Fair produziertes Fleisch: Spitzenkoch Kurt Röösli kocht in der Stiftung Wagerenhof für bis zu 450 Personen. Wann immer es geht mit Fleisch aus eigenem Betrieb.
Es war eine grosse Veränderung in Kurt Rööslis Leben. Der Küchenchef vom Fünfsternehotel Waldhaus in Sils-Maria hat nach 25-jähriger Tätigkeit im Sommer 2016 nicht nur seinen langjährigen Arbeitgeber verlassen, sondern auch seine geliebten Berge. Seit letztem Sommer lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern im Alter von 17 und 20 Jahren in der Nähe Usters und bekocht anstatt Gäste im Luxussegment Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen und deren Betreuer.
Dafür dirigiert er neben neun gelernten Köchen sieben Lernende und zehn beeinträchtigte Hilfskräfte. Weniger Arbeit gibt es an seinem neuen Arbeitsort nicht: Mittags gehen rund 420 Menüs raus, abends um die 250, und besonders im Herbst gibt es viele externe Anlässe im Haus zu verpflegen. Und weil der Spitzenkoch nun auch für Menschen kocht, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung beim Essen Schwierigkeiten haben, bietet er ihnen zum Beispiel Rüeblistäbli oder Geflügelkroketten an. Speisen, die sie von Hand essen können. Es kann aber auch sein, dass er eigenhändig Zucchettiblüten füllt, um den Bewohnern eine Freude zu machen. Nur abends geht es in der grossen und hellen Küche etwas ruhiger zu und her: Anstatt Gourmetmenüs wie im «Waldhotel» gibt’s um 18 Uhr nun Dampfnudeln, Birchermüesli oder Wienerli und Kartoffelsalat.
«In erster Linie habe ich diese berufliche Veränderung vorgenommen, weil für meine Töchter im Engadin die gewünschten Weiterbildungsmöglichkeiten nicht vorhanden waren», sagt der 51-Jährige und fügt mit einem Schmunzeln an, dass geregelte Arbeitszeiten aber durchaus ihren Reiz hätten.
Wer den leidenschaftlichen Koch kennt, der weiss, dass ihm auch am neuen Arbeitsort die Qualität der Produkte sehr wichtig ist. Wenn er im Engadin diese durch eine intensive Kontaktpflege mit besten Produzenten in der Nähe gewährleisten konnte, so hat er diese nun vor der Haustür. Direkt vor seiner Küche gedeiht zum Beispiel ein üppiger Kräutergarten. Überall in der Siedlung wachsen weitere Kräuter wild wie beispielsweise der Thymian.
227 Menschen leben im «Wagerenhof» in Uster. Damit die Stiftung ihren Bewohnern Arbeitsplätze anbieten kann, verfügt sie über mehrere Betriebe. Dazu gehören eine Gärtnerei sowie ein Bauernhof. Letzterer befindet sich mitten im «Wagi-Dörfli», wie die Bewohner und Mitarbeiter die Institution mit ihren 17 Gebäuden liebevoll nennen.
Die Wagerenhof-Landwirtschaft ist mit dem Biolabel Knospe zertifiziert und umfasst 25 Hektaren Nutzfläche sowie vier Hektaren Wald. Sie wird von Betriebsleiter Housi Suter geleitet, der mit seiner Familie auf dem Hof lebt und die Landwirtschaftswohngruppe begleitet. Rund 40 Bewohner helfen auf dem Betrieb mit. Kühe und Kälber, Muttersau mit Ferkel, Esel, Schafe, Ziegen sowie Hühner gehören zum Betrieb.
Ein Glücksfall für Kurt Röösli: «Wann immer möglich beziehe ich das Fleisch von hier.» Erst kürzlich konnte er 180 Hühner verarbeiten, deren mehrjähriges Dasein als Legehennen beendet war. Aus den Schenkeln kochte er stundenlang ein Ragout, die Brust verarbeitete er im Sous-vide-Verfahren und aus den Knochen stellte er eine Bouillon her. Erwähnenswert ist dies besonders, weil die meisten Legehennen nach dem Höhepunkt ihrer Legeleistung üblicherweise bereits nach einem Jahr entsorgt werden. Insgesamt legen 300 Hennen ihre Eier für den Betrieb, sodass der Koch zu hundert Prozent über eigene Eier verfügt. Auch die Milch kann er vom eigenen Hof beziehen. Und bald gibt es wieder sortenreines Mehl aus eigenem Bioweizen. Die Ernte ergibt 500 Kilogramm Mehl. Damit können die Bewohner einen Monat lang mit eigenem Brot versorgt werden.
Bald erhält der Koch auch das Fleisch eines 24 Monate alten Rindes aus dem Betrieb. Hätte der Metzgersohn Platz in der Küche, würde er es gerne selbst zerlegen. Nun übernimmt dies jedoch der nahe Metzger. Sind die hofeigenen Ferkel 200 Tage alt, darf Kurt Röösli auch ihr Fleisch verarbeiten. Mit dem Lammfleisch werden von den srilankischen Mitarbeitern in der Küche gerne Currys zubereitet. Glücklicherweise konnte die Stiftung Wagerenhof kürzlich ein grosses Stück Land auf dem nahen Schlosshügel in Uster pachten, sodass Kurt Röösli in den kommenden Jahren über mehr Fleisch von eigenen Lämmern, Schweinen und Rindern verfügen wird. Derzeit kann er 20 Prozent des Fleischbedarfs mit dem eigenen Hof abdecken.
Beim Gemüse sehen die Zahlen etwas anders aus: «Im Sommer kann ich 50 Prozent des benötigten Gemüses aus unserer Gärtnerei beziehen», so Kurt Röösli. Dort arbeiten insgesamt 60 Personen, darunter viele Menschen mit einem Handicap. Sie bauen auf einer Hektare eigenes Saatgut und Setzlinge von 30 Gemüsearten in rund 100 Variationen an. Derzeit gedeihen Tomaten, Gurken, Salat und Mangold besonders üppig. Was Kurt Röösli in seiner Küche nicht benötigt, wird im Hofladen angeboten. Der umtriebige Koch plant, dort nächstens weitere Produkte anzubieten. So könnten Tomatensaucen für Pasta oder Pizza, Crêpesfüllungen oder selbstgemachter Frischkäse das Angebot erweitern.
(Sarah Sidler)
<link http: www.wagerenhof.ch>www.wagerenhof.ch