Mathilde Lottenbach ist das älteste weibliche Mitglied der Hotel & Gastro Union. Im Februar feierte sie ihren 100. Geburtstag.
1919: Am 28. Juni wurde in Versailles der Friedensvertrag unterzeichnet, der den Ersten Weltkrieg beendete. Ein paar Monate davor wurde in Weggis/LU Mathilde Lottenbach geboren. Wie die meisten Frauen ihrer Zeit durfte sie keine Berufslehre machen.
Ohne Vorkenntnisse folgte Mathilde ihrer älteren Schwester ins Gastgewerbe. «Sie arbeitete als Köchin, ich als Zimmermädchen und Servicehilfe im Hotel Alpenblick in Weggis.»
Arbeitsbeginn war für die damals 17-Jährige um 6.30 Uhr. Feierabend war, wenn man nicht mehr gebraucht wurde. Mathilde Lottenbach verdiente 20 Franken im Monat. Auf freie Tage und Ferien angesprochen sagt sie heute schulterzuckend: «Davon wussten wir damals nichts.»
Sie hatte täglich 20 Betten zu machen und verwaltete das Etagenbad. «Die Gäste mussten sich bei mir anmelden, wenn sie baden wollten. Ich bereitete das heisse Bad dann für sie vor.»
Mathilde Lottenbach wurde als 18-Jährige, am 1. Juni 1937, Mitglied der Union Helvetia, wie die Hotel & Gastro Union damals noch hiess. Im gleichen Jahr erfand Konrad Zuse den ersten Computer. Im Mai wurde in San Francisco die Golden-Gate-Brücke eingeweiht, und im Juli eröffnete das Nazi-Regime das Konzentrationslager Buchenwald.
Zwar arbeitete Mathilde Lottenbach nur zwei Saisons im Gastgewerbe, hielt ihre Mitgliedschaft bei der «Union» aber immer aufrecht. Das sind bis jetzt sage und schreibe 82 Jahre. Ihre Treue war nicht ganz uneigennützig. Mit einem verschmitzten Lächeln gesteht die rüstige 100-Jährige: «Ich blieb vor allem wegen der Krankenkasse. Wissen Sie, die gab es früher nicht für jeden. Ohne die ‹Union› hätte ich mich gar nicht versichern lassen können.» Zudem profitierte sie auch vom engen Beziehungsnetz, das die Gastgewerbler untereinander seit jeher knüpfen.
Eine am Berufsnachwuchs interessierte Vorgesetzte vermittelte ihr einen Job im Ausland. «Die Gouvernante fand, ich müsse unbedingt Englisch lernen. Sie vermittelte mir und meiner Schwester eine Stelle in einer Privatvilla in der Nähe von Birmingham in England.»
Nach einer 23-stündigen Reise und ohne die geringsten Vorkenntnisse trafen die Schwestern in Grossbritannien ein. «Wir wurden mit Gugelhupf und Kakao empfangen. Unser Zimmer lag am Ende des Ganges und hatte sogar ein eigenes Bad», erinnert sich Mathilde Lottenbach. «Wir konnten kein Wort Englisch, aber schon am nächsten Tag musste ich das Telefon abnehmen.»
Eigentlich war geplant, dass die Lottenbach-Schwestern nach ihrem einjährigen Sprachaufenthalt in die Schweizer Hotellerie zurückkehrten. Doch dann kam ihnen der Zweite Weltkrieg dazwischen. Ihre Arbeitskraft wurde in der Munitionsfabrik gebraucht.
Dort hatte Mathilde Lottenbach plötzlich geregelte Arbeitszeiten, am Wochenende frei und zwei bis drei Wochen Ferien pro Jahr. «Diese Freiheit habe ich unheimlich genossen und wollte sie nie mehr missen.» Deshalb arbeitete die junge Frau auch nach dem Krieg weiter in diversen Fabriken in der Zentralschweiz.
Als ihre Schwester heiratete, folgte Mathilde ihr ins Bernbiet. Sie selber blieb ledig und suchte sich in Bern eine kleine Wohnung. Die bekam sie allerdings nur, weil sie bereit war, den Job als Hausmeisterin zu übernehmen. Das tat sie so gewissenhaft, dass der Besitzer des Hauses ihr noch drei weitere Liegenschaften übertrug. Nebenbei hatte sie noch einen Vollzeitjob in einem Büro.
Bis zum Alter von 79 Jahren arbeitete Mathilde Lottenbach als Hausmeisterin. «Ich putze gerne. Das ist eine Arbeit, bei der man das Ergebnis sofort sieht», sagt die rüstige Dame. Noch heute kümmert sie sich selbständig um sich und ihre kleine Wohnung. Sie steigt sogar noch auf die Leiter, um die Fenster zu putzen.
«Leider habe ich nicht mehr so viel Kraft. Ich muss mich oft ausruhen.» Das hält Mathilde Lottenbach aber nicht davon ab, täglich für sich zu kochen und zweimal in der Woche mit dem Tram zum Gemüsemarkt zu fahren. «Ich könnte schon im Altersheim essen oder von dort jemanden zum Putzen kommen lassen.» Aber das Geld für diesen Service spare sie lieber, um es einer wohltätigen Organisation wie «Ärzte ohne Grenzen» zu spenden. So die Welt ein bisschen besser zu machen, bereitet ihr grosse Freude.
«Ich bin sehr glücklich und zufrieden», sagt die 100-Jährige.Aber einen Wunsch hat sie noch. Sie möchte unbedingt in der Gratulationssendung im Radio erwähnt werden. «Dieses Jahr hat das nicht geklappt. Darum lege ich jetzt auf die 100 noch ein Jahr drauf.»
(Riccarda Frei)
Mathilde Lottenbach ist am 7. Februar 1919 geboren. Am 1. Juni 1937 ist sie in die Union Helvetia eingetreten. Sie ist Mitglied des Berufsverbands Hotellerie-Hauswirtschaft und Ehrenmitglied der Hotel & Gastro Union.