Auch ältere und gebrechliche Menschen wollen in die Ferien. Laut Experten fehlen jedoch Angebote für sie. Eine Chance für Dreisterne- und Kurhotels.
Die Lebenserwartung der Schweizer steigt. Mit durchschnittlich 82,8 Jahren gehört sie zu den höchsten der Welt. Senioren sind vitaler, reisefreudiger und vermögender als früher. Diese Entwicklung fordert ein Umdenken. Auch im Tourismus. Denn mit dieser Veränderung in der Gesellschaft wandeln sich die Bedürfnisse älterer Menschen im Reisebereich. Der Tourismus muss seniorenfreundlicher werden.
«Fortgeschrittenes Alter und körperliche Einschränkungen sollen Ferien nicht verunmöglichen», sagt Anne Cheseaux, Geschäftsführerin von der Aevea Vita Hotels GmbH. Dieses Marketingunternehmen setzt sich für einen altersfreundlichen Tourismus ein. Anne Cheseaux berät gemeinsam mit dem Gesundheitsexperten Dr. Stephan Knoth und Hotelier Federico Haas Hotels im Umgang mit dieser wachsenden Kundengruppe. Heute zählen zehn Häuser zur Gruppe der Aevea-Hotels; darunter das Hotel Krone, in Lenk im Simmental/BE, der «Schweizerhof» in Sils-Maria/GR und das Hotel Delfino, Lugano/TI.
«Wir konzentrieren uns seit drei Jahren auf Angebote für Senioren um 75 Jahre, da es für sie wenig Bestehendes gibt», sagt die Geschäftsführerin. Dabei seien diese vor allem für Hotels im Dreisternebereich spannende Gäste. Sie erwarten meist keine Top-Infrastruktur, kein riesiges Ausflugsprogramm und reisen gerne in Gruppen. Stimmt für sie das Angebot, werden sie oft zu treuen Stammkunden und bringen gerne Freunde und Familie mit. Zudem meiden ältere Menschen die Hochsaison. Sie ist ihnen zu teuer, zu viele Menschen sind unterwegs, die Temperaturen sind zu heiss oder zu kalt. Hoteliers also, welche die Nebensaison etwas verlängern möchten, finden in älteren Menschen dankbare Gäste.
«Hoteliers sollen keine Angst vor dieser Kundschaft haben», so Anne Cheseaux. Eine natürliche Durchmischung der Gesellschaft darf sich auch in einem Hotel widerspiegeln.
Wer sich diesem vernachlässigten Gästesegment annehmen will, sollte einige Kriterien erfüllen (siehe Box rechts). Besonders hervorheben möchte Anne Cheseaux aber, dass das Wichtigste im Umgang mit älteren Gästen die Sensibilität ist. «Man muss sich Zeit nehmen für diese Gäste und darf sich nicht aufregen, wenn etwas zweimal erklärt werden muss. Diese Gäste benötigen für alles etwas mehr Zeit und ausführliche Informationen.» Es könne sein, dass dafür eine Person zusätzlich eingestellt werden müsse. Doch es gelte zu beachten, dass ältere Gäste meist zwischen zehn und vierzehn Tagen in den Ferien bleiben. Weit länger als jüngere Gäste. So werde der Mehraufwand an Personal kompensiert.
Auf den Fachkräftemangel angesprochen, meint die Hotelfachfrau: «Die Arbeit in Hotels wird durch den Kontakt mit Senioren aufgewertet und spannender. Mitarbeiter bekommen als wichtige Bezugspersonen einen anderen Stellenwert.» Um die Mitarbeiter in den Hotels auf ältere Menschen vorzubereiten, bietet Aevea Vita Hotels Schulungen an. Damit im Notfall richtig reagiert werden kann, stehen Checklisten zur Verfügung.
Auch der Koch sollte einiges beachten, um diese Gäste glücklich zu machen. «Bieten sie abwechslungsreiches, nicht zu ausgeflipptes Essen in kleineren Portionen an. Essen hat auch bei älteren Menschen einen grossen Stellenwert.» Da sich der Geschmackssinn verändert, empfiehlt Anne Cheseaux, mit Kräutern zu kochen und neben Salz und Pfeffer weitere Gewürze zum Nachwürzen auf den Tisch zu stellen.
Hotels, die in der Nebensaison ihr Restaurant schliessen, empfiehlt sie, ein Catering von einem benachbarten Restaurant oder Hotel etwa zu organisieren. «Ältere Menschen suchen abends nicht gerne nach einem Restaurant.» Da ihnen Geselligkeit wichtiger ist als ein straffes Ausflugsprogramm, empfiehlt Anne Cheseaux, nachmittags Kaffee und Kuchen anzubieten. «Damit niemand alleine essen muss, sollten auch grosse Tische aufgedeckt werden, damit sich ältere Gäste spontan zusammensetzen können.»
Die Hotelexpertin macht darauf aufmerksam, dass es immer mehr chronisch kranke Menschen gibt. «Hoteliers, die sich differenzieren möchten, sollten sich überlegen, ob sie sich diesem Gästesegment annehmen und ihm während einiger Wochen das ganze Hotel reservieren wollen. Das kann wirtschaftlich einschenken.»
