René Zimmermann von der Zürcher «Wirtschaft Neumarkt» hat viele Weintrends miterlebt. Bei einem ist er froh, dass dieser abklingt.
Verglichen mit einem guten Wein, könnte René Zimmermann als Gastronom mit Ecken und Kanten beschrieben werden. Von ihm stammen Aussagen wie «Ich mag keine seelenlosen Fabrikweine» oder «Grossartige Weine haben nicht das grosse Publikum». Deshalb schenk er in seiner Wirtschaft Neumarkt in Zürich auch «gut gemachten, aber trotzdem 08/15»-Rioja aus. «Um die Kunden nicht zu überfordern, muss man ihnen etwas anbieten, das sie kennen und das ihnen schmeckt.»
Für Gäste, die Spezielles suchen und die Leidenschaft von René Zimmermann teilen, gilt das «Neumarkt» als Paradies. «Ich suche nach Weinen, die typisch für ihre Herkunft sind und viel Terroir zeigen. Ein Wein soll Charakter zeigen und Persönlichkeit haben, gerne elegant und tänzerisch sein und uns nicht träge, dick und süsslich die Trinkfreude verderben», sagt der Weinkenner. «International getrimmte Fabrikweine mag ich nicht. Auch sogenannte, meist überteuerte Kultweine findet man bei mir nicht.»
Das regelmässig wechselnde Weinangebot im «Neumarkt» ist überschaubar. Doch Liebhaber und Geniesserinnen finden darin beste Schweizer Weine sowie einige Perlen aus Frankreich und Italien. Als erster Restaurantpartner bietet René Zimmermann zahlreiche Mémoire-Weine – der Idee der Vereinigung folgend – von trinkreifen Jahrgängen an.
Die Trinkreife spielt bei gehaltvollen Weiss- und Rotweinen eine wichtige Rolle. Nur werden Gehalt und Komplexität häufig mit Holzgeschmack gleichgestellt. «Man muss wissen, dass ein grosser Wein im Rebberg entsteht», erklärt Zimmermann. «Das Reifen in Barriques oder grösseren Fässern verleiht dem Wein eine dritte Dimension. Nur weil Pioniere wie Thomas Donatsch in Malans/GR oder Werner Stucki und Christian Zündel im Tessin damit Erfolg hatten, beherrschen das lange nicht alle. Dem Barrique-Trend folgend, machen es einige Nachahmer gut. Andere hingegen keltern schreckliche Weine. Ein leichter Landwein verträgt kein Holz.» Um solche Unterschiede verstehen zu können, müssten sich die Wirte mehr mit Wein befassen. Viele würden nur halb so viel darüber wissen wie ihre Gäste.
Ursprünglich als Transportbehälter gedacht, wurden die 225 bis 228 Liter fassenden Barriques zum Gär- und Reifegebinde. Aus Dauben zusammengesetzte Holzfässer gelten als Erfindung der Kelten, den Gegenspielern der Römer nördlich der Alpen. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte Louis-Gaspard Estournel aus Saint-Estèphe bei Bordeaux festgestellt, dass der Wein aus Indien in nicht verkauften und zurücktransportierten Fässern besser schmeckte. In den 1980er-Jahren kam der Barriqueausbau von Wein weltweit in Mode. Mit dem Weinkritiker Robert Parker wurde er zum Hype. Für die Herstellung eines Barrique werden rund 32 Holzbretter, sogenannte Dauben, rund um ein Feuer gebogen. Bei der ersten Füllung mit Wein verleiht die Röstung dem Wein viel Vanillegeschmack und Rauchnoten, das Holz gibt zusätzliche Tannine ab. «Zum Glück ist dieser Trend vorbei», freut sich René Zimmermann. Ein gut gepflegtes Barrique wird heute für bis zu zehn Füllungen verwendet. Nach der dritten gibt es kaum mehr Röstgeschmack und Tannine ab. Der minimale Sauerstoffaustausch lässt den Wein jedoch langsam reifen und verleiht gutem Ausgangsmaterial Persönlichkeit. Ob es sich dabei um sortenreine Weine nach Burgunder Vorbild oder um Assemblagen wie im Bordelais handelt, spielt eine untergeordnete Rolle. «Dass ein grosser Wein viel Holz braucht, war ein ebenso grosser Irrtum», erklärt René Zimmermann. «Die Struktur und die Säure verleihen einem Wein Leben, nicht die Reife im Fass.»
Auf die Frage, ob im Holz gereifte Weine dekantiert werden sollen, antwortet René Zimmermann: «Wenn Weine ihre Trinkreife erreicht haben, ist es schön zu beobachten, wie sie sich im Glas öffnen und müssen nicht belüftet werden.»
(Gabriel Tinguely)
René Zimmermann, *1948, lernte Maurer und liess sich an der Schule für Sozialarbeit zum Streetworker ausbilden. 1978 kam er als Quereinsteiger in die Küche des «Rössli» in Stäfa. Seit 1986 führt er die Wirtschaft Neumarkt in Zürich und ist der erste offizielle Restaurantpartner des Mémoire des Vins Suisses.
Das Mémoire des Vins Suisses ist eine Vereinigung der besten Schweizer Winzer. Seit 2002 geben diese alljährlich 60 Flaschen des vom Mémoire ausgewählten Weines in die Schatzkammer. Mit regelmässigen Verkostungen hat die Vereinigung bewiesen, dass beste Schweizer Weine ein grosses Reifepotenzial besitzen. Seit kurzem nimmt die Vereinigung auch Gastronomen, die ausgesuchte Schweizer Crus – und vor allem Mémoire-Weine –anbieten, auf.