In Österreich müssen Betriebe geschlossen werden, weil Mitarbeiter fehlen. In Deutschland liegen zwei Zehnpunktepläne vor und die Bundesregierung setzt sich für Lösungen ein.
Österreich erwartet eine Rekordsaison. Nach einer Befragung der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) unter 1400 Tophotels im Land erwarten 42 Prozent davon mehr Übernachtungen. Nur 20 Prozent rechnen mit Rückgängen. Was positiv tönt, bringt ein grosses Problem mit sich: qualifizierte Mitarbeiter fehlen. 80 Prozent der Betriebe suchen noch Mitarbeiter. Die Zeit, um diese offenen Stellen zu besetzen, wird knapp. Wenn wichtige Mitarbeiter fehlen, kostet das letztendlich Arbeitsplätze. Wie soll ein Hotel funktionieren ohne einen Chef de réception? Ohne Küchenchef? Ohne genügend Raumpfleger? Wenn Stellen nicht besetzt werden können, müssen Unternehmen ihre Betriebsteile schliessen, Öffnungszeiten kürzen oder im schlimmsten Fall ganz dichtmachen.
Potenzial sieht der ÖHV bei den Saisonniers. Diese dürfen an Positionen eingesetzt werden, für die der Arbeitsmarktservice (AMS) keine inländischen Bewerber vermitteln konnte. Seit Jahren ist ein Kontingent von 1100 Saisonniers vorgesehen – so auch für die aktuelle Saison. «Zu wenig», so Florian Werner, Vizepräsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, gegenüber der Allgemeinen Hotellerie- und Gastronomiezeitung (AHGZ). «Vor allem angesichts der erwarteten Zunahme der Nächtigungen um ein Prozent wäre eine Erhöhung durch das Arbeitsministerium angemessen.» Grosses Potenzial an Arbeitskräften sieht der Verband aber auch im eigenen Land. Er verweist auf die 300 000 Arbeitslosen und Asylberechtigten in Österreich. «Der Arbeitsmarktservice ist gefordert. Für eine nachhaltige Lösung brauchen wir eine bedarfsorientierte Vermittlung und gezielte Schulung», so Florian Werner. Ganz untätig war Österreich in Anbetracht der Problematik des Fachkräftemangels bis anhin jedoch nicht. Seit der Anpassung des Arbeitszeitgesetzes können Hoteliers und Gastronomen ihre Mitarbeiter flexibler einsetzen. Zu Spitzenzeiten können sie diese bis zu zwölf Stunden arbeiten lassen, also bis zu 60 Stunden pro Woche. In einem Zeitraum von 17 Wochen darf die durchschnittliche Wochenarbeitszeit jedoch 48 Stunden nicht übersteigen. Um besonders Saisonbetrieben entgegenzukommen, wird die tägliche Ruhezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen im Tourismus- und Gastronomiesektor auf acht Stunden verkürzt. Und zwar dann, wenn ein Dienst vorliegt, der durch eine durchgängige Pause von mindestens drei Stunden unterbrochen ist. Dies soll Hotels helfen, die Spitzen am Morgen und am Abend besser auszugleichen. Dafür müssen jedoch in den vier darauffolgenden Wochen andere tägliche Ruhezeiten entsprechend verlängert werden.
Diese neue Regelung hilft zum Beispiel Karl C. Reiter, Direktor im Posthotel Achenkirch. Damit kann er seine Mitarbeiter im Fünfsternehotel in Tirol flexibler einsetzen. Karl Reiter ist einer der Hoteliers, die Quereinsteiger, Flüchtlinge und Menschen mit einer Beeinträchtigung einstellen, um genügend Mitarbeiter generieren zu können.
Er legt grossen Wert auf seine Mitarbeiter: «Wir behandeln sie wie unsere Gäste. Denn zufriedene Mitarbeitende generieren glückliche Gäste», ist sich der Direktor sicher. Pro Abteilung wurde zudem ein Markenbotschafter erkoren. Dieser wird vertieft mit der Positionierung sowie der Markenstrategie des Hotels vertraut gemacht. Er trägt das an internen Besprechungen und Schulungen erlangte Wissen und die Philosophie des Hauses nach aussen und gibt es in der jeweiligen Funktion als Pate oder Vorgesetzter auf einer informellen Ebene weiter.
Das Fünfsternehotel in Tirol wurde für die Jahre 2018 bis 2020 mit dem Gütesiegel des österreichischen Netzwerks für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ausgezeichnet. Für diese Auszeichnung sei ihr Projekt «Markenbotschafter im Gesundheitstourismus» ausschlaggebend gewesen. Dafür haben sie eine breit angelegte Offensive von Schulungen im Bereich der Führung, Kommunikation, Psychologie sowie individueller Coachings für mentale Stärke und Gesundheit durchgeführt. Zusätzlich erhalten Mitarbeitende die Möglichkeit, sich im Haus energetisch und spirituell coachen zu lassen.
