In der Schweiz gibt es unzählige ungenutzte Industriebrachen. Zusammen sind sie 1700 Hektaren gross und grösser als die Stadt Genf mit ihren rund 1600 Hektaren. Das grösste brachliegende Areal ist jenes von Attisholz bei Riedholz/SO mit über 100 Hektaren. Dort kehrt Leben ein. Dies auch dank der Gastronomie.
Der Sieg kam nicht unerwartet. Das Attisholz-Areal in den nur durch die Aare getrennten solothurnischen Gemeinden Riedholz und Luterbach holte sich den diesjährigen Tourismuspreis des Kantons Solothurn in der Höhe von 5000 Franken. Die Laudatio an der Siegerehrung in Solothurn war voll des Lobes: «Ungewöhnlich und einzigartig, überraschend und beeindruckend. Das Projekt verknüpft das industrielle Erbe der Region mit einzigartigem Kultur- und Lebensraum.»
Ein Besuch vor Ort zeigt: Auf der grössten Industriebrache der Schweiz ist neues Leben erwacht. Seit der Öffnung für die Bevölkerung haben sich auf dem Areal vielfältige Angebote etabliert. Mit Konzerten in der Arena, wechselnden Ausstellungen, Street-Art, Restaurants und grosszügigen Freiräumen ist das Gebiet mit allen Sinnen erlebbar. «Das Fabrikareal war über 100 Jahre lang nur dem Personal zugänglich. Wir haben mit Restaurants und Kulturangeboten diesen Raum geöffnet und erlebbar gemacht», sagt Anna Domagala von der Besitzergesellschaft Halter aus Zürich.
Die Cellulose Attisholz war bei ihrer Gründung im Jahr 1881 die einzige Fabrik ihrer Art in der Schweiz. Zu ihr gehörte später die Papierfabrik Tela mit Standorten in Balsthal/SO und Niederbipp/BE. Das Attisholz-Areal verkörpert deshalb ein wichtiges Stück Schweizer Industriegeschichte. 2016 kaufte die Halter das Areal. Bis 2045 wird das Gebiet mit seinen historischen Zeitzeugen der Industriegeschichte schrittweise mit Neubauten ergänzt. Ziel ist es, dass sich das Attisholz-Areal dereinst zu einem eigenständigen, lebendigen Ort mit eigener Identität und Historie entwickelt.
Wirft man einen Blick auf den Eventkalender des Areals, wird klar: Es gibt Tanzanlässe, Konzerte und Buchvernissagen. Dafür stehen auf dem ganzen Areal verschiedene Eventflächen zur Verfügung: das Kesselhaus, die Eindampfanlage, die Werkstatt und die Kiesofenhalle. «Alle Veranstaltungen ziehen immer viele Leute an», freut sich Harri Kunz, Eventmanager des Attisholz-Areals. Findet ein Anlass statt, kommt das den Restaurants vor Ort entgegen. «Je nach Event bringt der Veranstalter einen Caterer mit. Unsere Restaurants auf dem Areal haben aber das Recht, dann ebenfalls offen zu haben.»
Auf der Riedholzer Seite, nördlich der Aare, eröffnete bereits 2017 die Kantine Attisholz. Der Gastraum ist nicht die ehemalige Betriebskantine,
sondern der Ort, wo die Arbeiter einst ein- und ausstempelten. In der Kantine Attisholz teilt sich ein vierköpfiges Leitungsteam die Aufgaben. «Wir treffen wichtige strategische Entscheidungen gemeinsam und demokratisch. Jeder für sich ist aber für sein eigenes Gebiet verantwortlich», sagt Ueli Wüthrich, Gastronom und Inhaber. Je nach Saison sind zwischen acht bis zwölf Mitarbeitende im Einsatz. «Foodmässig sind wir auf Anlässe jeglicher Art, von Hochzeiten über Geburtstage bis hin zum Firmenanlass, spezialisiert», sagt Wüthrich. Im Sommer bedienen sich die Gäste am Buffet mit Grilladen und Salaten. «Sehr beliebt sind unsere vegetarischen Speisen und das Fingerfood», verrät Ueli Wüthrich. Im Winter gibt es Gerichte im Brasserie-Stil. Und im so genannten Caravan Park mit speziell umgebauten Wohnwagen wird Fondue serviert.
2019 ist mit der 1881 Kantine ein zweites Restaurant eröffnet worden. Dass dieser Betrieb ebenfalls das Wort Kantine im Namen trägt, hat damit zu tun, dass in jenem Gebäude auf der südlichen Seite der Aare auf Luterbacher Boden tatsächlich einst die Betriebskantine daheim war. Damit sie nicht mit der bereits bestehenden Kantine Attisholz verwechselt wird, haben die Initianten das Gründungsjahr der Industrieanlage hinzugefügt. Angeboten wird Food in Selbstbedienung. Besonders nachgefragt sind Fish and Chips sowie fangfrischer isländischer Kabeljau, der zweimal wöchentlich serviert wird. Betrieben wird die 1881 Kantine von der Gastrofirma Emmenpark mit Sitz in Zuchwil/SO. Geschäftsführer Markus Balsiger verrät: «Wir haben rund eine halbe Million in den Innenausbau investiert.»
Während die Kantine Attisholz nur von donnerstags bis sonntags geöffnet ist, ist die 1881 Kantine täglich geöffnet.
Vor über 175 Jahren gründete Othmar Blumer in Murg/SG am Walensee eine Spinnerei. 1992 übernahm Dieter von Ziegler den Betrieb von seinem Vater Heinrich. Doch bereits damals taumelte das Unternehmen und vier Jahre später wurde der Betrieb eingestellt. Abermals vier Jahre später übernahm Dieter von Ziegler zusammen mit seiner Frau Esther die Aktienmehrheit aus dem familiären Umfeld mit dem Gedanken, die Industrie- und Gewerbeliegenschaften einer neuen Nutzung zuzuführen.
