Mit der Aktion «Leaf to Root» läutete Esther Kern 2014 eine Bewegung ein, die anhält. An der diesjährigen Fachtagung des Schweizer Kochverbands zeigt sie, wie vielfältig Gemüse ist.
Esther Kern, Sie beschäftigten sich mit der Verwendung von Gemüse vom Blatt bis zur Wurzel. Lässt sich tatsächlich alles in der Küche verwerten?
Nein, nicht ganz alles. Zum einen gibt es Dinge, die giftig sind oder landläufig als giftig gelten. Zum Beispiel ist an Nachtschattengewächsen im Grundsatz alles Grüne giftig. Es gibt aber auch hier Ausnahmen wie Tomaten- und Chilikraut oder Auberginengrün. Zum andern gibt es Dinge, die ganz einfach nicht schmecken. Man muss nicht aus Prinzip jedes kleine Zweiglein essen.
Bekommen Sie beim Herumpröbeln mit neuen Rezepten auch einmal Bauchschmerzen?
Nein, bisher nicht. Ich recherchiere viel, bevor ich etwas ausprobiere. Ich habe zum Beispiel als Kind gelernt, dass Tomaten, wenn sie noch grün sind, giftig sind. Früher wurde daraus aber auch in der Schweiz oft Chutney gemacht und aus dem Süden der USA gibt es Rezepte für gebratene grüne Tomaten. Da war ich zu Beginn sehr vorsichtig. Wenn man bei Zutaten Neuland betritt, sollte man nicht fahrlässig damit umgehen.
Welche essbaren Entdeckungen haben Sie besonders überrascht?
Da gibt es ganz viele. Sehr lecker ist die Schale der Wassermelone. Wenn man die äussere, dunkelgrüne Schicht abschneidet, kann man die Rinde wunderbar zu Salat verarbeiten. Toll sind auch Chips aus Kohlrabiblättern. Die sind einfach und schnell gemacht und schmecken eigentlich jedem. Und im Frühling finde ich beispielsweise Erbsentriebe sehr fein.
Es geht bei «Leaf to Root» also nicht nur um verschiedene Teile der Pflanze, sondern auch um Pflanzen in unterschiedlichen Wachstumsphasen?
Genau. Man kann Erbsen sehr dicht säen und dann im Frühling einige Triebe ernten. Ebenfalls toll ist Feder- oder Rosenkohl, den man nach der Ernte eine Weile stehenlässt. Dann wachsen an den Strünken nochmals kleine Röschen, die sehr gut schmecken. Auch die Blüten von Kohlgewächsen sind sehr lecker. Und wenn man Radieschen blühen lässt, wachsen nach einer Weile Schoten. So kann man beispielsweise ein ganzes Gericht rund um Radieschen aufbauen, in welchem man von Knollen und Blättern über Blüten und Schoten bis zu den Samen alles einsetzt.
Wo holen Sie sich Inspiration für neue Rezeptideen?
Am Anfang musste ich jeweils sehr lange in alten Kochbüchern und im Internet recherchieren sowie viele Gespräche mit Köchen führen. Heute ist das Thema bekannter, und ich werde fast überflutet mit Inputs. Gerade Spitzenköche probieren in diesem Bereich sehr viel aus, das ist schön zu sehen.
Sie stiessen mit «Leaf to Root» nicht von Anfang an auf so viel Interesse?
Zu Beginn gab es viel Unverständnis. Seit ich die Aktion «Leaf to Root» vor sieben Jahren gestartet habe, hat sich sehr viel getan. Heute überlegen sich auch Hobbyköche, ob sie mit dem Kraut einer Gemüsesorte noch etwas anstellen können. Früher war das nur bei der Avantgarde ein Thema. Überhaupt ist das Thema Gemüse in der Küche heute viel präsenter. Viele Köche haben persönliche Beziehungen zu Bauern, die ihnen Produkte liefern. Da ist das Angebot natürlich ein anderes als beim Grosshändler. All diese Trends führen dazu, dass das Thema «Leaf to Root» immer wichtiger wird.
Wieso sollte sich Ihrer Meinung nach jeder Koch mit dem Thema beschäftigen?
Man erhält einen besseren Bezug zu den Produkten, mit denen man täglich arbeitet. Das kommt in der Gastronomie leider oft zu kurz. Manche Köche arbeiten mit konfektionierten Teilstücken und wissen gar nicht, wie die ganze Pflanze aussieht. Zudem steigt die Wertschätzung für den Produzenten, wenn man merkt, was alles hinter seiner Arbeit steckt. Und nicht zuletzt ist es kulinarisch sehr spannend, aus einem Gemüse ganz unterschiedliche Geschmäcke herauszuholen. Das gibt Stoff für tolle Geschichten, über die man mit dem Gast ins Gespräch kommt.
Ende Mai werden Sie an der Fachtagung des Schweizer Kochverbands zu sehen sein. Worauf darf man sich freuen?
Ich werde aufzeigen, wie man dem Gemüse in der Küche einen höheren Stellenwert gibt. Immer im Vordergrund ist dabei die Erfahrung, sich auf neue Geschmackswelten einzulassen. Und wenn es die Corona-Massnahmen zulassen, werde ich natürlich auch ein paar Sachen zum Probieren mitnehmen.
(Interview Angela Hüppi)
Fachhochschule Nordwestschweiz Olten
Montag, 31. Mai 2021,
9.00–17.30 Uhr
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