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Kochen mit Moos und Harz

Rebecca Clopath kocht im Einklang mit der Natur. Sie verarbeitet Flechten, Moos und Harz zu stimmigen Kompositionen.

  • "Die Fichte": Granola-Kartoffel-Stampf mit Fichtenharzöl aromatisiert, Granola-Kartoffelschalen-Creme, Gebratener Ziger mit Fichtenholz und Nadeln geräuchert, Karamellisierte Fichtensamen, Moos-Schwamm, Steinpilzpulver, Gebackener Baumbart, Rote Preiselbeerenkonfi. (Claudia Link)
  • Die Naturköchin Rebecca Clopath auf der Suche nach Zutaten im benachbarten Wald. (Claudia Link)

Ganz behutsam löst Rebecca Clopath etwas Moos von einem Stein am Fusse einer Fichte. Dieser Baum, auch Rottanne genannt, steht im Wald oberhalb ihres auf 1600 Metern gelegenen Heimatdorfes Lohn im Kanton Graubünden. Die Naturköchin ist auf der Suche nach Zutaten für ein Gericht, das sie ganz der Fichte widmet. Sie sammelt einige Fichtenzapfen ein und steckt sie in ihren Rucksack. Die Zapfen wird sie trocknen und davon die Samen verwenden. Nach einem prüfenden Blick auf die Äste der Fichte bricht sie einige Nadelspitzen ab. «In ein paar Wochen werden die hellgrünen Schösslinge da sein. Diese geben beim Kauen ein zitrusartiges Aroma frei.» Doch noch ist es nicht so weit und sie nimmt mit den Zweigen vom Vorjahr vorlieb. «Diese schmecken etwas herber», erklärt Rebecca Clopath. Vom Stamm des Baumes klaubt sie Harz, das an Bernstein erinnert. Das Harz wird sie zu einer Emulsion verarbeiten. Nun braucht es noch Flechten. Der Baumbart, wie ihn die Waldexpertin liebevoll nennt, hängt leicht und elegant an den Ästen und bewegt sich im Rhythmus des Windes. Rebecca Clopath pflückt vorsichtig davon. «Ich nehme immer nur so viel, wie ich verarbeiten kann», sagt die 28-jährige Bündnerin. Respekt vor dem Produkt und der Natur ist essenziell für sie.

Die junge Köchin ist neugierig und experimentierfreudig. Sie wagt sich an Unbekanntes und Neues. «Viele Leute hegen eine Abneigung gegenüber Harz, Moos und Tannennadeln», sagt die Chefköchin mit eidg. Fachausweis. «Doch ich verwende diese Zutaten wie Gewürze, schlussendlich kommt nur wenig davon in das einzelne Gericht.» Es sei immer eine Frage der Menge. Neben Zutaten aus dem Wald ist sie auch von Wildpflanzen sehr angetan. Grüner Heinrich etwa würde sich gut als Spinatersatz eignen, Bärenklau schmecke wie Rhabarber. Ihr Wissen dazu vertieft sie ständig. Eine App über essbare Wildpflanzen gibt ihr auch draussen in der Natur jederzeit Antworten zu ihren Fragen.

Dem Produkt auf der Spur

Nachdem die Bauerntochter dem experimentellen Kochen bei Stefan Wiesner auf den Grund gegangen ist, will sie nun ihr Wissen über Produkte ausbauen. Nach sechs lehrreichen und intensiven Jahren in Wiesners Restaurant in Escholzmatt hat sie den Betrieb im Herbst vergangenen Jahres verlassen, um eigene Wege zu gehen. So war sie Anfang Jahr in Spanien, wo sie lernte, wie Pata Negra gemacht wird. Bis Ende Mai war sie beim Käser Willi Schmid in Lichtensteig im Toggenburgischen, um ein dreimonatiges Praktikum zu absolvieren und das Käsen zu lernen. «Meine Mutter käst viel und oft, doch ich will dieses Wissen noch vertiefen. Das Käsen ist sehr komplex.»

Doch damit nicht genug. Im Juni hat sie in Bern die sechsmonatige Bauernschule in Angriff genommen. Denn ihr schwebt ein Projekt vor, das sie in Lohn in Zukunft realisieren möchte. Das Bergdorf verfügt über ein ideales Klima, um Gemüse, Obst, Kräuter, Getreide und vieles mehr anzubauen. «Ich möchte andere Bauern gewinnen, die für mich im Dorf und in der nahen Umgebung Lebensmittel anbauen, sodass wir hier eine Permakultur aufbauen könnten.» Der Begriff Permakultur steht für ein nachhaltiges Landwirtschaftssystem. Ein System, das den Bauern, dem Boden, der Natur und den Produkten Wertschätzung entgegenbringt.

