Die Stellenmeldepflicht ist ein Kompromiss. Und als solcher wahrlich nicht die perfekte Lösung – weder für das Gastgewerbe noch für die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren.
Seit dem 1. Juli 2018 gilt die Stellenmeldepflicht. Das bedeutet: Alle freien Stellen in Berufen, in denen eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht, müssen den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gemeldet werden, bevor man sie öffentlich ausschreiben darf. Von dieser Pflicht ist auch das Gastgewerbe betroffen. Hier wird, unter anderem wegen der Saisonalität, eine der höchsten Arbeitslosenquoten des Landes gemessen. Ein weiterer Grund, warum die Branche so hohe Werte verzeichnet, liegt an der Art, wie die Stellensuchenden erfasst werden. Sie werden bei den RAV nicht nach ihren ursprünglich erlernten Berufen registriert, sondern dem Beruf zugeteilt, in dem sie zuletzt tätig waren. Dieses Vorgehen verfälscht das Bild. Es suggeriert, dass ein Überangebot an Fachkräften vorhanden ist, obwohl in Tat und Wahrheit sogar ein Mangel an qualifizierten Fachleuten herrscht. Dies ist mit ein Grund, warum sich schon vor der Einführung der Stellenmeldepflicht kritische Stimmen gegen diese Massnahme erhoben haben. Zwar wurde von den meisten begrüsst, dass in der Schweiz lebende Menschen ohne Arbeit bei der Stellensuche einen Vorsprung vor ausländischen Stellensuchenden haben sollen. Doch bei der Umsetzung dieses Ziels schieden sich die Geister, und sie tun dies noch heute. Die Kritiker bemängelten, dass der administrative Aufwand für die Arbeitgeber zu gross sei. Die Befürworter verwiesen auf die Möglichkeit, freie Stellen einfach und rasch auf dem Web-Portal arbeit.swiss aufzuschalten. Die Kritiker prophezeiten zu geringen Erfolg im Verhältnis zum Aufwand. Die Befürworter sprachen von den neuen Chancen für Stellen- und Mitarbeitersuchende. Nun, ein paar Monate nach der Einführung der Stellenmeldepflicht, ist die Bewährungsprobe vorbei. Es ist Zeit für eine erste Zwischenbilanz.
Papiertiger, Schildbürgerstreich, Leerlauf – diese Wörter sind im Zusammenhang mit der Stellenmeldepflicht oft zu hören. Das Erfüllen der Pflicht sei viel Arbeit, die nichts bringe. Eine Augenwischerei, ein fauler Kompromiss, eine unnötige Belastung.
Zumindest als Letzteres dürften es die HR-Verantwortlichen im «Badrutt’s Palace» empfunden haben. Die Sonntagszeitung vom 21. Oktober erwähnte das «Badrutt’s Palace» als Beispiel für die Lage, in der sich diverse Hotels in der Schweiz befinden. Sie müssen den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV alle ihre freien Stellen melden. Was für Jahresbetriebe ein eher kleiner administrativer Mehraufwand ist, stellt für Saisonbetriebe durchaus einen Berg von Arbeit dar, der nicht unbedingt sein müsste.
Gemäss der Sonntagszeitung seien im «Badrutt’s Palace» zwei Mitarbeitende der Personalabteilung eine Woche lang damit beschäftigt gewesen, 400 Stellen zu melden. Als Resultat konnte durch die Vermittlung des RAV ein einziger neuer Mitarbeitender gewonnen werden.
Wie ergeht es anderen Hotels? Stehen Aufwand und Ertrag überall in so einem Missverhältnis? «Für uns bedeutet die Stellenmeldepflicht einen grösseren Aufwand in der Administration», sagt Daniel Grünenfelder. Er ist Director Human Resources Corporate Grand Resort Bad Ragaz AG. Das Resort ist mit über 700 Mitarbeitenden einer der grössten Arbeitgeber im Kanton St. Gallen. Der entstandene Mehraufwand sei zu bewältigen, sagt Grünenfelder, bringe aber keinen Mehrwert.
Das Grand Resort Bad Ragaz arbeite schon lange erfolgreich mit dem RAV zusammen. «Ausser der Tatsache, dass einmal mehr alles noch komplizierter gemacht wurde, hat sich für uns nichts geändert.»
Den meisten Hoteliers geht es ebenso. Das zeigt die aktuelle Mitgliederumfrage von Hotelleriesuisse. Rund drei Viertel der Befragten sind bereits der Stellenmeldepflicht nachgekommen. Doch nur 14 Prozent von ihnen haben daraufhin einen von den RAV vorgeschlagenen Kandidaten einstellen können. Dies ist kein regionales Phänomen, sondern schweizweit im städtischen wie im alpinen Raum gleich.
Wer eine Stelle meldet, sollte innerhalb von drei Tagen von den RAV Dossiers möglicher Kandidaten erhalten. Diese Frist wird gemäss Befragung der Hoteliers in 85 bis 90 Prozent der Fälle eingehalten. Ein Viertel der Bewerbervorschläge treffen sogar noch am Tag der Stellenmeldung ein.