Mit viel Herzblut und einer Vision im Kopf bauten die beiden die alte Spinnerei ab 2009 zu einem Hotel und Lofts um. Heute zeichnet es als Lofthotel mit zehn Doppelzimmern, die auch als Familienzimmer genutzt werden können, zwei Einzelzimmern, zwei Suiten für bis zu acht Personen sowie zwei Bikerlofts, in die man direkt mit den Bikes hineinfahren kann. Jüngst sind vier neue Erlebniszimmer am See hinzugekommen: die Tiny-House-Gondel für zwei Personen, der umgebaute Bahnwaggon Gleis sechs für bis zu acht Personen sowie zwei Glampingzelte.
Ebenfalls zum Angebot gehören eine Tennis- und Eventhalle, ein Wellness- und Fitnessbereich sowie zwei Restaurants. Das gastronomische Herz des Betriebes ist die Sagibeiz. Das Restaurant befindet sich in der ehemaligen Sägerei direkt am Walensee. Es lädt mit der Seeterrasse, der gemütlichen Beiz und dem Barstübli zum Verweilen ein. Die Küche überrascht mit kreativen Gerichten aus lokalen Produkten. Der begehbare Weinkeller bietet ein breites Angebot von regionalen Raritäten bis hin zu internationalen Trouvaillen. Das Restaurant Sagisteg ist eine Ergänzung zum Hauptrestaurant und befindet sich direkt unterhalb der Sagibeiz am See. Im Winter hat der «Sagisteg», wo ein Cheminée für eine rustikale Atmosphäre sorgt, für Gruppen und Anlässe geöffnet. Eine weitere Eventlocation befindet sich im ehemaligen Holzlager.
In allen Lokalitäten zusammen gibt es für 450 Gäste Sitzplätze innen und aussen. Besonders stolz ist Esther von Ziegler auf ihren Küchenchef. Christian Zitzer ist bei der deutschen Vorausscheidung zum Koch des Jahres bis ins Viertelfinale vorgestossen. Seine Küche ist saisonal und regional. Besonders nachgefragt sind seine Fischknusperli, Burger und Forellengerichte.
Mit diesem Geschäftsmodell generiert das Unternehmen im ehemaligen Industrieareal einen jährlichen Umsatz von rund 4,5 Millionen Franken. «Als wir uns für diese Ausrichtung entschieden hatten, bereisten wir verschiedene Orte in Europa, um uns inspirieren zu lassen. Dabei stellten wir fest, dass im Ausland solche Umnutzungen touristisch viel besser erlebbar gemacht werden als bei uns», erinnert sich Esther von Ziegler. Bald entstand der Wunsch, dies auch in der Schweiz im ähnlichen Stil aufzuziehen. «Ehemalige Industrieorte erzählen interessante Geschichten und befinden sich an spannenden Orten.» Sie würden in ihren Augen Künstler, Kunstaffine, Architektur-, Geschichts- und Kulturinteressierte sowie Erlebnistouristen anziehen. Die Grundidee für die Plattform Industriekultour war geschaffen.
(Ruth Marending)
Der Verein Industriekultour bezweckt die Vernetzung und Vermarktung des industriellen Kulturerbes der Schweiz und die Sichtbarmachung der touristischen Angebote. Kulturinteressierte Gäste aus dem In- und Ausland finden hier umfassende Angebote, die sich mit dem Erbe der Schweizer Industriegeschichte auseinandersetzen. Dabei spielen nicht nur Architektur und Kultur eine Rolle, sondern auch die Gastfreundschaft. Die individuellen Tourenvorschläge sind auf Wunsch mit einer Übernachtungsmöglichkeit gekoppelt.
Das zwischen 1905 und 1910 erbaute Gebäude in Arbon diente zuerst der Stickereifabrik Heine bis in die 1940er-Jahre als Energiezentrale. Danach wurde es von Adolph Saurer gekauft und als Presserei sowie für den Rahmenbau genutzt. Nach einer aufwendigen Renovierung erstrahlt das Industriegebäude seit Ende 2018 in neuem Glanz und richtet sich multifunktional aus. Hier wird getanzt, gefeiert, gegessen und musiziert.
Ryago Catering, eine Tochterfirma des Gastrounternehmens Wyniger, übernimmt in Basel die ehemalige Werkskantine der Novartis, die so genannte Klybeck-Kantine. Das Unternehmen beliefert Privatkliniken, Altersheime, Kantinen und Kindertagesstätten mit Essen. Der ehemalige Restaurantbereich der Kantine in Kleinbasel soll in Zukunft als Eventfläche öffentlich zugänglich sein. Das Unternehmen beschäftigt 110 Mitarbeitende. Rund die Hälfte der Angestellten soll in Zukunft in der Grossküche tätig sein, so Lukas Zeitman, Geschäftsführer der Ryago.
Der «Stufenbau» ist Berns urbanste Eventlocation. Er befindet sich in einer ehemaligen Cellulosefabrik, gebaut in den Jahren 1924 bis 1926. Die Stufenbau-Eventlocation beherbergt unterschiedliche Räume auf zwei Etagen. Die lichtdurchflutete Galerie liefert Platz für bis zu 240 Personen. Die Eventhalle mit ihrer multifunktionalen Fläche von 220 Quadratmetern ist sowohl für Apéros, Konzerte als auch Feste aller Art der ideale Rahmen. Zudem gibt es einen grossen Garten, der Platz für 400 Gäste bietet.