«Ich finde es schade, dass so etwas Essenzielles wie das Essen zu so etwas Unessenziellem geworden ist», sagt Rebecca Clopath. «Mit meiner Vision will ich nicht nur meine Art zu kochen verfeinern, sondern den Menschen die Freude am Essen und den Produkten wieder näher bringen.» Und die Produkte würden die Basis bilden für ihr Gastro- und Tourismuskonzept. «Meine Vision ist ein geschlossener Kreislauf vom Samen bis zum fertigen Gericht.»

Bei den Lebensmitteln setzt sie neben Wildpflanzen und Zutaten aus dem Wald vorzugsweise auf Milchprodukte und Fleisch vom eigenen Hof sowie auf Gemüse, Kräuter und Beeren aus dem grossen Garten ihrer Mutter. «Meine Mama experimentiert viel und gerne mit neuen Sorten.» Sie pflanzt rare Gemüsesorten, Aronjabeeren, Linsen- und Sojapflanzen. In Gewächshäusern gedeihen diverse Kräuter wie Borretsch, Wasabi und verschiedene Tomatensorten. In Hochbeeten wächst Safran. Etwas oberhalb von Lohn, auf 1900 Meter über Meer, spriessen unterschiedlichste Kartoffelsorten. Wenn das Gemüse aus dem eigenen Garten nicht ausreicht, bezieht sie es von einem Gemüsebauern aus Sils oder von der Realta in Thusis, einem halboffenen Vollzug. «Gemüse und Wildpflanzen bilden die Basis meiner Gerichte. Fleisch setze ich nur sehr zurückhaltend ein», sagt Rebecca Clopath. Schokolade werden die Gäste nicht auf ihren Tellern finden, auch Kaffee serviert die Naturköchin keinen. Alles nicht aus der Schweiz. Doch die zwölf Gäste – so viele finden Platz in dem gemütlichen Raum –, müssen nicht auf das Gefühl von Koffein verzichten. Zum Abschluss gibt es jeweils einen Lupinenkaffee.

Ihre Zehngangmenüs oder auch einzelne Speisen widmet sie immer einem Grundsatz. «Wenn ich das Thema ausgewählt habe, ordne ich diesem alles unter.» Wie etwa beim Gericht Fichte, die in den umliegenden Wäldern sehr verbreitet ist. «Dann überlege ich mir, was an und um die Fichte wächst.» Von der Fichte selber setzt sie das Harz, die Nadeln, das Holz sowie die Samen der Zapfen ein. An der Fichte wächst die Flechte oder der Baumbart. Rund um den Baum gedeihen Steinpilze, Preiselbeeren und Moos. Diese Waldaromen ergänzt sie mit Granolakartoffeln aus Mutters Garten. Zudem setzt Rebecca Clopath selbstgemachten Ziger aus Hofmilch ein sowie hausgemachte Preiselbeerkonfi. Die Beeren dafür stammen selbstverständlich aus dem Wald.

Frittierter Baumbart und karamellisierte Fichtensamen

Während Rebecca Clopath erzählt, trocknen die Moosbaisers bereits im Ofen, die Kartoffeln köcheln vor sich hin. Gleichzeitig gibt sie deren Schale mit Rahm und Salz zum Karamellisieren in den Ofen. Daraus wird sie eine Creme herstellen. «Mir geht es darum, alles von einem Produkt zu verwenden und nichts zu verschwenden.» Das Harz für die Emulsion löst sie in Rapsöl auf. Den Ziger hat sie schon am Vortag zubereitet. Nun geht es ans Räuchern. Der Frischkäse liegt in einer flachen, mit Haushaltsfolie abgedeckten Schale. Da schiebt sie nun vorsichtig den Schaft der mit getrocknetem Fichtenholz munitionierten Smoking Gun hinein und räuchert den Ziger ein. Anschliessend karamellisiert sie die Fichtensamen, die sie nach dem Auskühlen hackt und mit Schweizer Sel à l’ancienne mischt. «Diese Samen symbolisieren in meinem Gericht den Waldboden.» Bevor sie den Ziger in den gehackten Tannennadeln wendet, backt sie den Baumbart aus. «Der frittierte Baumbart sorgt für das crunchige Element.» Er schmeckt etwas bitter und moosig. Und schon ist alles bereit fürs Anrichten. Der Kartoffelstampf erhält ein Fichtenharzseeli, der gebackene Baumbart ziert die Granolaschalen-Creme-Punkte und Steinpilzpulver verleiht dem Gericht nochmals eine herbe, erdige Note.

(Bernadette Bissig)