Vegane Alternativen boomen

Steaks, Knusperli und Milchprodukte müssen nicht mehr tierischen Ursprungs sein. Welche Geschichten stehen hinter den neuen Lebensmitteln, nach denen umweltbewusste und tierliebende Gäste vermehrt fragen?

  • Sieht aus wie ein echtes Steak, ist jedoch ein Stück Rande, das im Dehydrator getrocknet wurde. Dominik Hartmanns Randensteak wird im Restaurant Magdalena in Rickenbach/SZ als Hauptgang serviert. (Digitale Massarbeit)
  • Analysten der UBS schätzen, dass die Europäer 2025 pro Kopf und Jahr rund drei Kilogramm pflanzliche Fleischalternativen essen. Dadurch würden rund sechs Prozent weniger Fleisch verspeist. (ZVG)
  • Geschätzter Umsatz mit Fleischalternativen 2018 (in Mio. USD) (Barclays Research/Euromonitor)
  • Theo Favetto, Gründer der Veeconomy AG und Geschäftsleiter des Fast-Food-Restaurants Unmeat, will international expandieren.
  • Esther Kern ist Autorin von «Leaf to Root» und Gemüsescout. Auf der Veg-Alp tüftelt sie an pflanzenbasierten Lebensmitteln.

Sein Randensteak machte Schlagzeilen und verhalf ihm auf Anhieb zu zwei Michelin-Sternen und fünfzehn Gault-Millau-Punkten. Dominik Hartmanns Restaurant Magdalena in Rickenbach/SZ setzt auf Gemüse. Das Randensteak verblüfft selbst bekennende Fleischliebhaber. Mit Kräutern und Gewürzen angebraten, drei Stunden niedertemperaturgeschmort, rund 24 Stunden gedörrt und nochmals angebraten, entwickelt das Knollengemüse einen intensiven Geschmack und eine einmalige Konsistenz.

Zeitgemäss und bewusst ist das Motto des Konzepts des Teams um den 28-jährigen Küchenchef, im Hauptgang Gemüse zu zelebrieren. «In unserem siebengängigen Menü besteht nur je ein Gang aus einem Fisch- und einem Fleischgericht. Es ist Teil unseres Erfolges», erläutert Adriana Hartmann. Die Ehefrau des Chefkochs fungiert als Gastgeberin im Restaurant Magdalena. Das junge Team will nicht dogmatisch sein, aber trotzdem sensibel mit ökologischen Themen agieren und Verantwortung übernehmen. «Es trifft den Nerv der Zeit, wieder mehr Gemüse zu verarbeiten und zu geniessen», so die Mutter eines rund jährigen Jungens. Selbst älteres und ländliches Publikum vermisse das Fleisch im Hauptgang nicht. «Viele zeigen sich überrascht von der Rande und dem Sellerie und deren Aromavielfalt», freut sich Adriana Hartmann. Ihre Raffinesse verdanken die Gerichte einem motivierten, versierten Team, das unter anderem einen tiefen und würzigen Umami-Fond entwickelt hat. Diesen geben sie vielen Saucen bei.

Pflanzenbasierte Lebensmittel, hergestellt nach alten Methoden

Für Furore sorgt auch eine Alternative zu Bündnerfleisch aus Rande von der Veg-Alp. In einer Maiensäss oberhalb von Davos veredeln Jann M. Hoffmann und Esther Kern mit althergebrachten und neuartigen Methoden Bündner Gemüse. Dies im Auftrag der Organisation Graubünden Viva, welche den Wirtschaftsstandort Graubünden über die Themen Ernährung und Kulinarik stärken möchte. Er ist Koch und war bis 2019 Inhaber des Café Boy in Zürich. Sie bekannt als Foodjournalistin sowie Autorin von «Leaf to Root». Beide wollten wissen, ob sie traditionelle Techniken, die für Bündner Trockenfleisch genutzt werden, neu angewendet auch für die Veredelung pflanzlicher Rohstoffe nutzen können. «Wir haben es geschafft, Randen mithilfe von Koji-Edelschimmelpilz und Lufttrocknung so zu veredeln, dass sie aussehen wie Trockenfleisch und sehr gut schmecken», freut sich Esther Kern. Weiter stellen sie Shoyu-Sauce her, eine Art Sojasauce aus Bündner Rohstoffen, etwa aus Berglinsen aus dem Domleschg.