Auch das Fünfsterne-Wellnesshotel, «Das Kranzbach» bei Garmisch in Bayern, ist vom Fachkräftemangel betroffen. «Seit drei Jahren ist der Fachkräftemangel verstärkt spürbar», sagt Klaus King, Direktor des Hotel und Wellnessrefugiums. Um genügend qualifizierte Arbeitnehmer zu finden, sind insbesondere in Bayern grosse Anstrengungen nötig, denn es ist das führende Bundesland im deutschen Tourismus. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Betriebe abgelegen sind und nicht mit dem Lifestyle der Grossstädte punkten können.
Um diesem Problem entgegenzuwirken, werden in Klaus Kings Haus fünf Hotelberufe ausgebildet und Mitarbeiter werden gezielt geschult. Mittels eines Flyers an Haushalte in der Umgebung stellt sich das Hotel vor und bewirbt offene Stellen. In Hotelfachschulen und Universitäten werden Vorträge gehalten. «Das Hotel Kranzbach ist inzwischen in der Branche als guter Arbeitgeber bekannt, wir bekommen immer wieder Mitarbeiteranfragen», so Klaus King. Dies habe auch mit ihren Ganzjahresverträgen, der übertariflichen Bezahlung, Fünf-Tage-Woche sowie geregelten Arbeitszeiten zu tun, um nur einige Anreize zu nennen. Wie im vorher erwähnten, deutschen Fünfsternehotel dürfen die Mitarbeiter wie die Gäste alle Hotel- und Freizeiteinrichtungen nutzen.
Trotz aller Bemühungen: In Deutschland ist der Fachkräftemangel so hoch, dass sich die Bundesregierung für Lösungen einsetzt. Sie will das Fachkräftekonzept neu ausrichten in inländische, europäische und internationale Fachkräftepotenziale. Kurz zusammengefasst will die Bundesregierung eine neue Weiterbildungskultur etablieren und die qualifizierte Zuwanderung fördern. Neben Hochschulabsolventen sollen Fachkräfte aus Drittländern mit qualifizierter Berufsausbildung in Deutschland arbeiten dürfen. Das Eckpunktepapier für das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz plant, die Beschränkung auf Engpassberufe sowie die Vorrangprüfung für inländische Bewerber zu streichen. Die Gleichwertigkeitsprüfung der beruflichen Qualifikationen soll schnell durchgeführt werden.
«Ausländische Fachkräfte mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen in Gewerbezweigen mit grossem Bedarf sollten auch ohne formalen Abschluss einen Arbeitsmarktzugang erhalten, wenn sie einen Arbeitsplatz hätten.» Das sagt Dr. Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Bayern, gegenüber der AHGZ. Eine Teilanerkennung, ergänzt durch Weiterbildungen oder eine qualifikationsadäquate Beschäftigung solle zum tariflichen Facharbeitergehalt ausreichen. «Das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ist bei dem akuten Fachkräftebedarf im bayerischen Gastgewerbe, der sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsrisiko entwickelt hat, der richtige Weg», ist Dr. Thomas Geppert überzeugt. Die Dehoga Bayern ist auf verschiedenen politischen Ebenen in intensiven Verhandlungen, um den Fachkräftemangel einzudämmen.
Der Bundesverband der Dehoga sieht es seit sechs Jahren als einer seiner grössten Aufgaben, die Sicherung des Fach- und Arbeitskräftebedarfs für das Gastgewerbe zu unterstützen und zu fördern. Mit 65 000 Mitgliedern ist er Interessenvertreter des Gastgewerbes gegenüber Politik, Medien und Öffentlichkeit. Mit seinem Zehnpunktemassnahmenplan, der die Massnahmen des Dehoga auf den verschiedenen Ebenen aufzeigt, definiert der Verband seine Aufgaben und Prioritäten.
Im Sommer dieses Jahres hat nun auch die Wirtschaftsministerkonferenz einen Zehnpunkte-Plan veröffentlicht. Sie sieht diesen «als geeignete Grundlage, um in gemeinsamer Aktion von Betrieben, Branchenorganisationen, Kammern, Politik und Verwaltungen dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken».
Die Wirtschaftsministerkonferenz bekräftigt dabei, dass zuerst die Branche selbst handeln muss. Wichtige Eckpunkte für ein attraktives Arbeitsumfeld seien eine angemessene Entlöhnung, ein möglichst hoher Anteil unbefristeter sozialversicherter Beschäftigungsverhältnisse und flexible Arbeitszeitmodelle, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleisten. Aufgelistet sind Massnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement sowie spezielle Massnahmen und Anreize für ältere Arbeitnehmer. Die Papiere gehen auf die Wichtigkeit, Ausweitung und Qualitätssicherung von Aus- und Weiterbildungsangeboten und der Werbung dafür ein. Dies die wichtigsten Punkte. Die Bundesregierung wird gebeten, Besteuerungen zu senken und bis zum kommenden Frühjahr Lösungsvorschläge für ein angepasstes Arbeitszeitgesetz zu unterbreiten.
Vielleicht können die grossen Nachbarn von der kleinen Schweiz noch etwas lernen, denn vieles, was sie jetzt auf dem Zettel haben, tun die Berufsverbände der Hotel & Gastro Union und ihre Partner, die Arbeitgeberverbände, schon lange.
(Sarah Sidler)