«Bei falscher Musik wird der Gast zum Monster»

Unpassende Sounds im Hotel oder Restaurant lassen die Gäste davonlaufen. So schafft man mit der richtigen Musikauswahl ein Ambiente, das in Erinnerung bleibt und den Umsatz fördert.

Das 25 Hours Hotel in Zürich setzt in der Bar und teilweise auch im Restaurant auf DJs, die spontan auf jede Stimmung reagieren können. (Bild ZVG)

Selbst das schönste Interieur und der beste Service funktionieren nicht, wenn das Steak angebrannt daherkommt. Genauso verhält es sich mit der Musik. Oder eben mit falscher Musik. Heavy Metal und weisse Tischdecken? Suboptimal. Da könnte selbst ein Spitzenkoch nichts mehr retten. Doch ein stimmiges Musikkonzept schafft beim Gast Wohlbefinden. So sehr, dass das Essen teilweise sogar als besser wahrgenommen wird. Wenn man es dann richtig macht. «Viele Gastronomen beschäftigen sich unendlich viel mit Kulinarik, guten Zutaten oder der Einrichtung. Wie wichtig Musik ist, gerät dabei leicht in den Hintergrund», erzählt Tanja Goldstein von der Zürcher Agentur Platinmusik, die sich unter anderem auf Musikkonzepte in der Hotellerie und Gastronomie spezialisiert hat. Musik kann einen Betrieb pushen. Man muss nur wissen, wie. Je nach Marktpositionierung des Betriebs, nach Tageszeit, Saison oder räumlicher Aufteilung unterstützt der passende Sound die Identifikation des Kunden mit der Marke. «Die Gäste kommen gern wieder, sie trinken vielleicht den einen oder anderen Cappuccino mehr und fühlen sich einfach wohl. Egal ob sie die Musik bewusst oder unbewusst wahrnehmen», erklärt Goldstein.

Falsche Musik am falschen Ort

So kann unpassende Musik genau den entgegengesetzten Effekt erzeugen. «Aktuelle Charts funktionieren in einer jungen Bar. Aber niemals in einem hochpreisigen, klassischen Restaurant. Auch eine zu laute oder schnelle Musik abends beim Dinner ist kontraproduktiv. Der Gast kann sich nicht unterhalten und die entspannte Atmosphäre wird durch die schnellen Rhythmen zerstört», erzählt Goldstein. Die Feinheiten des richtigen Sounds gehen sogar so weit, dass unbewusst Fluchtreflexe beim Gast ausgelöst werden könnten. «Wird die Musik zu leise abgespielt, kann der Gast die Quelle der Geräusche nicht zuordnen und ist dadurch unterbewusst permanent gestresst», erklärt Goldstein.

Passende Sounds bei Wind und Wetter

Mit guten Musiktiteln kann man den Gast abholen, davon ist Thomas Weigel von «Ketchup Music» überzeugt. Das deutsche Unternehmen betreut in der Schweiz etwa 60 Gastronomie- und Hotelbetriebe, unter anderem das George Bar & Grill in Zürich, die Brasserie Schiller in Zürich oder das Hotel Victoria-Jungfrau in Interlaken. «Jetzt stellen Sie sich vor: Es ist Sommer, 30 Grad, ich sitze in einem schönen Café am See und was läuft, ist Techno mit 140 dB. Da wird der Gast zum Monster. Oder er geht. Was man jetzt braucht, ist poplastigen Sound, ein bisschen Beach, ein bisschen Jazz», empfiehlt der Musikprofi. «Am nächsten Tag regnet es vielleicht und ist 10 Grad kälter. Da funktionieren eher schwerere Töne – Frank Sinatra beispielsweise», erklärt Weigel weiter.

Musik motiviert Mitarbeiter

Die richtige oder eben falsche Musik wirkt nicht nur auf die Gäste, sondern auch auf die Mitarbeiter. Unmotivierte, schlappe Angestell- te, die frustriert darüber sind, den gleichen Track bereits zum fünften Mal zu hören, braucht kein Betrieb. «Ewige Sound-Schleifen machen sich definitiv beim Mitarbeiter bemerkbar. Die Motivation sinkt teilweise um bis zu 80 Prozent. Und sie tragen ja erst noch die Identität des Betriebs nach aussen», bemerkt Thomas Weigel. Auch Tanja Goldstein kennt das Problem: «Wo immer es geht, versuchen wir, die Musik vor Öffnung oder nach Schliessung des Lokals speziell auf die Wünsche der jeweiligen Angestellten abzustimmen.»

Wann sind die Peak Points?