«Pflanzenbasierte Delikatessen sind auch in einer breiteren Öffentlichkeit gefragt. Die vegane Küche ist definitiv nicht mehr nur ein Thema für die Nische», erläutert Esther Kern ihre Bemühungen, neue Lebensmittel zu entwickeln. «Vor allem die Randen, die wie Trockenfleisch aus dem Bündnerland aussehen, haben sehr viel Interesse auf sich gezogen.» Es seien Anfragen von Grossverteilern und Spitzenköchen gekommen. Derzeit werden ihre Randen und Saucen an Köche wie Markus Kössler vom «Cervo» in Zermatt verschickt. Ihre Meinung zählt, da Esther Kern und Jann M. Hoffmann in der Rezepturentwicklung sind. Danach soll die Produktion vergrössert werden. Die zwei Tüftler stehen Interessierten bei der Entwicklung und der Vermarktung von pflanzenbasierten Spezialitäten gerne beratend bei.

Erfahrungen von Gastronomen

Bereits vom zweiten Tag an bestens frequentiert wurde das vegane Fast-Food-Restaurant Unmeat im Zürcher Langstrassenquartier. Theo Favetto und sein Geschäftspartner Raphael Neuburger eröffneten im vergangenen Dezember den ersten komplett fleischlosen Burgerladen. Theo Favetto freut sich: «Wir haben bereits im Januar fast die Zahlen erreicht, die wir ohne die Krise kalkuliert hatten.» Ihre Sporen abverdient haben sich die zwei Solothurner während der vergangenen drei Jahre mit dem Verkauf ihrer veganen Burger an Festivals. Theo Favetto, selbst seit zehn Jahren Veganer, importiert mit seiner Firma Veeconomy AG seit zehn Jahren vegane Convenience-Produkte. Während diese nach seinen Angaben zu Beginn seiner Tätigkeit oft «sehr speziell» schmeckten, will er heute der Welt beweisen, dass vegane Burger wirklich lecker sind. «Geschmack, Mundgefühl und Textur überzeugen.» Meist sind die Patties auf Basis von Soja-, Weizen- und Erbsenprotein hergestellt. «Wir arbeiten mit verschiedenen Produkten aus der Schweiz. Das vegane Hackfleisch haben wir gemeinsam mit dem Hersteller entwickelt», so Theo Favetto. Diese Mischung aus Soja- und Weizenprotein wird in grossem Gebinde angeliefert. Die Mitarbeiter von «Unmeat» braten daraus auf dem Grill vor Ort Patties à 130 Gramm. Vom Signature Burger Special gehen bis zu 80 Stück pro Tag über die Theke.

«Unmeat steht für Spass, für Unkonventionelles. Ethik und Nachhaltigkeit sind uns wichtig. Wir zelebrieren Fast Food aus Convenience-Produkten. Aber wir sind nicht so gesund, dass wir empfehlen, dreimal täglich bei uns zu essen», so Theo Favetto.

Sich vegan zu ernähren, ist nicht per se gesünder. Auch wenn damit grosses Tierleid vermindert wird und meist auch der CO2-Ausstoss. Während man von Quorn – welches vor rund 40 Jahren auf den Markt kam – weiss, dass nicht alle das stark verarbeitete Schimmelpilz-Produkt vertragen, tappt man bei den neuesten Lebensmitteln noch im Dunkeln, was deren Wirkung auf die Gesundheit anbelangt. Wie wirken sich Nahrungsmittel, die mithilfe von Hefe- und Pilzzellen sowie mit Bakterien in Fermentern produziert werden, langfristig auf den menschlichen Organismus aus?

«Steaks» aus 3D-Druckern

Bei den Produktionsmethoden wird zwischen pflanzlich hergestellten Produkten, also Fleischalternativen auf Basis von raffiniertem Hülsenfrucht-, Weizen- oder Kartoffelprotein, unterschieden und solchen, die mikrobiell fermentiert werden. Teilweise mithilfe von Gen- und moderner Biotechnologie. Wie etwa das seit Dezember in Singapur erlaubte, synthetische Fleisch von Good Meat, das auf Basis von echten Muskelzellen gezüchtet wird und echtem Fleisch verblüffend ähnlich ist. «In Labors werden weltweit vielfältige Alternativen zu tierischen Lebensmitteln neu erfunden», so der Sensoriker und Dozent Patrick Zbinden.