Ein Haus, das dies erkannt hat, ist das Kurhotel Sonnmatt in Luzern. Die Gäste dieses Hotels sind durchschnittlich 85 Jahre alt.Das Vier-Sterne-Superior-Hotel an schönster Lage mit Blick auf Pilatus, Rigi und den Bürgenstock wurde 1910 als Kurhotel eröffnet und vor 14 Jahren totalsaniert. Unter dem Dach der «Sonnmatt» finden sich verschiedene Angebote. Der Hotelkomfort wird ergänzt durch Leistungen, die speziell auf ältere Menschen abgestimmt sind. So ist jedes der 42 Hotelzimmer im Notrufsystem eingebunden. Rund um die Uhr ist ein Arzt oder eine Pflegefachperson verfügbar.
«Wir vermieten ungefähr die Hälfte unserer Zimmer als klassische Hotelzimmer. Die anderen sind für Gäste eingerichtet, die nach einem Spitalaufenthalt zur Kur kommen, für Pflegegäste und für Longstays», erläutert Ruth Betschart, stellvertretende Direktorin. «Im Durchschnitt bleibt ein Gast zwischen zwei und drei Wochen bei uns».
Wenn ein Gast auf Unterstützung angewiesen ist, bietet das Kurhotel eigene pflegerische, ärztliche und therapeutische Unterstützung an. Zudem kann im Kurhotel auf Partner aus dem Gesundheitswesen zurückgegriffen werden. Nebst der engen Zusammenarbeit mit der Hirslanden- Klinik St. Anna in Luzern und weiteren Kliniken ist im Anbau auf zwei Stockwerken die Reha Clinic Sonnmatt Luzern AG eingemietet. Letztere ist ein Unternehmen der Reha Clinic Bad Zurzach. So können im Kurhotel zusätzliche Leistungen in den Bereichen Medizin und Therapie angeboten werden wie die 24-Stunden-Präsenz eines Arztes.
Das ist gefragt. Laut Ruth Betschart liegt die Auslastung bei über 90 Prozent. Das ist sehr hoch. «Aufgrund der aktuellen Entwicklung im Gesundheitswesen wird die Nachfrage weiterhin steigen», sagt sie. Insbesondere bei Kurgästen, die nach einem Spitalaufenthalt auf ärztliche, therapeutische und pflegerische Unterstützung angewiesen sind. «Der Bedarf an Hotels mit ähnlichen Konzepten wird zunehmen», erläutert Ruth Betschart. Die Organisation und die Vorhalteleistungen der medizinischen Angebote seien aber sehr anspruchsvoll, fügt sie an.
(Sarah Sidler)
- Verständnis für Bedürfnisse älterer Menschen
- Hotel muss mit lokalem Arzt und Gesundheitsdienst vernetzt sein
- Hotel muss topografisch gut liegen (flache Gegend)
- Hotel sollte über eigenes Restaurant verfügen
- Verpflegungsmöglichkeit im Zimmer sollte vorhanden sein
- Hotel sollte weitgehend hindernisfrei sein
- Lift muss vorhanden sein
- Hotel sollte über Aufenthaltsräume verfügen
- Hotel muss überall gut beleuchtet sein
- Réception muss rund um die Uhr betreut sein
Fahrdienste und Begleitung sollten zur Verfügung stehen
HGZ: Judith Bucher, wie spricht ein Hotelier ältere Menschen am besten an?
Judith Bucher: Nicht als Senior, sondern als Mensch mit Vorlieben und Hobbys! Der Begriff Seniorenreisen ist altbacken. Pensionierte wollen nicht über ihr Alter definiert werden. Studien besagen, dass sich Menschen im Durchschnitt zwölf Jahre jünger fühlen, als sie tatsächlich sind.
Was wollen Senioren denn in ihren Ferien?
Das ist – wie bei allen anderen Altersgruppen auch – sehr unterschiedlich. Hoteliers und Gastronomen müssen sich genau überlegen, welche Zielgruppe unter den Pensionierten sie ansprechen wollen. Die Breite an Bedürfnissen ist riesig. Ich rate, auch in diesem Segment nach einer Nische zu suchen. Es lohnt sich, denn die Gruppe von Menschen, die in die Ferien geht, wird älter werden.
Was ist die Mehrheit der Senioren gewillt, für Ferien auszugeben?
Auch hier sind die Unterschiede riesig. In dieser Altersgruppe ist die Schere zwischen Arm und Reich besonders gross. Laut einer Studie besteht jedoch die Nachfrage nach Angeboten in Zwei- und Drei-Sterne-Hotels. Das könnte eine Nische sein, da vielen die Angebote von Vier- und Fünfsternehäusern zu teuer sind. Wir wissen, dass in der Schweiz jede achte Person im Pensionsalter von Altersarmut betroffen ist. 2017 haben über 200 000 Menschen in der Schweiz Ergänzungsleistungen bezogen.
Wo können sich interessierte Hoteliers informieren?
Eben hat die Age-Stiftung die umfassende Dokumentation «Barrierefreiheit in der Hotellerie – Ein Leitfaden für die Hotellerie und Gastronomie» veröffentlicht. Sie ist auf deren Website zu finden.
Judith Bucher ist Pressesprecherin bei Pro Senectute.