Ihr Geschmack bringt echte Fleischliebhaber zum Schwärmen: sogenannte «Special Cuts». In der Schweiz steckt der Trend noch in den Kinderschuhen – dabei haben die Stücke grosses Potenzial.
«Das ist geiler als jedes Filet», schwärmt Lucas Oechslin. Die Rede ist von Fleischstücken wie Bavette, Outside Skirt oder Secreto – sogenannte Second oder Special Cuts. Unbekanntere Stücke also, die im Mainstream von Filet, Entrecote und Kotelett vergessen gegangen sind und kaum mehr auf den Menükarten landen. Nicht so im «Smith and de Luma» in Zürich. Dort bieten die als «Luma Boys» bekannten Lucas Oechslin und Marco Tessaro gemeinsam mit den Weinspezialisten von «Smith and Smith» Fleischspezialitäten aller Art an. Filet und Entrecote gibt es auch – weil es die Gäste so wollen. Das Herz der Jungs, die mit «Luma Delikatessen» auch eine Online-Metzgerei betreiben, schlägt aber ganz für die Special Cuts. «Wir wollen Fleisch anbieten, hinter dem wir stehen können. Die Nose-to-Tail-Philosophie ist uns daher wichtig. Aber von den Special Cuts hat uns vor allem eins überzeugt: Der Geschmack», sagt Lucas Oechslin.
Denn diesbezüglich stellten die teils neuen, teils wiederentdeckten Fleischschnitte jedes Filet in den Schatten. Mehr Kruste, mehr Fett, mehr Kollagen. Kurz: mehr Geschmack. Und tatsächlich, schon der erste Bissen eines Hanging Tenders – zu deutsch: Nierenzapfen – ist eine Offenbarung. Sicher, ganz so zart wie ein Filet ist das Fleischstück nicht. Dafür überzeugt es durch den kräftigen, puren Fleischgeschmack, den sich der moderne Gaumen gar nicht gewohnt ist. Am besten geniesse man die Special Cuts denn auch pur, rät Lucas Oechslin. Ohne Sauce, nur mit ein wenig Salz gewürzt.
Vom Potenzial der Special Cuts überzeugt ist auch die Branchenorganisation Proviande. Kürzlich hat sie ein «Einmaleins der unbekannten Schnitte» in Buchform herausgebracht. Die auch als Second Cuts bekannten Fleischstücke werden dort durchgehend als Special Cuts bezeichnet. «Der Name Second Cuts impliziert, dass die Stücke zweite Wahl sind. Dem ist aber überhaupt nicht so», erklärt Werner Siegenthaler, der bei Proviande unter anderem für den Bereich Nachhaltigkeit zuständig ist. «Im Gegenteil, die Special Cuts überzeugen geschmacklich, sind eine spannende Erweiterung im Sortiment von Metzgern und Gastronomen, leisten einen Beitrag zur Vollverwertung des Tieres, lassen alte Traditionen wieder aufleben und sind preiswerter als die sogenannten Edelstücke Filet und Entrecote.» Die Publikation von Proviande zeigt, wie vielfältig die weniger bekannten Schnitte sind: Von Halsstrang und Hohrückendeckel über Schulterspitz-Steak und Spannrippe bis zu Zwerchfell und Schweinsbrustspitz wird aufgezeigt, wie diese Stücke am besten zubereitet werden.
Besonders wichtig bei den Special Cuts: die Qualität des Fleisches. «Wenn Fütterung, Haltung, Alter und so weiter nicht stimmen, können diese Fleischstücke schnell zäh werden», erklärt Lucas Oechslin. Denn sie enthalten mehr Bindegewebe und dadurch mehr Kollagen als etwa ein Filet. «Beim Fleisch haben Länder wie die USA oder Australien einen Vorsprung, weil ihr Fokus ganz auf der Fleischherstellung liegt.» So sei bereits die Genetik der Tiere eine ganz andere. Zudem werden die Tiere zur Steigerung der Fleischqualität entsprechend gefüttert. «Kollagen ist eine Proteinstruktur, die mit zunehmendem Alter zäher wird. Wenn man Stärke zufüttert, wird die Kollagenstruktur weicher.» Da Mais in den USA sehr günstig sei, stelle diese Art der Fütterung dort kein Problem dar. Trotzdem arbeiten die Jungs von Luma wenn immer möglich mit Schweizer Produzenten zusammen. Und es kann schon einmal vorkommen, dass sie persönlich beim Metzger vorbeigehen und erklären, welchen Schnitt sie gerne haben möchten.
«Die Metzgerbranche hinkt dem Bedarf an Special Cuts aus der Gastronomie derzeit noch hinterher», sagt Werner Siegenthaler von Proviande. Es gebe weniger Metzgereien, und deren Angebot richte sich meist nach den gefragteren Stücken. «Um Special Cuts anzubieten, braucht es Herzblut und persönliche Überzeugung», so Siegenthaler. Denn wer sich damit beschäftigen will, braucht Zeit und Energie, um dem Kunden gute Qualität bieten zu können. Wer sich nur für den Umsatz interessiert, lässt also lieber die Hände von Nierenzapfen, Schlossbeindeckel und Co. Wer aber bereit ist, etwas Zeit zu investieren, kann profitieren: «Special Cuts haben Potenzial. Ausserdem handelt es sich dabei um Fleisch, das sonst zu Wurst verarbeitet und etwa acht Franken pro Kilogramm kosten würde. Kurzbratstücke hingegen können für rund 40 Franken verkauft werden – das ist ein enormer Mehrwert.»
