Heute an morgen denken

Nachhaltigkeit ist angesagt: dafür sprechen nicht nur die begrenzten Ressourcen, sondern auch das wachsende Bedürfnis der Gäste nach entsprechenden Dienstleistungen.

Intakte Landschaftsbilder sind das wichtigste Kapital des Schweizer Tourismus. Ein sorgsamer Umgang mit den Ressourcen ist essenziell für deren Erhalt. (Illustration Solange Ehrler)

Der Klimawandel ist ein dringliches Thema. Dies hat uns auch die im vergangenen Dezember abgehaltene Weltklimakonferenz in Paris erneut in aller
 Klarheit vor Augen geführt. Damit die Treibhausgasemissionen
 und Umweltbelastungen unter
 Kontrolle gehalten werden kön
nen, sind grosse Anstrengungen 
dringend nötig. So ist Nachhaltig
keit heute auch ein wichtiger Bestandteil für einen zukunftsgerichteten Tourismus. Nicht nur 
die begrenzten Ressourcen, sondern auch die gesteigerte Nach
frage der Gäste nach ökologischen,
 regionalen und umweltverträglichen Angeboten sprechen dafür. Dies bestätigt auch Véronique Kanel, Mediensprecherin Schweiz Tourismus: «In den letzten zehn Jahren hat das Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei den Touristen stark zugenommen. Insbesondere Gäste aus dem Inland, aus Europa und aus Nordamerika berücksichtigen das Thema bei der Ferienplanung vermehrt.» Die Tendenz zeige, dass Aspekte der nachhaltigen Entwicklung in allen Segmenten – von Luxus bis Budget – immer öfters nachgefragt würden. «Oft setzt der heutige Gast ein nachhaltiges Handeln voraus. Er nimmt an, dass sich jeder Betrieb an entsprechenden Prinzipien orientiert.»

Die Schweiz hat sich auf den vordersten Rängen platziert

Dass die Zukunft der Nachhaltigkeit gehört, hat die Schweizer Tourismusbranche bereits 2009 erkannt, indem sie sich mittels einer Charta zur nachhaltigen Entwicklung verpflichtet hat. Diese wurde von 26 Organisationen unterschrieben, darunter die führenden Tourismusverbände, alle Tourismusregionen, Schweiz Tourismus und die SBB. Diese Anstrengungen haben Früchte getragen, der Schweizer Tourismus gehört mittlerweile in Sachen Nachhaltigkeit zur Weltspitze. So belegt die Schweiz in diversen internationalen Ratings wie etwa im «Environmental Performance Index» oder im «Travel & Tourism Competitiveness Reports 2015» in der Kategorie «Environmental Sustainability» Platz eins.
Doch was steckt eigentlich hinter dem Begriff? Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen definierte es 1987 folgendermassen: «Nachhaltige Entwicklung verlangt, dass die heute lebenden Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen können, ohne den in Zukunft lebenden Menschen die Möglichkeit einzuschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu decken.» Seither basiert die nachhaltige Entwicklung auf den drei Säulen Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft.

Die Hochschule Luzern hat sich, neben anderen Bildungsinstitutionen, in den vergangenen sechs Jahren intensiv mit dem Thema Tourismus und nachhaltige Entwicklung auseinandergesetzt, indem sie geforscht, beraten und gelehrt hat. Unter anderem adaptierte die Uni das bestehende 3-Säulen-Prinzip Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft auf den Schweizer Tourismus. Sie definierte 25 Merkmale, die einen entscheidenden Beitrag zu einem umweltverträglichen Tourismus leisten können.

So zeichnet sich nachhaltiger Tourismus etwa durch ein gutes Angebot an öffentlichem Verkehr für die Hin- und Rückreise zur Destination sowie in der Destination selber aus. Zudem macht er Gebrauch von erneuerbaren Energieressourcen und hat ein operatives Konzept für seine Infrastruktur und Gebäude. Im Weiteren leistet er einen Beitrag zum Erhalt lokaler Arbeitsplätze und verwendet lokale Produkte und Dienstleistungen. «Das Konzept der Nachhaltigkeit muss von den Gastgebern gelebt und ganzheitlich umgesetzt werden», sagt Prof. Martin Barth, Dozent und Projektleiter am Institut für Tourismuswirtschaft (ITW) der Hochschule Luzern.

Weiterbildungsangebote an Branche anpassen

Das ITW bietet ein Certificate of Advanced Studies (CAS) zu nachhaltigem Tourismus-Management an. Laut Martin Barth reagierte die Branche jedoch verhalten auf das Angebot. «Aufgrund des starken Frankens ist jeder Betrieb gefordert und kann seine Mitarbeiter nicht für eine längere Zeit entbehren, geschweige denn finanzielle Unterstützung leisten», erläutert der ITW-Projektleiter. Aus diesem Grund ist das Institut daran, alternative Kursformen zu konzipieren wie etwa drei- bis viertägige Kurse. «Wir wollen ein Angebot schaffen, das die Branche weiterbringt», so Martin Barth.

Denn das Interesse ist durchaus vorhanden, wie auch Sonja Seiffert, Leiterin Nachhaltige Entwicklung von hotelleriesuisse feststellt: «Es hat eine Sensibilisierung für das Thema statt- gefunden, sowohl vom Hotelier als auch vom Gast aus.» Trotzdem bleibe noch viel Potenzial bestehen. Bei den Hoteliers sind laut der Leiterin nachhaltige Entwicklung zurzeit vor allem die Themen Kosteneinsparungen und Energieeffizienz von besonderem Interesse. Diese Anstrengungen unterstützt hotelleriesuisse mit dem Förderprogramm Küchenlüftung. Zudem setzt sich die Vereinigung für die Vermeidung von Lebensmittelabfällen ein.