Auch Gastrosuisse hat seine Mitglieder befragt. Die Wirte sind mit der Stellenmeldepflicht und den RAV aber nur mässig bis gar nicht zufrieden. Wie die Hoteliers bemängeln auch die Wirte den zusätzlichen Arbeitsaufwand. Und wie die Hoteliers finden auch die Wirte unter den von den RAV vorgeschlagenen Stellensuchenden nur selten Kandidaten mit genügend guter fachlicher Qualifikation. «Weit über die Hälfte der von den RAV zugestellten Dossiers waren ungeeignet. Oft passten sie nicht aufs Anforderungsprofil», fasst Brigitte Meier-Schmid, Leiterin Kommunikation, die Erfahrungen der Wirte zusammen.
Im Gegensatz zu den Hoteliers geben über 40 Prozent der Wirte an, dass sie vier und mehr Tage auf Vorschläge der RAV warten mussten. Ein Drittel der Wirte hatte sich sogar acht Tage und länger zu gedulden. «Das Gastgewerbe hat vergleichsweise hohe Fluktuationen im Personalbestand, die es rasch auszugleichen gilt. Lange Wartezeiten führen zu einer Überbelastung des angestellten Personals und erschweren die Betriebsführung», schreibt Gastrosuisse in einer Mitteilung.
Wirft man selber einen ersten Blick auf «job-room», die Stellenvermittlungsseite des Web-Portals «arbeit.swiss», fällt es tatsächlich schwer zu verstehen, warum die Wirte bis zu 14 Tage auf Kandidatenvorschläge warten müssen. Immerhin sind in der Kategorie «Berufe des Gastgewerbes und der Hotellerie» über 29 500 Arbeitsuchende gemeldet.
Darunter viele Menschen, die gar keine gastgewerbliche Grundbildung oder entsprechenden Fachkenntnisse haben. Dass so viele Stellensuchende der Gastronomie zugeteilt werden, ist teilweise ein hausgemachtes Problem. Einerseits werden Berufstätige, die in anderen Branchen kein Auskommen mehr finden, von den Ämtern gerne ins Gastgewerbe vermittelt. Andererseits stellen Arbeitgeber oft Ungelernte ein, um die Lohnkosten tief zu halten.
Bewähren sich diese Leute im hektischen und anspruchsvollen Gastronomiealltag nicht, werden sie entlassen. In der Arbeitslosenstatistik tauchen sie dann als Gastgewerbler auf. Das gleiche gilt auch für den Bänker, der mal eine Sommersaison lang in der Badi Bratwürste auf den Grill legte und nun einen neuen Job bei einer Bank sucht. Oder für die Kindergärtnerin, die im Kids-Club eines Hotels die Gästekinder betreute. Mit anderen Worten: So viele qualifizierte, motivierte und als Gastgeber geeignete Stellensuchende wie einem die Statistik vorgaukelt, gibt es nicht. Entsprechend schwierig ist es, die richtigen Leute an die richtigen Stellen zu vermitteln. Das war auch schon vor der Einführung der Stellenmeldepflicht so. Das Problem ist geblieben, verändert hat sich aber die Zahl der offenen Stellen.
Im Kanton Bern beispielsweise hat die Zahl der gemeldeten offenen Stellen signifikant zugenommen. Das Team der RAV bewältige die Arbeiten ohne zusätzliche Ressourcen. In den Tourismuskantonen Graubünden und Wallis mussten hingegen zur Bewältigung der zusätzlichen Arbeit zwei respektive fünf neue Stellen geschaffen werden.
Grundsätzlich ist es ja immer schön, wenn neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In diesem Fall darf man aber an der Sinnhaftigkeit zweifeln. Denn ein grosser Teil der zusätzlichen Arbeit wird – zumindest in den Tourismuskantonen – unnötig sein.
«Es ist davon auszugehen, dass in Graubünden 60 bis 70 Prozent der gemeldeten Saisonarbeitsstellen mit Arbeitskräften besetzt werden, welche bereits in der Vorsaison an der fraglichen Stelle gearbeitet haben», sagt Gian Reto Caduff, stellvertretender Amtsleiter und Mediensprecher beim Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit des Kantons Graubünden KIGA. Nicht nur im Steinbock-Kanton besteht ein Missverhältnis zwischen dem Aufwand, den die Meldepflicht verursacht, und der Zahl der Vermittlungen.
Auch das Beco Berner Wirtschaft äussert sich in Bezug auf die Zahl der vermittelten Stellensuchenden wie folgt: «Aufgrund der tiefen Arbeitslosenquote und der suboptimalen Matching-Voraussetzungen sind die Erfolge gering.»
Weil diese Entwicklung voraussehbar war, hatte der Bündner Regierungsrat Jon Domenic Parolini (BDP) in Bundesbern interveniert und eine Ausnahmeregelung für saisonale Wiederanstellungen verlangt. Leider bisher erfolglos.
