In den Grenzgebieten zur Schweiz blühen dank des starken Frankens nicht nur der Einkaufstourismus, sondern auch die Gastronomie und Hotellerie. Ein Augenschein im südlichen Schwarzwald.
An klaren Tagen, wenn die Aussicht aus der neuen Junior Suite die ganze Bergkette vom Säntis bis zur Jungfrau erkennen lässt, macht das Hotel Alpenblick in Höchenschwand seinem Namen alle Ehre. Drei Millionen Euro hat der Hotelier Ferdinand Thoma in seinen Neubau investiert. Kurz zuvor hatte er schon den Wellnessbereich für zwei Millionen Euro modernisiert. Der zeitgemässe Ergänzungsbau zum historischen, mit vier Sternen zertifizierten Schwarzwaldhaus gleich daneben sei nötig geworden, um den heutigen Ansprüchen des Wellnessgastes zu genügen, sagt Thoma. Der gebürtige Innerschweizer schielt dabei auf die zahlungskräftige Schweizer Kundschaft, die sich seit einem Jahr, seit der Aufhebung der Euro-Untergrenze zum Schweizer Franken, noch zahlreicher auf den Weg in den nahegelegenen Schwarzwald macht. Von Freitag bis Sonntag sind im «Alpenblick» stets alle Zimmer ausgebucht. Ferdinand Thoma hat in Luzern eine Kochlehre absolviert und seine Sporen in den Nobelhotels von Luzern und St. Moritz abverdient. Er kennt die Mentalität und die Bedürfnisse der Schweizer Klientel. Schon seit 1993 führt er zusammen mit seiner deutschen Frau Renate im Südschwarzwald das bekannte Wellnesshotel Auerhahn am Schluchsee. 2000 kam das Hotel Alpenblick dazu. Hier setzt der diplomierte Küchenchef Thoma auf gesunde Bio-Ernährung, kreiert eigene Menüs für Vegetarier, Veganer und Allergiker oder saisonale Gerichte ohne Tiermilch und Gluten, ganz nach Wunsch. «Die Schweizer schätzen bei uns das gute Preis-Leistungs-Verhältnis», sagt Thoma, «für die gleiche Qualität bezüglich Zimmer, Essen, Wellness und Mitarbeitenden zahlt man in der Schweiz wohl fast doppelt so viel .»
So kann es nicht verwundern, wenn im angrenzenden Aargau nicht nur der Detailhandel unter dem Einkaufstourismus leidet, sondern auch die Gastronomie und Hotellerie. Während sich auf der Rheinbrücke zwischen Koblenz und Waldshut Tag für Tag die Blechkolonnen mit Schnäppchenjägern stauen, gehen im Zurzibiet immer mehr Beizen ein. In den letzten zehn Jahren sei dort jedes fünfte Restaurant eingegangen, klagt GastroAargau-Präsident Josef Füglistaller, und der starke Franken habe im letzten Jahr diese Entwicklung noch beschleunigt: «Jetzt herrscht ein regelrechter Gastro-Tourismus.» Gemäss einer Link-Umfrage geht etwa ein Drittel der Schweizer Bevölkerung regelmässig ins grenznahe Ausland zum Essen. Der Wirteverband Basel-Stadt appellierte letztes Jahr dramatisch, aber vergeblich an die Treue und Loyalität der Schweizer Kundschaft. 2015 sind die landesweiten Umsätze im Gastgewerbe um mehr als fünf Prozent zurückgegangen, über 2000 Vollzeit-Arbeitsplätze gingen verloren. GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer fordert deshalb «eine stabilisierende Währungspolitik» und «wirtschaftsfreundliche politische Massnahmen.»
Auch die Beherbergungsbetriebe stemmen sich gegen die rückläufigen Gästezahlen aus dem Euro-Raum. Und nun kehren sogar immer mehr Landsleute den teuren einheimischen Hotels den Rücken – trotz der Imagekampagne «Verliebt in die Schweiz». Nutzniesser sind unsere Nachbarn im Schwarzwald sowie in Bayern, Vorarlberg und Tirol. Während die drei letzteren Destinationen vor allem Skiurlauber anziehen, dominieren im Schwarzwald die Tagesausflügler und Kurzurlauber, welche an einem verlängerten Wochenende zum Wandern hierher kommen, die Wellness-Angebote geniessen und es sich in den Restaurants schmecken lassen.
Im Schwarzwald hat der Tourismus letztes Jahr wohl einen neuen Allzeitrekord aufgestellt. Gegenüber dem Vorjahr haben die Gästezahlen erneut um fast fünf Prozent zugenommen, die Zahl der Übernachtungen um fast drei Prozent. Die exakten Statistiken werden erst im März vorliegen. Doch bereits jetzt lässt sich sagen, dass das deutliche Wachstum auf die stark gewachsene Auslandsnachfrage zurückzuführen ist, wobei die Schweizer insbesondere im südlichen Schwarzwald mit einem Zuwachs von über zehn Prozent Übernachtungen für einen kleinen Boom gesorgt haben. Christopher Krull, Geschäftsführer der Marketingorganisation Schwarzwald Tourismus GmbH: «Seit der Fussball-WM 2006 in Deutschland haben sich die Übernachtungen von Schweizer Gästen verdoppelt. Wir werden uns weiterhin in besonderer Weise um den Schweizer Markt bemühen.»