«Jugis» leben auf kleinem sparsamem Fuss

Die Schweizer Jugendherbergen, die schweizweit 46 Betriebe führen und zusammen mit sechs Franchisebetrieben pro Jahr fast 960 000 Logiernächte verzeichnen, haben sich schon lange der Nachhaltigkeit verschrieben. «Als Non-Profit-Organisation sind wir davon überzeugt, dass wir nur durch langfristiges Denken und Handeln sowie die ausgewogenen Berücksichtigung aller Dimensionen der Nachhaltigkeit – der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen – langfristig unseren Grundauftrag erfüllen und erfolgreich sein können», erklärt Tanja Arnold, Mediensprecherin der Organisation. Die Schweizer Jugend- herbergen konnten ihren spezifischen CO2-Ausstoss zwischen den Jahren 2000 und 2014 um 54,9 Prozent senken, produzieren selbst Strom mittels Photovoltaik und setzen wegweisende Minergie-P- und Minergie-ECO-Standards ein.

Diese Anstrengungen werden von den Gästen sehr geschätzt, wie Tanja Arnold beobachtet: «Den Leuten ist es heute ein Anliegen, dass sie die Umwelt mit ihrer Übernachtung möglichst wenig belasten.» Die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens sei ein wichtiges Zusatzkriterium bei der Wahl einer Unterkunft.

Ökologisch geplanter und geführter «Energiefresser»

Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit ist das im Juli 2014 eröffnete Ovaverva Hallenbad, Spa & Sportzentrum in St. Moritz Bad geplant und umgesetzt worden. Doch Hand aufs Herz, ein öffentliches Bad benötigt relativ viel Energie. Lässt sich das überhaupt mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit vereinbaren? Ja, das ist möglich. Denn als Trägerin des Energiestadt-Labels legte die Gemeinde grossen Wert darauf, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und den Einsatz von erneuerbaren Energien zu fördern. So wurde ein ausgeklügeltes und nachhaltiges Energie- und Haustechnikkonzept entwickelt. Das Hallenbad bezieht die Energie zu einem grossen Teil über die hauseigene Wärmepumpe und die interne Wärmerückgewinnung. Zu Spitzenzeiten wird der zusätzliche Bedarf über Fernwärme aus dem Seewasserwärmeverbund abgedeckt. Gemäss dem Betriebsleiter Marco Michel musste aufgrund von Baueinsprachen auf die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem grossflächigen Flachdach verzichtet werden. Die notwendigen baulichen Massnahmen für eine spätere Nachrüstung sind jedoch gegeben.

Das Projekt bietet der ganzen Region einen wesentlichen Mehrwert im Freizeit-, Spa- und Sportangebot. Davon profitieren der Tourismus und die vielen kleinen Hotels, die ihren Gästen kein eigenes Hallenbad, Wellness- oder Fitnesszentrum anbieten können. «Wir führen viele gute Partnerschaften mit den umliegenden Hotels», sagt Betriebsleiter Marco Michel. Doch auch die Einheimischen nutzen das Angebot rege. Die Anlage wird multifunktional genutzt. So zieht morgens etwa 
die Triathletin Nicola Spirig im
 Schwimmbad ihre Bahnen, von acht bis zehn kommen die Schulkinder in den Schwimmunterricht und nachmittags planschen die Gäste der umliegenden Hotels im Hallenbad und geniessen das Aussenbecken mit phänomenaler Aussicht in die Engadiner Berge. Auch im integrierten Langlaufzentrum gehen Einheimische und Touristen ein und aus.

Im Bistro Viv setzt Geschäftsführerin Nina Hauser auf regionale Zutaten. Die Backwaren bezieht sie aus dem Betrieb ihrer Eltern, dem Hotel Hauser. Auch der Spa arbeitet mit natürlichen und regionalen Produkten, wie die Spa-Leiterin Martin Listova erklärt: «Wir verwenden eine in Soglio hergestellte Pflegelinie. Für die Raumdüfte setzen wir etwa lokale Birke und Tanne ein.»

Gewachsene Strukturen erhalten und neu nutzen

Auch die im vergangenen Jahr vom Milestone mit dem dritten Platz ausgezeichnete weitläufige Dorf-Lodge in Commeire/VS, die sich aus mehreren stilvoll und in der Tradition des Tals renovierten Chalets zusammensetzt, ist der Nachhaltigkeit verpflichtet. Ludovic Orts, Gründer und Partner von Montagne Alternative, entdeckte das Dorf vor zehn Jahren und war sofort angetan davon. Damals lebten nur noch zehn Personen in Commeire und viele der Gebäude standen leer. Zusammen mit Benoit Greindl definierte er einen Businessplan und die entsprechende Philosophie. 2008 begannen sie mit der sanften Renovation der Chalets. Heute ist das «Corporate Retreat Center» auf Seminare spezialisiert, welche die Natur in den Fokus stellen.

Gemäss den beiden Gründern verursacht das konventionelle Wirtschaftsmodell zu viele negative Auswirkungen auf die Umwelt, auf das historische Kultur- erbe und die lokale Bevölkerung. «Mit unserem Projekt in Commeire wollen wir das architektonische Erbe von Schweizer Bauerndörfern erhalten», erläutert Benoit Greindl. «Und nicht zuletzt einen Beitrag leisten, um diesem Dorf neues Leben einzuhauchen.»