Südtirol, die deutschsprachige Region Norditaliens, ist ein Paradies für Weinliebhaber und Genussmenschen.
Vernatsch-Reben in traditioneller Pergel-Erziehung auf dem Weingut Seehof oberhalb des Kalterer Sees. (BIlder ZVG)
Geografisch gesehen, wäre Südtirol eine ideale Wochenenddestination. Doch der Weg durch den Verena-Tunnel, über den Ofenpass und das Vinschgau hinunter nach Bozen ist lang. Etwas schneller ist die Fahrt via Innsbruck (AT) und dem Brennerpass nach Brixen im Eisacktal. Auf dieser Strecke sind Mautgebühren zu bezahlen. Doch Besuche der Altstadt von Brixen sowie des Klosters Neustift im benachbarten Vahrn lohnen sich. Die Klosterkellerei ist berühmt für ihre Weissweine aus den Sorten Kerner, Sylvaner und vor allem die trockenen Gewürztraminer.
Zwischen Brixen und Bozen liegt die Seiser Alm, ein Hochplateau mit Alpweiden und Panoramablick auf spektakuläre Felsformationen. Zu dieser Jahreszeit kommen dort Wanderer auf ihre Kosten. Im Winter ist sie ein beliebtes Gebiet zum Skifahren.
Kurz nach Blumau zwängen sich der Fluss Eisack und die Strassen durch eine enge Schlucht, bevor sich der Talkessel von Bozen öffnet. Bozen, die Hauptstadt Südtirols, verbindet deutsche Gründlichkeit mit italienischer Lebensfreude.
Diese beiden Philosophien spiegeln sich ganz allgemein im Südtiroler Wein. Besonders treffen sie jedoch auf die Crus der Nex Gen der DOC St. Magdalena zu. Dort in den steilen Reblagen im Norden der Stadt Bozen gedeihen Vernatsch-Reben seit mehr als 1000 Jahren. Von dieser heimischen Sorte konnten bisher selbst mit DNA-Analysen keine Vorfahren ermittelt werden. So eigenständig wie die Reben sind auch die Weine. Hell leuchten sie im Glas, duften nach Kirschen, roten Beeren sowie Kräutern oder Gewürzen. Ihre tragende Säure bereitet Trinkfluss, und elegante Tannine stützen den Körper. Damit entsprechen die DOC St. Magdalena dem Zeitgeist, der pure Geradlinigkeit kräftiger Opulenz vorzieht. So will die junge Winzergeneration ihr Erbe weiterführen, dies jedoch etwas lauter kommunizieren.
Punkten können sie auch in der Gastronomie und begleiten Trockenfleisch genauso wie Pastagerichte und Fleisch vom Grill oder aus dem Schmortopf.
Übrigens: Von St. Magdalener wird erst seit 200 Jahren gesprochen. Zuvor war die Rede von «Bozner». Dies bereits im Jahr 955, als der Bischof von Augsburg (DE) dem Kloster St. Gallen zur Anerkennung eine Ladung «Bozonarium» schickte. Die Liebe der Schweizer zum Vernatsch aus St. Magdalena erlebte in den 1970er-Jahren einen Höhepunkt. Damals wurden 90 Prozent der Produktion in die Schweiz exportiert. Im Jahr 1972 waren dies stolze 54 000 Hektoliter. Bis 2008 gingen die Importe auf 1800 Hektoliter zurück. Es lohnt sich, DOC St. Magdalena neu zu entdecken.
Johann Spornberger, Kandlerhof
Dasselbe gilt für die Vernatsch-Weine vom Kalterer See, der zweiten DOC für diese Sorte. Auch diese werden auf Pergel genannte Holzkonstruktionen gezogen. Das hat den Vorteil, dass die Trauben unter dem Blätterdach keinen Sonnenbrand bekommen. In feuchten Jahren hingegen staut sich die Feuchtigkeit unter den Blättern, was das Wachstum von Mehltau begünstigt.
Nach Süden ausgerichtete Steillagen um die Kirche zur Heiligen Magdalena in Prazöll liegen auf dem nordöstlichen Gebiet der Stadt Bozen.
Die zweite autochthone, blaue Sorte in Südtirol ist Lagrein. Sie entstammt einer natürlichen Kreuzung von Teroldego mit einer unbekannten Sorte. Ihr Hauptanbaugebiet liegt in Gries im Westen der Stadt Bozen. Auch dieser Ort hat einen Bezug zur Schweiz. Als im Jahr 1841 die Benediktinerabtei Muri/AG aufgehoben wurde, übersiedelten Abt und Konvent in das ehemalige Augustinerkloster Gries in Südtirol und gaben ihm den Doppelnamen Muri-Gries.
Lagrein ergibt dichte, körperreiche Weine mit intensiver Frucht und Würze sowie kräftiger Struktur, die häufig als Reserva in Holzfässern ausgebaut werden. Viel Charme haben beste Lagrein-Weine aus dem Stahltank (siehe Weintipp). Von grosser Bedeutung ist auch Pinot Noir.
In den vergangenen 30 Jahren mutierte Südtirol vom Rotweinzum Weisswein-Land. So sind heute 65 Prozent der Rebfläche mit weissen Sorten bestockt. Dabei dominieren die vier Sorten Weissburgunder, Chardonnay, Pinot Grigio und Gewürztraminer. Von Letzterem vervierfachte sich die Anbaufläche seit 1996 auf etwas über 630 Hektar. Zwei weitere aromatische Sorten sollten auf einer Reise nach Südtirol auf jeden Fall verkostet werden: trockener Goldmuskateller zum Aperitif und Rosenmuskateller als süsser Abschluss eines feinen Essens.
(Gabriel Tinguely)
In Zusammenarbeit mit mehreren versierten Autoren hat das Konsortium Südtirol Wein die Geschichte und Gegenwart eines besonderen Weinlandes aufgearbeitet. Karten, Grafiken und Bilder ergänzen das Kompendium.
Athesia Verlag
518 Seiten, gebunden
ISBN 978-88-6839-696-1
Euro 60.00