Das nötige Herzblut zeigt etwa Stefan Mathis von der Firma Holzen Fleisch. Die kleine Spezialitäten-Metzgerei in Ennetbürgen/NW setzt auf tierfreundliche Haltung, nachhaltige Produktion und ausgewogene Fütterung – und auf Special Cuts. «Ich habe eine respektvolle Beziehung zu meinen Tieren», erklärt Mathis. «Ein Tier zu schlachten, ist nicht einfach. Ich will aus Gründen der Nachhaltigkeit, dass das ganze Tier danach möglichst gut verwertet wird.» Eine seiner Abnehmerinnen ist Marlene Halter vom Restaurant Metzg an der Langstrasse in Zürich. Die Köchin stiess vor einigen Jahren in den USA auf die Special Cuts, die dort gang und gäbe sind. Sie bezieht bei Stefan Mathis wöchentlich verschiedene Special Cuts vom Angus Rind und vom Wollschwein. «Diese Stücke sind geschmacklich viel spannender als Filet und Entrecote. Ich mag das sehr und versuche das auch unseren Gästen schmackhaft zu machen.» Auf den Grill kommt in der «Metzg» beispielsweise ein Onglet, der Nierenzapfen eines Rindes. Dieses kommt zunächst auf den Grill, damit es eine schöne Farbe erhält, danach vier Minuten bei 180 Grad in den Ofen und anschliessend zum Abstehen zehn Minuten bei 65 Grad in den Holdomat. «Dieses Stück ist das geschmacklich intensivste vom Rind. Etwas für richtige Fleischliebhaber.»
Bei den Gästen kommen die Special Cuts an. «Manchmal bin ich selbst überrascht wie gut.» Einzig bei der Zartheit seien die Schweizer heikel. «In anderen Ländern wie etwa den USA wird darauf weniger Wert gelegt. Dort spielt der Geschmack die Hauptrolle.» Umso wichtiger sei die richtige Zubereitung. Und: «Ein bisschen kauen gehört für mich zum Fleischgenuss dazu.»
In der Gastronomie sind sogenannte Second oder Special Cuts schon länger ein Thema. In den Verkaufszahlen schlägt sich das allerdings noch nicht nieder. «Da stecken wir noch ganz in den Anfängen», sagt Werner Siegenthaler. In den Medien werde darüber zwar regelmässig berichtet, wirklich angeboten würden Special Cuts aber nur in einzelnen Fachgeschäften und Restaurants. «Beim Konsumenten sind diese Stücke noch nicht wirklich angekommen», bilanziert er. Das bestätigt auch Mark Thomas Müller, Leiter Food and Beverage bei «Smith and de Luma»: «Wir verkaufen derzeit nur etwa 20 Prozent Special Cuts. Die meisten Gäste bestellen lieber das altbekannte Filet.» Am Mittag sei der Verkauf des «Steak of the day», das immer ein Special Cut ist, einfacher. «Dieses kommt auch immer sehr gut an. Aber haben die Gäste die Wahl, setzen sie aufs Bekannte.» Trotzdem sind die Jungs von «Smith and de Luma» überzeugt, dass Special Cuts früher oder später auch die Schweiz erobern werden. «Wir müssen es schaffen, dass Special Cuts auch hierzulande sexy werden», so Lucas Oechslin. Das erreicht er in seinem Restaurant zum Beispiel, indem er die englischen Begriffe der Fleischstücke verwendet. Denn wer bestellt schon Nierenzapfen, Zwerchfell oder dünnen Lempen? Hanging Tender, Skirt Steak und Flank Steak hingegen sind hip. «Wir müssen mit dem Fleisch dorthin kommen, wo wir mit dem Wein bereits sind», sagt Lucas Oechslin. Denn je nach Rasse, Fütterung, Alter oder Geschlecht schmecke Fleisch immer wieder ganz anders. «Fleisch muss endlich wieder die Wertschätzung erhalten, die es verdient.» Dies gelingt, wenn sowohl Metzger und Gastronomen wie auch Konsumenten dessen Vielfalt wieder für sich entdecken und auch bereit sind, Experimente zu wagen und neue Geschmackswelten zu erkunden.
(Angela Hüppi)
Holzen Fleisch GmbH
6373 Ennetbürgen
Tel. +41 41 620 83 36
info@holzenfleisch.ch
Die Fachpublikation «Special Cuts» präsentiert 25 neue oder in Vergessenheit geratene Fleischzuschnitte vom Rind, Kalb, Lamm und Schwein. Auf jeweils zwei Seiten wird jeder Zuschnitt mit seinen Besonderheiten illustriert und erklärt.
72 Seiten, CHF 24.-, ISBN 978-3-033-06655-7
Herausgeber: Proviande,