Die Bäckergesellin Yvonne aus Ludwigshafen (DE) ist seit September 2022 auf der Walz.
Yvonne, warum legt man während der Walz seinen Nachnamen ab?
Das ist so der Brauch. Auf der Walz sind alle gleich. Wir sind Brüder und Schwestern, die durch eine über 900 Jahre alte Tradition verbunden sind. Ich vermute, der Verzicht auf den Nachnamen soll diese Gleichwertigkeit und Verbundenheit zeigen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf Walz zu gehen?
Ich liebe es, zu reisen. Daher hat mich die Möglichkeit, die Welt zu entdecken und sich dabei beruflich wie persönlich weiterzuentwickeln, fasziniert. Zum Ende meiner Bäckerlehre war für mich klar: Ich werde Wandergesellin.
Wie geht man auf die Walz? Rucksack packen und los?
So einfach ist es nicht. Es gibt Verhaltensweisen, die man kennen und einhalten muss, um seinem Handwerk Ehre zu machen. Wandergesellen müssen unverheiratet, kinderlos, jünger als 30 Jahre sowie schulden- und straffrei sein. Auch gilt, eine Altgesellin oder einen Altgesellen zu finden. So wird jemand genannt, der schon länger auf der Walz ist. Meine Altgesellin war die Bierbrauerin Lisa.
Was machen die Altgesellen?
Sie erklären Jungreisenden die Bräuche, die seit jeher nur mündlich weitergegeben werden. Zudem bürgen sie für die Neulinge und begleiten sie während ihrer ersten Monate auf der Walz. Die Altgesellen zeigen, wie man an Transportmöglichkeiten, Schlaf- sowie Arbeitsplätze kommt, bevor sie die Jungreisenden alleine weiterziehen lassen.
Wo findet man Altgesellen?
Das ist gar nicht so einfach. Man muss die Initiative ergreifen und den persönlichen Kontakt zu uns Fremden – so nennen wir uns selbst – suchen. Erste Informationen erhält man im Internet oder wenn man uns direkt anspricht. Unsere Community funktioniert sehr analog. Ich empfehle: Geht zu Treffen von Wandergesellen-Vereinigungen. Die Vereinigten Löwenbrüder und -schwestern Europas VLE beispielsweise sind eine Vereinigung für Lebensmittel herstellende und verarbeitende Berufe wie Bäcker, Köche, Metzger, Winzer, Landwirte, Müller, Brauer und so weiter.
Was braucht es noch, um die Walz zu beginnen?
Die Bereitschaft, sich für mindestens drei Jahre und einen Tag von Familie und Freunden, Heimatort, Handy und Laptop zu trennen und die Disziplin, sich an die Tradition zu halten. Das bedeutet unter anderem, dass man nur mit einem symbolischen Geldbetrag von fünf Euro in der Tasche loszieht und von dem lebt, was man während der Walz erarbeitet. Das symbolisiert, dass alle jederzeit auf die Walz gehen können, unabhängig von ihrem jeweiligen Kontostand. Zudem lernt man so, darauf zu vertrauen, dass einen das erlernte Handwerk jederzeit und überall ernährt.
Warum dauert die Walz drei Jahre und einen Tag?
Auf der Walz soll man mehr Wissen sammeln als während der Lehre. Darum muss diese länger dauern als die Lehrzeit.
Ist das Tragen der Kluft ebenfalls eine der Vorgaben?
Ja, während ich auf der Walz bin, darf ich keine zivile Kleidung tragen, sondern nur die traditionelle Kluft. Ihre Farbe zeigt, welchem Gewerbe ich angehöre. Beispielsweise tragen Maurer und Steinmetze eine beige Kluft. Rot ist die Farbe der Textil- und Lederverarbeitenden wie Schneider, Gerber und Polsterer. Wir aus den Lebensmittelberufen tragen Weste und Jacke im Pepitamuster, wie man es von Bäckerhosen kennt.
Für viele ist ein Leben ohne Smartphone unvorstellbar.
Man gewöhnt sich rasch daran, genau wie an das Schlafen im Heu oder auf einer Parkbank. Das Reduziertsein auf das Nötigste und damit auszukommen, ist eine der vielen positiven Erfahrungen, die man auf der Walz sammelt. Ich lebe ganz im Hier und Jetzt und habe grosse Dankbarkeit entwickelt für den kleinsten Luxus und die kleinste Unterstützung, die mir zuteil werden. Auf die Walz zu gehen ist nicht nur ein beruflicher, sondern auch ein persönlicher Reife- und Entwicklungsprozess.
Gut drei Monate lang arbeitete Yvonne bei der Signer Bäckerei in Zizers/GR. Seit Karfreitag ist sie erneut auf Wanderschaft. (Riccarda Frei)
Gibt es etwas ausser Freunden und Familie, das Sie auf der Walz vermissen?
Manchmal meine Privatsphäre. In der Kluft falle ich auf. Besonders als Frau. Neugierige Blicke bemerke ich nicht mehr. Unangenehm ist hingegen, dass ich oft ungefragt fotografiert werde.
Sie waren nun drei Monate bei der Signer Bäckerei in Zizers. Was haben Sie dort gelernt?
Vieles. Da in Deutschland Bäcker und Konditor getrennte Lehren sind, habe ich kaum etwas mit Schokolade und Torten zu tun gehabt. Das konnte ich nun nachholen. Und ich habe die Bündner Nusstorte kennengelernt.
Wissen Sie schon, wohin Sie weiterziehen und was Sie nach der Zeit auf der Walz machen?
Wir Fremden machen keine Pläne, sondern schauen, was sich als Nächstes ergibt.
(Riccarda Frei)
Der Brauch, auf die Walz zu gehen, ist Teil des immateriellen Kulturerbes und steht noch heute für Berufsstolz und Berufsehre. Wandergesellen müssen gewisse Regeln einhalten. Zum Beispiel dürfen sie für Übernachtung und Transport kein Geld ausgeben. Daher sind sie froh, wenn sie als Autostopper mitgenommen werden.