Mit dem Slogan «Aus Liebe zur Heimat» wird die Destination Schwarzwald als Sehnsuchtsort einer heilen und überschaubaren Welt vermarktet. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus sind gut: 11 000 Quadratkilometer hügeliger, schwach besiedelter Landschaft laden Naturliebhaber, Wanderer, Biker und Wintersportler zum Naturerlebnis ein.
Premium-Wanderwege und Geniesserpfade lassen sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen: Die von den meisten Hotels kostenlos abgegebene Konus-Gästekarte gilt als Freifahrtticket in allen Bussen und Bahnen der Region. Ein weiterer Trumpf in der – laut Eigenwerbung – «schönsten Geniesser-Ecke Deutschlands» sind die 370 Restaurants, die oft eine hervorragende Küche bieten und wo sich die Köche gerne auch in die Töpfe schauen lassen. Die Schweizer Gäste fühlen sich im Schwarzwald wohl, weil guter Service und freundliches Personal mit einem authentischen und nicht zuletzt auch kostengünstigen Angebot zusammentrifft.
Postkarten-Klischees mit historischen Schwarzwaldhäusern, Kuckucksuhren und Kirschtorten gehören durchaus mit zum Geschäftsmodell. Trotzdem braucht heutzutage auch der Schwarzwald für eine erfolgreiche Positionierung der Destination zwingend innovative Konzepte und Angebote. So kam die Auszeichnung mit dem Deutschen Tourismuspreis 2015 sehr gelegen: Mit der Designerin Ingrid Buron de Preser wurde exklusiv die Ferienwohnungsmarke «Kuckucksnester – Design Apartments Hochschwarzwald» entwickelt. Bei den Kuckucksnestern handelt es sich um in die Jahre gekommene Ferienwohnungen und Apartments, die aufwendig modernisiert wurden und sich in ihrer luxuriösen Gestaltung deutlich von anderen Urlaubsunterkünften abheben.
Viele Hotels im Schwarzwald haben in den letzten Jahren aufgerüstet und vor allem in grössere Zimmer und in Wellness-Bereiche investiert. Auch Ferdinand Thoma ging in seinem Hotel Alpenblick diesen Weg. «Schwarzwald im modernen Stil» lautet sein Credo, und er ist mit seinem Konzept, das die Gesundheit ins Zentrum stellt, bei seiner Schweizer Kundschaft sehr erfolgreich. Diese ist aus Basel oder den Agglomerationen des Mittellandes schneller bei ihm als in den meisten Alpendestinationen. Das auf einer Höhe von 1000 Metern gelegene Höchenschwand, der höchstgelegene Kurort Deutschlands, liegt nur 20 Autominuten hinter der Grenze. «Die Schweiz ist unser wichtigster Markt, und unser Einzugsgebiet reicht von St. Gallen über die Innerschweiz bis in den Kanton Freiburg», sagt Thoma. Im Alpenblick kommt weit über die Hälfte der Besucher aus der Schweiz, im Auerhahn sind es über zwei Drittel der Gäste. Ausser Stuttgart liegen alle deutschen Grossstädte für potenzielle Wochenendgäste viel zu weit weg.
Die Ausrichtung auf den Schweizer Markt drängt sich also auf. Thoma ist mit dem Geschäftsgang hochzufrieden. Schon seit zehn Jahren nehmen die Übernachtungszahlen kontinuierlich zu. Der Ernährungs- und Wellnessspezialist, der auch eine Weiterbildung zum Heilpraktiker und ein Buch zum Thema veröffentlicht hat, bietet seinen Gästen ja auch etwas: Ein modernes Wellness-Spa, die bio-zertifizierte Küche, sportliche Aktivprogramme in der Umgebung oder «Abnehmwochen», um die 37 Zimmer des Hotels Alpenblick auch unter der Woche auszulasten. Kommen zur Gastfreundschaft noch moderate Preise dazu, so liegt eine Erfolgsformel vor, die für ähnlich ausgerichtete Schweizer Betriebe eine äusserst harte Konkurrenz darstellt. Schweizer Touristenorte gehen jetzt dazu über, Gesamtpakete zu schnüren, in denen Vieles inklusive ist, was im Ausland noch separat berechnet wird.
Die Nähe zur Schweiz birgt für Schwarzwälder Hoteliers allerdings die Gefahr, dass sich Mitarbeitende gelegentlich nach einer Stelle weiter südlich umschauen, wo die Löhne weit höher sind. Gemäss Alexander Hangleiter vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband liegen die Saläre nach dem Lohn- und Gehaltstarifvertrag für Baden-Württemberg bei 1751 Euro für Zimmermädchen und 2270 Euro für einen Alleinkellner. Der unterste Tariflohn im Gastgewerbe liegt bei knapp 10 Euro pro Stunde, wobei vor allem Köche zu diesem Ansatz kaum zu finden sind. Die Nachwuchssorgen sind entsprechend hoch. Wegen des Fehlens einheimischer Fachkräfte versuchen die Arbeitgeber dies mit Mitarbeitenden aus Spanien oder osteuropäischen Ländern auszugleichen. So beschäftigt Ferdinand Thoma mehrere Ungarinnen, denen er eine gute Ausbildung, Deutschkenntnisse und Betriebsloyalität attestiert.
Übrigens fühlen sich nicht nur Touristen wohl in Höchenschwand. Rund 200 Schweizer haben mittlerweile hier ihren festen Wohnsitz und pendeln täglich über die Grenze zur Arbeit. Nach Feierabend kehren sie dann im Hotel Alpenblick ein.
Autor: Nick Manouk