Das Unternehmen muss sich ganz klar mit seiner eigenen Betriebsstruktur auseinandersetzen. Habe ich beispielsweise kontinuierlich Kunden im Betrieb oder nur zu den Peak Points? «Die Sushikette Negishi hat zum Beispiel eine ganz andere Dynamik als die Brasserie Schiller am Opernplatz in Zürich. Bei Negishi gibt es ganz klar ein Mittags- und ein Abendgeschäft. In der Brasserie hingegen gibt es am Morgen Frühstück, am Nachmittag Apéro, am Abend Dinner. Das muss man musikalisch alles aufeinander abstimmen», erklärt Weigel. Am Morgen eher entspanntere Sounds, die zum Mit- tag hin vitaler werden. Und am Nachmittag dann eher entspannt, pünktlich zum Nachmittagskaffee oder Apéro.

Ein Hotel und seine Sound-Struktur

Im Hotel hingegen sollte man die Musik nicht nur den einzelnen Tageszeiten anpassen, sondern auch den unterschiedlichen Räumen. Das «Chedi Andermatt» hat beispielsweise fünf getrennte Bereiche, die musikalisch auf die jeweilige Funktion und die Zielgruppe abgestimmt sind.

«Die Musik in der Lobby ist beruhigend und sanft. Vielleicht hatten einige Gäste eine stressige Anreise oder einen langen Weg? Die ruhige Musik hilft ihnen dabei, sich schon mal mental zu entspannen», erklärt Tanja Goldstein. Vor einem Jahr überarbeitete Platinmusic das gesamte Musikkonzept des Hauses, und das Feedback der Gäste ist seitdem durchwegs positiv. In der Bibliothek ertönen elektronischere Chill-Tracks, so dass man sich auch noch problemlos unterhalten kann. Die unterschiedlichen Restaurants des Hotels haben ihr jeweils eigenes Sound-Konzept.

Im Japanischen Restaurant ertönen aber nicht nur japanische Tracks. «Für eine kurze Zeit mag dieser geographische Charme ja etwas Besonderes sein, doch auf Dauer möchte niemand mit einer Endlosschleife der gleichen Art berieselt werden», erzählt Goldstein. Die Mischung macht’s: Etwa ein Viertel sind japanische Tracks, jedoch von modernen Interpreten. Der Rest der Musikauswahl ist auf die internationale Kundschaft ausgelegt.

DJ statt Playlist

Eine klare Positionierung ist genau das, was das neu eröffnete 25 hours Hotel an der Langstrasse in Zürich nicht will. «Wir wollen vielfältiger sein als die üblichen Bars, keine homogene Masse. Überall läuft momentan Deep House – das spricht meist nur eine Gruppe Menschen an. Bei uns soll alles laufen: 60s, 70s, Funk, Filmmusik, Gypsy Swing oder elektronische Musik. Im orientalisch angehauchten Restaurant auch mal Live-Bands mit Klezmer-Musik», erzählt Nicolas Bovet, der Marketing Manager des Hotels. Durch die zentrale Lage an der Ausgehmeile Zürichs will das «25 hours» alles sein: Quartierbeiz, Pre-Clubbing-Spot und Hotelbar für jeden Geschmack und jede Lust und Laune.

Momentan nutzt das Hotel einen Online-Streaming-Dienst, doch bald werden jeden Tag DJs auflegen, auch Vinyl. «Ein DJ kann direkt mit dem Publikum interagieren und viel individueller auf die Stimmung eingehen, als eine vorgefertigte Playlist es jemals könnte. Und Vinyl wirkt nochmals ganz anders», erzählt Jörg Meyer, der das Musikkonzept für das Hotel erstellte. Der DJ-Plan soll die Gäste bereits früher in die Bar locken. Geplant ist eine Art «Day Drinking»: eine gemütliche Bar-Stimmung von 15 bis 20 Uhr. Auch beim Sonntagsbrunch wird der DJ nicht fehlen. Sein Vorteil: «Je nach Stimmung und Zielgruppe kann man einen DJ in jede Richtung bewegen. Genau das, was die Gäste wollen», so Meyer.

(Anna Shemyakova)


Ein Sternekoch setzt auf Akustikforschung

Der britische Sternekoch Heston Blumenthal arbeitet mit Psychologen und Sensorikern zusammen, um das perfekte Zusammenspiel aller Sinne zu bieten. In seinem Dreisterne- restaurant The Fat Duck in Bray, England, serviert er beispielsweise spezielle Klänge zum Meeresfrüchte-gang. Über Kopfhörer hört der Gast Geräusche von Wellen, Möwen und Wind. Das intensiviert das Geschmackserlebnis der Gäste.