Sommeliers zu Gast bei Winzern – da wird es nicht nur feuchtfröhlich, sondern später vor allem spannend für den Gast im Restaurant.
Blauer Himmel, Sonnenschein, Weitsicht über die Bündner Herrschaft – bei diesem Prachtwetter empfingen Francisca und Christian Obrecht eine Gruppe von Sommeliers diverser Schweizer Spitzenrestaurants auf ihrem Weingut in Jenins/GR. Eingeladen hatte Andreas Etter vom Weinhandel Jeroboam AG. «So wollen wir den Entscheidungsträgern einen Einblick in den zum Verkauf anstehenden Jahrgang gewähren», erklärt Etter die Idee. «Sie sollen sich vor Ort einen Eindruck machen, die Weine verkostet haben, bevor sie sie einkaufen. Der direkte Kontakt zu den Winzern und der informelle Austausch mit den Sommeliers steht im Zentrum.» So sollen die Sommeliers einen Wissensvorsprung gegenüber den Gästen gewinnen.
Ein gelungenes Vorhaben, schliesslich verkauft sich der Wein im Restaurant kaum über technische Daten wie den Öchslegrad der Trauben zum Lesezeitpunkt oder das Wissen über die Herkunft des Barriques. Es sind Erlebnisse, Momente, Anekdoten, die einer Flasche Wein Leben einhauchen.
Francisca und Christian Obrecht führen das Weingut zur Sonne in fünfter Generation. Ihr Aushängeschild seit Jahren ist gewiss der Pinot Noir «Monolith», der aus den ältesten Reben des Betriebs gekeltert wird. Doch es ist die gesamte Arbeit des Winzerpaars, welches das Gut zum Vorzeigebetrieb macht.
Inmitten der Reben erzählte Francisca Obrecht über die naturnahe Philosophie ihres Schaffens. «Wir geben uns sehr bewusst der Biodynamie hin und stellen dabei fest, dass dies ein unendlicher Prozess ist», so Francisca Obrecht. «Mit jedem Schritt lernen und erkennen wir mehr. Wir sind erst ganz am Anfang. So haben wir beim Pflanzenschutz eine elektrische Weinbergspritze gebaut, denn Jenins hat ein eigenes Wasserkraftwerk. Wir realisieren in naher Zukunft eine Solaranlage auf dem Dach, deshalb ist auch unser Lada Niva – unser Wingert-Fahrzeug – selbst sowie auch ein alter Kleintransporter auf elektrisch umgebaut worden.» Der nachhaltige Umgang mit der Natur wird auf dem Weingut zur Sonne grossgeschrieben.
«Im Wingert macht es Freude, wenn anstatt der klassischen grasdominanten Begrünung plötzlich wieder ein reiches Blütenangebot herrscht. Auch als Mensch und Arbeitgeber scheint mir ein nachhaltiger Umgang mit den eigenen Ressourcen wichtig», erläutert sie.
Behutsam fasst Francisca Obrecht die noch kahlen Rebstöcke an, erklärt den Gästen die Tränen am Geäst und erläutert, wie Schädlinge erfolgreich bekämpft werden können, ohne die Pflanze mit Chemie zu belasten. Wie viel Aufwand die Arbeit im Rebberg bedeute, will eine Sommelière wissen. «Bis Oktober haben wir alle Hände voll zu tun. Den Winter nutzen wir dann, um unsere leeren Energiespeicher wieder aufzufüllen», erläutert sie.
Konkret heisst dies: Im Weinberg beginnt mit dem Austrieb in den nächsten Wochen die Hauptsaison. Da gilt es, minderwertige Schosse auszubrechen, um ein erstes Mal die Quantität zugunsten der Qualität auszurichten. Dann geht es Schlag auf Schlag: Bis Mitte Juli müssen die 42 000 Rebstöcke im Zweiwochenrhythmus gepflegt werden. Dazu kommen die Maschinenarbeitsgänge fürs Einsäen in den Rebgassen, das Unterstockmähen und Walzen sowie der Pflanzenschutz.
Das Ergebnis dieser Arbeit gab es dann im Weinkeller zu degustieren. Christian Obrecht öffnete eine 2013er-Magnumflasche vom selbst gekelterten Schaumwein – dieser könnte es locker mit manchem Champagner aufnehmen. Vom Riesling-Sylvaner «Schiefer» waren nicht erst die Sommeliers an diesem erlebnisreichen Tag verblüfft: Von Weinkritiker Robert Parker gab es für den eleganten und doch markanten Wein sagenhafte 92 Punkte. Es folgten weitere Proben, mit besonderem Augenmerk auf den Pinot Noir, der meistverbreiteten Rebsorte der Bündner Herrschaft.
Sommeliers zu Gast bei Winzern – eine beidseits wertvolle Erfahrung. Francisca Obrecht: «Der Austausch bringt auch uns sehr viel. Unsere Arbeit sehen wir als Berufung. Dasselbe spüren wir bei diesen Sommeliers.»
Dritter Gewinner dieses Austauschs ist der Restaurantgast. Storytelling heisst das Zauberwort. Die Geschichte hinter einem Produkt hievt das gewöhnliche Dinner auf eine neue Ebene – und der Restaurantbesuch wird zum Erlebnis.
(Benny Epstein)