Casa Caminada: Mehr als nur eine Dorfbeiz

Andreas Caminadas jüngstes Baby unter der Lupe: Es ist das Gegenstück zum Spitzenrestaurant. Hier räumt der Bündner Dreisternekoch sogar mal selbst die Kaffeetassen ab.

  • Andreas Caminada freut sich auf die bevorstehenden Festtage. (Bilder Claudia Link)
  • Nicht nur fürs Auge schön: Die herbstliche Wildterrine ist eines der Highlights auf der kleinen Speisekarte. Die Essigzwetschgen verleihen dem Gericht die nötige Säure.
  • Um das perfekte Brot zu backen, liess sich Andreas Caminada von «John Baker»-Bäcker Jens Jung beraten.
  • Der Duft von frischem Brot betört die Gäste in der Casa Caminada.
  • Die Möbel und Farben...
  • ... strahlen Modernität und Wärme aus.
  • Im Shop gibt es Würste von lokalen Produzenten zu kaufen.
  • Im Keller reift Käse.
  • Beim Salat in der Casa Caminada wird mit Temperaturen und Texturen gespielt. Die frischen Zutaten kommen so unterschiedlich zur Geltung.
  • Feine Pizzoccheri – eine rustikale Bündner Spezialität.
  • Die Casa Caminada: ein Symbol der Fürstenauer Aufbruchstimmung.
  • Andreas Caminada (r.) erklärt HGZ-Redaktor Benny Epstein das Konzept seines neusten Babys.

«Am besten putzen Sie Ihre Pfanne mit einem Lappen. Erst erhitzen Sie die Pfanne, dann können Sie sie ganz leicht reinigen.» Leicht verdutzt bedankt sich die Kundin, ehe sie die Casa Caminada mit der soeben gekauften Bratpfanne verlässt. Den Reinigungstipp hat ihr kein Geringerer als Andreas Caminada höchstpersönlich gegeben. Und weil die anderen Mitarbeiter gerade anderweitig beschäftigt waren, übernahm der Chef gleich noch die Funktion als Kassierer.

«Ja, so geht das da zurzeit», verrät Caminada mit einem breiten Schmunzeln. «Wir stehen halt noch ganz am Anfang.» Sein jüngstes Baby, die Casa Caminada, ist erst wenige Wochen alt. Ein Herzensprojekt, das verraten schon die ersten Momente im Innern des neuen Betriebs.

Gourmetbetrieb und Dorfbeiz

Die Casa Caminada steht in Fürstenau/GR gleich neben dem Schloss Schauenstein. Und ist sein ergänzender Gegenpart. Das Schloss, das umrankt ist von altem Efeu und umgeben von gepflegten Blumen und geschnittenen Hecken, thront stolz über dem Ort. Ins Dreisternerestaurant pilgern Gourmets aus aller Welt. Die Übernachtung im Boutique-Hotel kostet pro Zimmer oder Suite zwischen 370 und 680 Franken.

Anders die Casa. Sie steht schlicht und kahl am Weg. Wer hinein will, muss weder Treppen hochsteigen noch eine schwere Tür öffnen. Die Gasträume werden von viel Tageslicht durchflutet, herrlicher Brotduft aus der eigenen Bäckerei dringt nach draussen. Zur Übernachtung stehen zehn Doppel- und Familienzimmer bereit, die Kosten belaufen sich auf 200 und 420 Franken pro Nacht inklusive Frühstück. «Die Unterschiede sollen ganz deutlich sein», hält Caminada fest. «Auf der einen Seite das Gourmet-Restaurant mit dem Boutique-Hotel, auf der anderen Seite die Dorfbeiz mit einfachen Zimmern und einer Bäckerei.»

Keine falschen Erwartungen

Die Casa ist nicht weniger stilvoll, doch sie erscheint bewusst einfacher. Einerseits vermeidet der Spitzenkoch und Unternehmer damit, bei Gästen der Casa Caminada falsche Erwartungen zu wecken. Zudem wirkt sie für jedermann ohne Hemmschwelle betretbar. Und nicht zuletzt soll sie sich bewusst stark vom Sternerestaurant unterscheiden, damit sie für Gäste nicht zum preiswerten Ersatz wird. Caminadas Botschaft: Wer es einfach mag, wird in der Casa fündig. Für die grossen Gourmetwege führt der Weg weiterhin über die Treppe ins Schloss. 

Doch man wird der Casa Caminada nicht gerecht, wenn man sie als blosse Dorfbeiz bezeichnet. Beim Besuch wird rasch klar, dass eine Caminada-Beiz keine durchschnittliche Dorfbeiz ist. 

Architekt Gion A. Caminada realisierte das Projekt in enger Zusammenarbeit mit seinem über mehrere Ecken verwandten Namensvetter. Dabei wurden zwei Ställe aus dem 19. Jahrhundert umgebaut – mit grosser Rücksicht auf Umgebung, Kultur und Geschichte. Alleine die Planungsphase dauerte vier Jahre. Entstanden ist weder eine Hütte im klassischen Alpen-Chic noch ein träges, Geschichten erzählendes Haus. Gion A. Caminada: «Wir müssen nicht mehr so tun, als ob es ein Stall wäre.» Lieber soll das Haus ein Symbol der Fürstenauer Aufbruchstimmung darstellen.