Immerhin wird in Fachgruppen auf Bundesebene unter Mitwirkung der Kantone über Optimierungsmöglichkeiten diskutiert. Sie betreffen vor allem den Prozessaufbau und dessen Abwicklung. Der für Herbst 2019 vorgesehene Monitoring-Bericht des Bundes wird als Grundlage für die weitere Entwicklung dienen. Schon jetzt werden Verbesserungsvorschläge, die so genannten Change Requests, vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco geprüft. Bei unmittelbarer Umsetzbarkeit sollen Verbesserungen kurzfristig realisiert werden. «Wichtig sind dafür die Rückmeldungen der Arbeitgebenden», sagt Gian Reto Caduff vom KIGA.
Hotelleriesuisse hat einige Vorschläge zu dringenden Optimierungen (siehe Spalte). Da der Monitoring-Bericht des Seco allerdings erst im Herbst 2019 vorliegt, wird sich bis dahin vorerst kaum etwas ändern. Der Papiertiger wird vorläufig also weiter gefüttert.
(Riccarda Frei)
Arbeitgeber, die eine freie Stelle zu besetzen haben, dürfen diese nicht öffentlich ausschreiben, sondern müssen sie zuerst dem zuständigen Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) melden. Am schnellsten und einfachsten geht dies über einen Eintrag auf dem Web-Portal «arbeit.swiss».
Innerhalb von drei Tagen nach der Meldung wird der Arbeitgeber vom RAV Dossiers von passenden Stellensuchenden erhalten.
Der Arbeitgeber prüft die Kandidaten und entscheidet, ob ein Arbeitsverhältnis zustande kommt oder nicht. Das RAV muss dann über diesen Entscheid informiert werden.
Lässt sich auf diesem Weg kein geeigneter Mitarbeiter finden, steht es dem Arbeitgeber nach fünf Tagen frei, die Stelle selber noch auszuschreiben.
Warum gibt es die Stellenmeldepflicht?
Die Stellenmeldepflicht ist eine Folge der vom Volk am 9. Februar 2014 angenommenen SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung, Der Unterschied zwischen den Ja- und Nein-Stimmen betrug lediglich 0,6 Prozent. Mit der Initiative wollte die SVP der 2002 zwischen der EU und der Schweiz eingeführten Personenfreizügigkeit einen Riegel schieben. Um eine Wiedereinführung des Saisonnier-Statuts zu verhindern und doch dem Volksentscheid zu entsprechen, wurde im Juli 2018 nun die Stellenmeldepflicht eingeführt.
Wie war das vor der Personenfreizügigkeit?
Bevor 2002 die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU eingeführt wurde, galt das Saisonnier-Statut. Es regelte seit 1934 die Vergabe von Kurzaufenthaltsbewilligungen für ausländische Arbeiter. Schweizer Unternehmer konnten je nach Saison und Wirtschaftsgang ein gewisses Kontingent an Mitarbeitern im Ausland rekrutieren. Im Gegensatz zu heute durften Saisonniers ihre Ehepartner und Kinder nicht mitbringen. Sie durften während der Bewilligungsdauer ihren Aufenthaltsort und Arbeitgeber nicht wechseln, und sie hatten nur beschränktes Recht auf Sozialversicherungsleistungen. Spätestens nach neun Monaten musste der Arbeitnehmer das Land verlassen und durfte frühestens nach drei Monaten zurückkommen, sofern er erneut eine Saisonnier-Bewilligung erhalten hatte. Der Arbeitsaufwand für die Arbeitgeber war enorm.
Das möchte Hotelleriesuisse geändert haben
Stellt ein Saisonbetrieb die gleichen Arbeitnehmer für die nächste Saison wieder ein, sollen diese Stellen nicht meldepflichtig sein. Diese Regelung müsste für Personen gelten, die seit mindestens drei Monaten fürs Unternehmen tätig waren und bei denen der Arbeitsunterbruch nicht länger als zwölf Monate gedauert hat. Melden die RAV dem Arbeitgeber, dass sie trotz intensiver Suche kein passendes Kandidatendossier zur Verfügung stellen können, sollte die fünftägige Sperrfrist sofort aufgehoben werden. Es mache keinen Sinn, dass der Arbeitgeber mit seiner eigenen Suche bis zum Ablauf der Sperrfrist warten müsse. Bei der Berechnung der Arbeitslosenquote müsste zwischen gelernten und ungelernten Berufsleuten unterschieden werden. Alle in einen Topf zu werfen, verzerre die Arbeitslosenquote zu Ungunsten der Gastronomiebranche. Auch müssten die Berufe klarer differenziert und das Ausbildungsniveau (EBA, EFZ, HF) angegeben werden. Dies solle bis spätestens Januar 2020 geschehen, weil dann die Meldeschwelle von acht auf fünf Prozent gesenkt wird. Heute laufe von Chefkoch bis Tellerwäscher alles unter Küchenpersonal. Das verzerre die Statistik ebenfalls.