Elena Reygadas, wie wird eine junge Mutter «Weltbeste Köchin 2023»?

Aus dem Kulturbereich stammend, eröffnete sie 2010 das «Rosetta». Als engagierte Designerin und Unternehmerin betreibt sie heute fünf Lokale in Mexiko-Stadt.

Elena Reygadas’ Speisekarte lädt ein zu einer Reise durch die prähispanischen Kulturen Zentralamerikas, die auf symbolträchtigen Produkten basiert. Die mexikanische Küchenchefin empfängt ihre Gäste jedoch in einem Gebäude mit einer sehr europäischen Architektur. Das Herrenhaus aus dem frühen 20. Jahrhundert in Roma Norte, dem heute angesagtesten Viertel der mexikanischen Hauptstadt, hat ein beeindruckendes Volumen. Im zentralen Lichtschacht gedeiht eine Vielfalt an Pflanzen. Fresken verleihen jedem Raum seine besondere Atmosphäre. Darin hat Elena Reygadas im Jahr 2010 das «Rosetta» eröffnet, ihr erstes Restaurant.

Mit viel Energie hat sie als treibende Kraft eine Oase geschaffen, deren Küche mittlerweile zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat. Als Krönung wurde Elena Reygadas der Titel «Beste Köchin der Welt 2023» verliehen. «Ursprünglich habe ich diesen Ort gewählt, weil er an ein Privathaus erinnert», sagt sie. «Ich will meine Gäste in einem Kokon empfangen, wie bei mir zu Hause. Ich dachte sogar daran, im Obergeschoss zu wohnen, um meinen Kindern nahe zu sein, bevor ich merkte, dass dies keine so gute Idee war.» Doch bevor sie zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten der Foodszene wurde, studierte die junge Frau englische Literatur und war fasziniert von Virginia Woolf, der sie auch ihre Doktorarbeit widmete.


«Ich spürte immer den Rückhalt meiner Familie.»

Elena Reygadas, Küchenchefin


Die Familie Reygadas ist indirekt an Elenas Berufung beteiligt. Ihr Vater, ein Kulturmanager, isst gerne: «Er hat mir seine Neugierde und sein Verlangen, alles zu probieren und Kulturen über das Essen zu erkunden, vermittelt.» Ihre Mutter, eine Anthropologin, stammt aus einer grossen Familie und ist an Festessen und festliche Zusammenkünfte gewöhnt. «Vor allem ist sie eine hervorragende Gastgeberin.»

Neben ihrer Arbeit in der Küche hat Elena Reygadas eine Serie von «Cuadernos» geschaffen. Jedes dieser Büchlein widmet sie Spezialisten aus einer der verschiedenen Facetten der mexikanischen Esskultur. (Ana Hop)

Während des Studiums hatte Elena Reygadas Studentenjobs. Für die Dauer eines Streiks, der die Universität lahmlegte, arbeitete sie in einer Imbissbude. Später half ihr Bruder, der Filmemacher Carlos Reygadas, Elena, ihre Berufung zu entdecken. Er vertraute seiner Schwester bei den Dreharbeiten zu seinem ersten Film die Kantine an. «Wir drehten in einer bergigen Gegend, abgeschieden von allem. Es war das erste Mal, dass ich wirklich Verantwortung übernehmen musste, den Einkauf planen, ein kleines Team leiten und vieles mehr.» Ein Auslöser, zweifellos.

Wirsing mit Pistazien-Pipián, einem Püree, und Romeritos. (Maureen Evans)

Carlos Reygadas gewann für den Film «Japón» in Cannes (FR) den Preis für sein Erstlingswerk. Schwester Elena, die Kantinenwirtin, startete eine kulinarische Karriere. Erst flog sie nach New York und schrieb sich am International Culinary Center ein. Das nächste Kapitel spielte in London, wo sie einen Job als Konditorin in der Locanda Locatelli bekam und ihre Vorliebe für Brot und italienische Aromen vertiefen konnte.


«Zurück in Mexiko, musste ich mir meine Kultur wieder aneignen.»

Elena Reygadas, Küchenchefin


In der Zwischenzeit wurde ihre Tochter Lea geboren und mit ihr kam der Wunsch auf, in die Heimat zurückzukehren. Die mexikanische Küche war damals noch nicht so in Mode, wie sie dies heute ist. Kultstatus hatte noch keiner der Spitzenköche. Stattdessen gab es gute, traditionelle Restaurants, Street Food, die altbewährten Taquerías und Pulquerías, die bunten, barocken Märkte und überall eine grosse Vielfalt und ein reiches Erbe.

«Nach meiner Rückkehr musste ich mir meine Kultur wieder aneignen, mich mit den Produkten und den Jahreszeiten vertraut machen. Letztere haben in Mexiko eine andere Bedeutung als in Europa. Es gibt keine Übergänge vom Winter über den Frühling zum Sommer. Dennoch versuche ich, auf diesen Rhythmus zu achten, und die Zutaten diktieren mir meine Speisekarte.»

Zum Restaurant kommen eine Bäckerei und drei Cafés hinzu. (Maureen Evans)

Elena Reygadas beginnt damit, Pop-ups für ihren Freundeskreis zu organisieren. Nach und nach baut sie sich ein Netzwerk von Lieferanten und Kunden auf. «Als ich ankündigte, die Pop-ups aufzugeben, wollten alle mehr davon bekommen. So eröffnete ich das ‹Rosetta›. Die Stammgäste und Freunde folgten mir.»

Die Nachricht von ihrer Wahl zur besten Köchin des Jahres 2023 ist eine schöne Überraschung. «Doch sie hat mein Leben nicht auf den Kopf gestellt. Das Tempo hat sich einfach beschleunigt. Die Mexikaner und ganz besonders die Mexikanerinnen sind stolz auf diese Sichtbarkeit. Mein Erfolg ist auch ihr Erfolg, das ist das Schöne daran.»

(vzb/gab)


Förderung junger weiblicher Talente

Auf die oft gestellte Frage, wie hart der Kochberuf für Frauen sei, antwortete Elena Reygadas, dass ihre grösste Herausforderung darin bestand, Arbeit und Mutterschaft miteinander zu ver­einbaren. Noch immer trügen die Frauen die Hauptlast in der Kindererziehung. Sie musste mit ihren beiden Leben jonglieren. Inzwischen ist sie geschieden. Sie sagt, das sei auf ihren Lebensrhythmus zurückzuführen. Elena Reygadas initiierte deshalb ein Stipendium zur Förderung junger Frauen in der Gastronomie. Heute profitieren etwa 20 Studentinnen an Hotelfachschulen von diesem Stipendium.


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elenareygadas.com