Ein gigantischer neuer Markt tut sich auf. Investoren erwarten, dass in 20 Jahren nicht einmal mehr halb so viel Fleisch wie heute gegessen wird. Sie pumpen deshalb weltweit Milliarden in pflanzliche Nahrungsmittel und Laborfleisch, schreibt die «NZZ am Sonntag». Laborfleisch soll dank 3D-Druckern und Techniken aus der Molekularküche echtem Fleisch in nichts nachstehen. Die Firma Redefine Meat hat 2020 ihr 3D-Steak lanciert und plant den Einstieg in den Schweizer Markt.

Die Reduktion von tierischen Lebensmitteln ist wichtig, denn sie senkt die Umweltbelastung massiv, ist sich die Wissenschaft mehrheitlich einig. Macht die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten gemäss Greenpeace doch einen Viertel der CO2-Emissionen aus. Vom Tierleid in der Massenproduktion gar nicht zu sprechen. Doch es muss überlegt werden, was hinter und in den neuen veganen Lebensmitteln steckt. Wo und wie werden sie produziert? Was beinhalten sie? Gastronomen müssen sich entscheiden, ob sie pflanzlich oder in Zukunft synthetisch produzierte Alternativen zu Fisch und Fleisch anbieten. Denn dies sind die Geschichten, welche sie künftig ihren Gästen erzählen.

(Sarah Sidler)


Videos und Dokus zum Thema

Hexenküche

Die Dok zeigt, dass es für die Zubereitung von Fertigprodukten keine Küche, sondern ein Chemielabor braucht. Doch der Einsatz von pflanzlichen Proteinen wächst. www.arte.tv/de/videos/091150-000-A/mahlzeit-hexenkueche-lebensmittelindustrie

Follow the Food

Die Serie untersucht, woher unsere Lebensmittel kommen und wie sich das mit neuen Technologien und innovativen Methoden der Landwirtschaft bald ändern könnte. www.bbc.com/followthefood

Eating the Gap

An diesem virtuellen Event präsentieren Game Changer wie Profiköche Ideen und News zu den Themen «Plant-Based Revolution», «Healthier Meals» und «Kitchen 4.0». www.eatingthegap.foodpairing.com


Informationen

www.restaurant-magdalena.ch
www.graubuendenviva.ch
www.unmeat.com


Tierfreie Alternativen

planted

Das Foodtech Start-up und Spin-off der ETH stellt aus Erbsenprotein, Erbsenfasern, Rapsöl und Schweizer Wasser Strukturen her, die Fleischsorten ähneln. Im Angebot sind marinierte pflanzliche Lebensmittel aus Erbsenprotein, die an Hühnergeschnetzeltes und Pulled Pork erinnern. Diese sind mit und ohne Marinade erhältlich. Rindfleischähnliche Produkte befinden sich in der Pipeline.

«New Roots»

stellt unter anderem nach traditionellem Schweizer Verfahren aus fermentierten und gereiften Bio-Cashewnüssen eine pflanzliche Alternative zu Camembert her.

No Muh

Das Unternehmen Vegusto produziert aus Wasser, Kartoffelstärke, Kokos- und Sonnenblumenöl, Fruchtsaft, Reismehl, Hefe und Mandelmus Käsealternativen. Diese sind frei von Cholesterin, Milchbestandteilen, Laktose, Kasein und jeglichen Bestandteilen tierischer Herkunft. Keine Produkte dieser Marke enthalten künstliche Farb- oder Zusatzstoffe.

Vuna

Erbsenprotein, Wasser, Rapsöl, Weizengluten, Salz und pflanzliche Aromen: Aus diesen sechs Zutaten stellt der Lebensmittelkonzern Nestlé mittels Nassextrusion seine Thunfisch-Alternative «Vuna» her. Nestlé pröbelt nun an Meeresfrüchten auf Pflanzenbasis.

«Wood Smoked»

macht aus geräucherten Schweizer Rüebli eine vegane Alternative zu Lachs.