Sommelière interviewt Sommelier: «Früher braute man Bier mit halluzinogenen Kräutern»

Sour Beer, Rauchbier oder Champagnerbier – welche Kreation bewegt aktuell die Bierszene? Und wie steht es um das gute alte Lager? Zwei Biersommeliers tauschen sich aus.

Spezialitätenbiere aus der Schweiz entwickelten sich erst spät. Viele Verteiler bedienen sich deshalb noch heute internationaler Biere, meinen die Biersommeliers Gaby Gerber und Markus Brendel. (PPR/Manuel Lopez)

Gaby Gerber: Weisst du noch, als wir damals mit dieser Kräutermischung im Bier experimentierten? Was haben wir daraus gelernt? Was gehört deiner Meinung nach nicht ins Bier?
Markus Brendel: Stimmt, es gibt wirklich viele ausgefallene Sorten auf dem Markt. Ich hörte mal von einem Marshmallow-Bier. Ob das hineingehört? Man müsste es sicherlich probieren. Bevor das Reinheitsgebot im 16. Jahrhundert eingeführt wurde, experimentierten viele wild rum. Man verwendete sogar Bilsenkraut oder sonstige Halluzinogene – dort ist es jedoch beim einmaligen Genuss geblieben. Einschränkungen  an sich  finde  ich jedoch nicht gut. Man soll ausprobieren und selbst merken, was funktioniert. Es ist jedes Mal eine Horizonterweiterung und bringt im Endeffekt auch die Branche weiter. Es entstehen viele neue Kreationen und Verfahren. Es gibt doch auch diese Sorte «Deus» in der Champagnerflasche. Ein Bier, das mit Champagnerhefe vergoren wird. Von der Kohlensäure her hat es eine feine Perlage – fast wie ein Sekt, der doch auch Biermerkmale hat. Welche Sorten trinkst du gern? 

Gaby Gerber: Sour Beer finde ich sehr interessant. Und auch spontanvergorene Biere, denen man im Brauprozess keine Hefe zusetzt. Obwohl man auch nicht zu viel davon trinken kann. 
Markus Brendel: Nicht? Ich finde, dass sie sehr gut gehen. Und auch viel, wenn es ein Gutes ist. 

Gaby Gerber: Trinkst du auch Rauchbier?
Markus Brendel: Immer mehr, ja. Das Malz wird dabei mit rauchgeschwängerter Luft getrocknet. Der Geschmack ist schinkenartig, fast speckig – es nimmt den Rauch richtig auf. Die Hersteller sagen: Das Erste musst du runterwürgen, beim Zweiten wird’s besser und das Dritte magst du schliesslich.

Gaby Gerber: Weisst du noch, als wir 2009 das Vintage-Bier machten? Nur eine ganz kleine Menge, die wir im Holzfass lagerten und in kleinen Schnapsgläsern degustierten. 
Markus Brendel: Stimmt, das war zudem sehr stark. Um die elf Volumenprozent? Schade, dass das Publikum noch nicht reif dafür war. Etwa sechs Jahre waren wir zu früh dran. Nur Nerds und Spezialisten wussten es zu schätzen. Heute wäre das wahrscheinlich anders. 

Gaby Gerber: Bestimmt. Das war ein recht frustrierender Moment. Wir waren für alles offen und wollten etwas ganz Spezielles anbieten. Ach, und zwei Jahre später versuchten wir es wieder mit frischen Kirschen im Gärprozesses. Auch dort waren wir mindestens drei Jahre zu früh dran. 
Markus Brendel: Ja, einen Trend zu erkennen, ist entscheidend. Jetzt ist die Szene endlich in der Schweiz angekommen. Endlich diskutiert man über Craft Beer und sonstige Entwicklungen und bringt die Branche weiter. Mikrobrauereien sind ein schöner Trend, der dem Bier-Image extrem geholfen hat.

Gaby Gerber: Und das Image von Lagerbier leidet. 
Markus Brendel: Manchmal schon, ja. Aber Lagerbiere sind dennoch die meistgetrunkene Sorte in der Schweiz. Craft Beer ist sensationell und eignet sich als Abwechslung sehr gut. Als Feierabendbier möchte ich nicht immer etwas Hochkomplexes wie ein Pale Ale mit 70 Bittereinheiten. Da will ich die Bierlust stillen, und ein Lagerbier bietet sich perfekt an. 

(Anna Shemyakova)


Zu den Personen

Gaby Gerber
Die 45-Jährige kommt aus einer Schnapsbrennerfamilie und leitet aktuell die Unternehmenskommunikation bei Feldschlösschen. Zudem ist sie Dozentin bei der Ausbildung zum Diplom-Biersommelier.

Markus Brendel
Schon sein Vater sowie Grossvater waren Bierbrauer. Die Ausbildung zum Diplom-Biersommelier schloss der 50-Jährige gemeinsam mit Gaby Gerber als einer der Ersten in der Schweiz ab. Er arbeitet momentan als Sommelier bei Feldschlösschen. 


Mehr Informationen unter:

www.feldschloesschen.ch