Social-Media-Kanälen würden die Daten der User gesammelt, ohne dass diese einen Profit davon hätten. «Bei uns haben die Gäste einen konkreten Mehrwert, wenn sie uns ihre Daten geben.» ­Ausserdem werde niemand zum Bezahlen mit «Guru» genötigt.

«Wer will, kann in der ­Weissen Arena auch in Zukunft mit Bargeld zahlen. Er verzichtet allerdings auf viele Vorteile und wird Leistungen wie Parkplatz- oder Tischreservationen nicht mehr buchen können.»

Ob und wann der «Guru» tatsächlich kommt, ist ungewiss. Ende März wird entschieden, ob man das Projekt weiterverfolgen will. Bis jetzt sind in dessen Ent­wicklung 200'000 Franken investiert worden. Eingeführt wird der «Guru» erst, wenn sich das ­­System in einer intensiven Testphase bewährt hat.

Kopierbar für andere Tourismusdestinationen

Reto Gurtner plant, das System auch anderen Tourismusunternehmen und -destinationen zugänglich zu machen. Sie können die Währung dann natürlich nach ihren Wünschen umbenennen.

Wäre eine einheitliche Kryptowährung für den Schweizer Tourismus nicht sinnvoller als viele regionale? Martin Nydegger, Direktor von Schweiz Tourismus, sagt dazu: «Die Digitalisierung funktioniert weltweit und jenseits nationaler Grenzen. Eine Schweizer Lösung erachten wir deshalb als wenig sinnvoll.» Hingegen freut sich Nydegger über die Initiative der Weissen Arena AG: «Sie zeugt von der Innovationskraft der Branche, auch wenn ­solche Initiativen noch Einzelfälle sind und wir uns in der Früh­­phase befinden.»


Was ist eine Blockchain?

Die Blockchain ist ein neutrales Informationsverarbeitungssystem, also eine riesige Datenbank. Sie gehört keiner bestimmten Person oder Unternehmung, sondern allen Teilnehmenden. In der Blockchain werden alle Transaktionen für alle Teilnehmenden sicht- und nachvollziehbar festgehalten. Sie können bearbeitet, aber nie gelöscht werden. Die Teilnehmenden können sich gegenseitig Daten, zum Beispiel digitales Geld, innert weniger Minuten hin- und herschicken. Dies ohne einen Vermittler oder Zwischenhändler wie etwa eine Bank einzubeziehen. Die in Blöcke portionierten Daten sind weltweit auf viele einzelne Computer verteilt. Diese sind wie die Glieder einer Kette miteinander verbunden. Dank ihres dezentralisierten Aufbaus ist eine Blockchain, im Gegensatz zu einem einzelnen Server, kaum zu hacken. Blockchain gilt daher als eine sehr sichere Technologie.


Zahlen und Fakten

  • Fast 2000 Kryptowährungen gibt es zurzeit weltweit. Laufend kommen neue dazu.
  • Die bekannteste und am weitesten verbreitete Kryptowährung heisst Bitcoin.
  • 2008 wurde Bitcoin lanciert und zwar von Satoshi Nakamoto. Wobei niemand weiss, wer sich hinter diesem Pseudonym verbirgt. Auch ist unklar, ob sich hinter diesem Namen eine Einzelperson, eine Personengruppe oder eine ­Organi­sation verbirgt. 
  • 10 Millionen Menschen weltweit bezahlen bereits regelmässig mit Bitcoins.
  • Weitere bekannte Kryptowährungen sind XRP, Ethereum, Bitcoin Cash, EOS, Stellar, Tether, ­Lite­coin, IOTA, Dash, Dogecoin, Peercoin.

(Riccarda Frei)