Berggastronomie im Umbruch

Hausgemachte Ravioli und Murmeltier von der Wiese nebenan: Zeitgemässe Gastronomen in Skigebieten kochen frisch. Um den zusätzlichen Gästen zu entsprechen, wird oft umgebaut. Und wie!

  • Im Alter von 30 Jahren wurde die Mottahütte im letzten Jahr umgebaut. Seit der Eröffnung der Verbindung der Skigebiete Arosa und Lenzerheide wird sie deutlich häufiger frequentiert. Aber auch das Kulinarische lockt. (Bilder ZVG)
  • Das neue White Marmot Restaurant & Bar auf der Corviglia ob St. Moritz lockt mit verschiedenen Facetten. Auch in Sachen Kulinarik.

Wie rasch sich ein Traum in einen Albtraum wandeln kann, musste die Wirtefamilie Andreatta vor der Eröffnung der neuen Mottahütte erfahren. Zwei Wochen vor Inbetriebnahme der Hütte am Parpaner Rothorn brannte es im Keller wegen eines Kurzschlusses. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von mehreren Hunderttausend Franken. Der Innenraum des hellen Holzhauses war total schwarz verfärbt. In drei Schichten versuchten lokale Handwerker das neue Restaurant bis zur Eröffnung wieder auf Vordermann zu bringen – vergebens.

«Wir mussten die Eröffnung um zwei Wochen verschieben», so Sergio Andreatta, der Gastgeber der Hütte. «Glücklicherweise schafften wir es trotzdem, vor Weihnachten die ersten Gäste zu begrüssen.» Nur weil zwei Drittel der Mitarbeiter bereits in der vorherigen Saison in der «Motta» gearbeitet hatten, war dies möglich. «Wir kannten den Gästefluss», so Sergio Andreatta. Die komplett neue Einrichtung konnte erst drei Tage vor Eröffnung mit Helikopter und Pistenfahrzeugen auf die 2200 Meter über Meer gelegene Hütte gebracht werden. Für die Einarbeitung der 30 Mitarbeiter blieb so keine Zeit übrig. 

Heute sind im Restaurant alle Spuren des verhängnisvollen Brands beseitigt. Die neue Mottahütte präsentiert sich dank einer speziellen Holzkonstruktion licht und hell. Der hohe Raum vermittelt gemütliche Grosszügigkeit. Neu können innen 80 Sitzplätze mehr angeboten werden. Der Mittelpunkt des Raumes macht ein Kamin aus, um den es sich die Gäste mit einem Kaffee gemütlich machen können. «Wir sind froh, haben wir innen nun Kapazität für 140 Personen. Vorher war der Unterschied einfach zu gross: Bei gutem Wetter konnten wir mit den Terrassenplätzen 180 Personen bedienen, bei schlechtem Wetter in der Hütte nur 60. Nun können wir auch Gruppen annehmen», erläutert der Gastgeber, der die Hütte in Pacht führt. Gehören tut sie den Bergbahnen Arosa–Lenzerheide.

Die Erweiterung macht Sinn: An Spitzentagen beherbergt die 30-köpfige Crew bis zu 2000 Personen. Die zehn Köche bereiten dann rund 1000 Gerichte zu. An durchschnittlichen Tagen schicken sie zwischen 500 und 800 Teller. Seit die Familie Andreatta vor vier Jahren die Hütte übernahm, entwickelte sie sich vom Geheimtipp zu der Adresse der Bündner Berggastronomie. Kein Wunder, die Familie aus dem Tessin weiss, was die Gäste wollen. Führen sie doch seit Jahren eines der beliebtesten Grotti des Tessins, das «Da Enzo» in Ponte Brolla. Und Sergio Andreattas Vater Enzo verwöhnte bereits in den 70er- Jahren die ersten Gäste in den Zermatter Bergen mit qualitativ hochstehendem Essen.

Nun also verwöhnt sein Sohn gemeinsam mit seiner Tochter Bianca Andreatta die Gäste auf dem Rothorn. «Dieser Saisonbetrieb lässt sich mit unserem Hauptbetrieb im Tessin vereinen.» Zudem sei die Klientel der beiden Gegenden ähnlich, sie möge ihre Philosophie. «Oft begrüssen wir Tessiner Stammgäste in den Bergen und umgekehrt.  

Pasta liefert ihr Koch vom Tessin

Wenn nicht Sergio Andreatta vor Ort ist, dann ist es seine Schwester. «Wir wollen die Gäste persönlich betreuen und ihnen möglichst jeden Wunsch erfüllen. Mit der Mottahütte führen wir einen Betrieb, den wir als Gast selbst gerne besuchen würden», sagt der 33-jährige Tessiner.

Angeboten werden alpine Spezialitäten mit Tessiner Einfluss. Am besten gehen Tessiner Luganighetta mit Polenta, Spinatspätzli, frische Teigwaren, der selbst marinierte Lachs, der Tessiner Ziegenkäse und das in Grissini marinierte Schnitzel. «Das können wir, das ist unsere Herkunft. Und diese Spezialität schöpfen wir aus, egal, wie gross der Aufwand ist.»

Für die beste Pasta reist ihr Koch aus dem Tessin wöchentlich an und liefert seine eigene. Manchmal bringt er auch Salumi. Das Gitzi, das derzeit als Tagesspezialität angepriesen wird, hat die Mutter geliefert. Und selbst die Grossmutter bringt von ihren Zugreisen Feines wie Aprikosen aus dem Wallis in die Berge. Es ist eine Herausforderung, dort oben mit frischen Produkten aus der ganzen Schweiz zu arbeiten. Denn diese müssen nicht nur von kleinen Produzenten in die Lenzerheide kommen, sondern von dort aus auf 2200 Meter Höhe. Sind sie pünktlich um 7.30 Uhr an der Talstation der Rothornbahn, werden sie mit Pistenbullys angeliefert.

