Zwischen Spinne essen und Cüpli trinken

SHL-Koch Marc-André Dietrich reiste nach Südostasien, um an einer Kochschule zu unterrichten. Dabei lernte auch er Neues.

Auf dem lokalen Markt kaufte Marc-André Dietrich mit den Schülerinnen Davin (l.) und Usa frische Produkte ein. (ZVG)

«Es war ein unrealistischer Moment, als ich nach meiner Rückkehr aus Kambodscha erstmals wieder ein Cüpli in der Schweiz trank», erzählt Marc-André Dietrich. Als Küchenchef und Leiter des Küchensemesters an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern SHL reiste er im Juli für zwölf Tage in die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh. Dort unterrichtete Dietrich an der Academy of Culinary Arts (Acac), der vom Schweizer Markus Kalberer geleiteten Kochschule. «Es handelt sich um ein Auftragsverhältnis», erklärt Dietrich. «Die Schule will von unseren Standards und unserem Know-how profitieren. Dafür fliegt einmal pro Jahr ein Dozent hin.»

Dietrich nahm die 19- bis 25-jährigen Schülerinnen und Schüler auf den lokalen Markt, testete ihr Wissen und verriet ihnen, was denn zurzeit in Europas Küchen im Trend ist. «Healthy Food oder Nose-to-Tail – solche und weitere Philosophien brachte ich ihnen näher. Wobei natürlich beispielsweise die komplette Verwendung eines Tiers in den Küchen Kambodschas eine Selbstverständlichkeit ist.»

Frittierte Tarantel als Snack

Dabei lernten nicht nur die Kochschüler Neues kennen, sondern auch Dietrich. «Ich ass zum ersten Mal in meinem Leben eine Spinne», so der Champagner-Fan. «Es war eine Tarantel. Nicht wirklich eine kulinarische Offenbarung. Aber frittiert liess sie sich als Snack ertragen.»

Doch das Krabbeltier war längst nicht die extremste Erfahrung, die der SHL-Dozent in Kambodscha machte. Viel mehr beeindruckten ihn die Geschichte des Landes und die persönlichen Schicksale der Schülerinnen und Schüler. Von Mitte 1975 bis Anfang 1979 stand Kambodscha unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Die Idee der Partei, einen radikal-kommunistischen Bauernstaat zu etablieren, kostete zwischen ein und zwei Millionen Menschen das Leben. Dietrich: «Die Spuren dieses Völkermordes sind überall zu sehen und zu spüren. Denkmäler erinnern an die unfassbaren Verbrechen und jede Person, der ich begegnete, hatte Verwandte, die ermordet worden waren.»

Ähnlich berührt hat Dietrich die Armut des Landes. Der südostasiatische Staat erlebt derzeit zwar – unter anderem in den Bereichen Hotellerie, Gastronomie und Tourismus – einen Aufschwung, dennoch leidet er noch immer stark an den Folgen jahrzehntelanger Kriege. «Die Lebensgeschichten der Schülerinnen und Schüler sind krass: Prostitution, verkaufte Kinder, Vergewaltigungen.»

Jammern auf hohem Niveau

Es sei gewiss seine emotionalste Reise gewesen, glaubt Dietrich. «Sie macht einem mal wieder klar, wie gut es uns doch geht. Als Schweizer, aber auch als Koch. Sicherheit, Trinkwasser ab Leitung oder Toiletten mit fliessendem Wasser sind für uns das Normalste der Welt. Wenn wir Köche hart arbeiten müssen, jammern wir über die Bedingungen und den tiefen Lohn.» Dietrich schüttelt den Kopf. Er schämt sich.

Man glaubt Dietrich, wenn er erzählt, es sei ein besonderer Moment gewesen, als er nach seiner Rückkehr in die Schweiz erstmals wieder ein Cüpli trank. «Ich habe es genossen und gleichzeitig sind mir die Eindrücke der Reise wieder durch den Kopf geschossen. Ich bin einfach nur dankbar für die Privilegien, die wir hier alle haben.»

Diese sollen die zwei Acac- Schülerinnen Davin und Usa im Herbst auch erleben: Für einen Monat gewährt die SHL den beiden Küchentalenten spannende Einblicke und lässt sie an einem Charity-Dinner ihre Kochkünste zeigen. Der Beginn zweier kambodschanischer Kochkarrieren in Europa?

(Benny Epstein)