Betörender Duft strömt aus dem 50 Tonnen schweren Backofen

Zwar steckt in der Casa Caminada viel Material aus der Region, teils gar Abrissmaterial aus dem vorherigen Bau. Letztlich ist ein Bijou in schlichtem, zurückhaltendem Design entstanden. Filigrane Möbel strahlen Modernität und achtsam gewählte Farben Wärme aus.

Und dann ist da noch dieser betörende Duft aus der Bäckerei. Wer die Casa frühmorgens betritt, kann dem Bäcker zuschauen, wie dieser auf dem riesigen Buchenholztisch den Teig knetet und später das Brot aus dem Ofen holt. Der Backofen aus Beller Tuff ist das Herzstück der Casa. Er ist 50 Tonnen schwer und dasselbe Modell, das auch der Luzerner «Eigenbrötler» für seine überregional beliebten Brotkreationen verwendet. 

Tipps für das perfekte Brot erhielt Caminadas Hausbäcker von Jens Jung, der in Zürich mit seinen «John Baker»-Bäckereien derzeit die Trends setzt. Kunden aus der Umgebung können in der Casa-Bäckerei allerdings nicht nur Vollkorn-, Sauerteig-, Kartoffel- und Roggenbrot kaufen. Auch Bündner Würste und Käse von regionalen Produzenten wie die Kochbücher namhafter Schweizer Köche sind erhältlich. Und Bratpfannen.

Stücke vom Tier, die im Schloss nicht aufs Menü kommen

Küchenchef in der Casa ist Mathias Kotzbeck. Er arbeitete zwei Jahre in der Schauenstein-Küche und zuletzt eine Wintersaison in Caminadas «Igniv» in St. Moritz. Auf die Teller gelangen Bündner Klassiker: Capuns, Pizzoccheri, Gerstensuppe und Hirschragout. Oder eine sanft gegarte Forelle aus der Region. Andreas Caminada erklärt: «Es soll unkompliziert und fein sein. Kein Schnickschnack, kein Anrichten mit der Pinzette. Ein Ort, an dem die Menschen spontan vorbeikommen und geniessen können. Ob das ein Gast ist, der am Vorabend im Schloss gegessen hat, ein Velofahrer, der Pause macht, oder eine Familie auf Durchreise.»

Beim Service geht es nicht so perfekt zu und her wie im Spitzenrestaurant. «Vielleicht wird der Teller in der Casa mal eine Minute später abgeräumt. Das stört hier nicht.» Nur bei der Qualität der Produkte macht Caminada keine Abstriche. «Sie sind im Prinzip die gleichen wie im Schloss. Allenfalls können wir hier ein Stück vom Tier verwenden, das im Schloss nicht aufs Menü kommt.»

Caminada denkt über das Spitzenrestaurant hinaus

Der Keller der Casa soll zur Schatzkammer der Bündner Kulinarik werden. Da reifen zurzeit Käse und Würste, doch Caminada denkt weiter: Er träumt von einem Archiv für regionale Spezialitäten, das im Laufe der Zeit wachsen soll.

Ohnehin beweist der berühmteste Koch der Schweiz mit der Eröffnung der Casa einmal mehr, dass er weiter denkt als nur bis zu seinem Spitzenrestaurant. Längst ist ihm Fürstenau, das er (mit historischem Hintergrund) zur kleinsten Stadt der Welt ernannte, ans Herz gewachsen. Er will im Gegensatz zu manch anderem Topchef nicht ein ungreifbarer Star sein, sondern zeigt sich – wie etwa auch mit der Erfindung des jährlichen Genussmarkts in Fürstenau – wiederholt als Motor der dortigen Bergregion.

Caminada, der bis auf wenige Tage im Jahr stets vor Ort ist und auch die Casa-Gäste nach Möglichkeit persönlich begrüsst, will mit seinem neuesten Konzept einen Treffpunkt für jedermann schaffen. Ohne Hemmschwellen, ohne Kleiderzwänge. So führt der Betrieb in der Weihnachtszeit ein Grittibänz-Backen mit Kindern durch. An weiteren Sonntagen im Jahr soll es ein Programm für die Kleinen geben, das den Eltern ein paar gemütliche Momente beschert.

Fürstenauer per «WhatsApp» integriert

Sogar bei der Arbeit in der Casa Caminada integriert er Leute aus dem Dorf. Eine pensionierte Konditorin hilft beim Herstellen des Brotteigs, für andere kleinere Arbeiten möchte er demnächst einen «WhatsApp»-Chat mit interessierten Leuten aus der Region aufziehen. «Dann frage ich dort, wer Lust und Zeit hat, etwas zu helfen», so Caminada. «Mal schauen, wie das rauskommt.» Die Idee dürfte ähnlich  verblüffen  wie bei der Dame mit der neuen Bratpfanne. Oder wie bei jenen Gästen, deren Kaffeetassen zuletzt von Caminada abgeräumt wurden.«Dafür bin ich mir doch nicht zu schade, ich mache es sogar gerne. Ich bin seit 15 Jahren Unternehmer. Da gehört so etwas dazu.»

Die Ruhetage der Casa Caminada wurden auf Dienstag und Mittwoch gelegt. So ist die Casa auch ein sich lohnendes Ausflugsziel für Gastronomen, die am Sonntag und/oder am Montag frei haben. Mit oder ohne Übernachtung. Die Casa ist eine Fahrt nach Fürstenau wert, um zu sehen, wie gut das Einfache sein kann. Dank Mut, nachhaltigem Denken und viel Persönlichkeit. 

(Benny Epstein)