Doch Sergio Andreatta sind hochwertige Speisen und zufriedene Gäste diesen Aufwand wert: «So können wir uns differenzieren von anderen Skigebieten.» Wichtig sei dafür jedoch, dass sich das gesamte Gebiet weiterentwickelt, was er in seinem Umfeld glücklicherweise beobachten könne. 

Dieser Meinung ist auch Christian Meili, Leiter Gastronomie und Lodging sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei Engadin St. Moritz Mountains. «Skigebiete können sich heute nicht mehr nur über ihre Pisten abheben. Die Gastronomie wird immer entscheidender für den Gast», sagt er. Seit diesem Winter führt der Bergerlebnisanbieter Engadin Mountains das kulinarische Vermächtnis der Familie Mathis im umgebauten White Marmot Restaurant & Bar auf der Corviglia weiter.

Bereits vor über 50 Jahren verband Gastropionier Hartly Mathis im Bündnerland auf der Corviglia ein erstes Mal Schneesport mit Spitzengastronomie und Lifestyle. Sein Sohn Reto Mathis hat dies im Restaurant Marmite bei der Bergstation der Standseilbahn oberhalb St. Moritz weiterentwickelt und gepflegt. Seine Flammkuchen, dick mit Trüffel bestreut, waren weltweit bekannt. Nach rund 50 Jahren hat er das Restaurant Ende der Wintersaison 2016/17 an «Engadin St. Moritz Mountains» abgegeben und betreibt nun das Restaurant und Club Checha in Salastrains.

Gericht mit Murmeltier begeistert auch ausländische Gäste

«Hartly Mathis definierte die Berggastronomie im ganzen Alpenraum neu. Weil das Bedürfnis der Skifahrer nach hochwertigen Gerichten wächst, wollen auch wir unser neues Restaurant gehoben, aber dennoch mit einem zeitgemässen Angebot positionieren», sagt Christian Meili. Das breite Angebot reicht von Schweinshaxe über Lobsterburger bis hin zu Murmeltier, und natürlich gibt es für die Liebhaber hochstehender Kulinarik auch Trüffeln und Kaviar. Das Gericht mit Murmeltier wurde von Küchenchef Marco Moroni einst als Anspielung auf den Namen des Restaurants auf die Speisekarte genommen. Die «Corviglia» ist bekannt für die vielen «Munggen» die im Sommer auf den umliegenden Wiesen leben. Dieses Gericht wird häufig auch von internationalen Gästen bestellt. Am beliebtesten jedoch seien die Paccheri mit Wildschweinragout und Burrata, der Wiener Tafelspitz, Rahmlauch, Salzkartoffeln und Meerrettichsauce und das Kalbsossobuco-Gremolata mit Safranrisotto.

Restaurant soll polarisieren

Vor Eröffnung wurde das ehemalige «Marmite» für dreieinhalb Millionen Franken von der Innenarchitektin Claudia Silberschmid umgebaut. Sie arbeitete mit Farben aus der Glamourzeit der 70er-Jahre. Das grosse, neu in Dunkelgrün und Gelb gehaltene Restaurant wurde in eine rosafarbene Lounge und eine fast weisse Bar unterteilt, um verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Es bietet nun Platz für 170 Personen. Auf die farbige Gestaltung angesprochen, meint Christian Meili: «Wir wollen mit dem «White Marmot» etwas polarisieren. Man soll darüber reden. Manchmal muss man etwas anderes machen, auch wenn es dazu Mut braucht.»

(Sarah Sidler)


Mehr Informationen unter:

www.motta-lenzerheide.com
www.mountains.ch/de/restaurants/white-marmot-restaurant-bar


 

Weitere Berghütten mit frischen Gerichten

Restaurant Bahnhof Kleine Scheidegg
Seit dieser Saison arbeitet Sternekoch Martin Bieri im Restaurant Bahnhof Kleine Scheidegg im Skigebiet Grindelwald–Wengen. Im neu eröffneten Bergrestaurant bewirtet der 36-Jährige seine Gäste mit Fine-Dining-Gerichten, kombiniert mit Berghüttenkost.

Hörnlihütte, Arosa
Nicht nur die Aussicht ist famos, auch das frische Essen. Täglich drehen Güggeli aus dem Tal im Grill, die Tagesgerichte wie Lasagne oder Rösti werden selbst gemacht wie alles andere. Gastgeber Hitsch Leu setzte von Anfang an auf Qualität und wird dafür mit treuen Gästen belohnt.

Chez Vrony, Zermatt
Das gemütliche Lokal am Rande einer kleinen Piste ist legendär. Es ist eines der wenigen Restaurants, das biologische Eigenprodukte von einzig mit Alpengras ernährtem Vieh serviert. Das Trockenfleisch, die Hauswurst und der Alpkäse werden nach überlieferten Rezepten hergestellt, die – wie auch das Restaurant – von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Restaurant Spielboden, Saas-Fee
Im höchstgelegenen Sternerestaurant der Schweiz wird neben Fleischgerichten aus der Gegend auch Vegetarisches angeboten. Zum Beispiel warmes, fermentiertes Rotkraut mit seinem Schaum, Pinienkerne, Granatapfel und gesalzene Bergkartoffeln. Dazu gibt’s glasweise die passenden Weine.