Vom Tellerwäscher zum Küchenchef, doch zu welchem Preis?

Die Suche nach Fachkräften lässt Gastronomen erfinderisch werden. Auf Michel Péclards interne Kochschmiede könnte von anderer Seite bald ein weiteres Angebot folgen.

Michel Péclard bildet die Küchenchefinnen und -chefs seiner Betriebe künftig selber aus. Im Bild: einer seiner Betriebe, das Restaurant Pumpstation in Zürich. (ZVG)

Der schillernde Zürcher Gastronom Michel Péclard sorgt erneut für Aufsehen. Wie der Tagesanzeiger heute berichtete, beabsichtigt der Inhaber mehrerer Gastronomie-Betriebe, seine Chefköchinnen und -köche künftig selbst auszubilden. Auf den Bericht im Tagesanzeiger hin hat Péclard postwendend Feedback erhalten. «Unglaublich viele positive Reaktionen sind eingegangen. Das hätte ich nie erwartet. Heute bin ich bei Tele Züri und morgen bei Schawinski. Der Wahnsinn!». Dass Betriebe Hilfskräfte intern weiterbilden, sodass sie später beispielsweise einen Posten selbst verantworten können, sei nichts neues, sagt Reto Walther, Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands. «Betriebsintern mag das sicher sinnvoll sein, aber es wird nie und nimmer die berufliche Grundbildung ersetzen. Interne Schulungen können die Problematik des Fachkräftemangels langfristig nicht lösen», betont er.

«Interne Schulungen können die Problematik des Fachkräftemangels langfristig nicht lösen.»

Reto Walther, Geschäftsführer Schweizer Kochverband

Walther plädiert dafür, die bestehenden Aus- und Weiterbildungsangebote zu nutzen. «Es gibt zig etablierte Angebote, die jenen, die sich für den Beruf des Kochs interessieren, offenstehen. Angefangen bei FIDE-Sprachkursen, Progresso und Perfecto, über EBA und EFZ, von den vielen Weiterbildungsmöglichkeiten ganz zu schweigen.» Ähnlich sieht es auch Bastian Eltschinger von der Remimag Gastrononomie AG mit Sitz in Rothenburg/LU. Hilfskräfte nachziehen sei der richtige Ansatz. Bei der Remimag setze man auf eine Mischung aus internen Schulungen und dem offiziellen Weg von FIDE-Sprachkursen über Progresso und EBA bis hin zum EFZ. «Wir haben zig Leute, die diesen Werdegang durchlaufen haben oder noch durchlaufen», sagt Eltschinger. Nach den internen Schulungen erhalten die Mtarbeitenden der Remimag Gastronomie AG Zertifikate. Diese seien mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis der offiziellen Berufslehre jedoch nicht zu vergleichen.  «Nicht umsonst hat die Schweiz vermutlich das beste Bildungssystem der Welt. Ein Koch muss viel lernen, dazu braucht es eine fundierte Ausbildung», sagt Eltschinger. 

Péclard ist nicht der einzige

Maximilan Schiedt, CEO der Kramer Gastronomie mit Sitz in Horgen/ZH, findet die Idee von Michel Péclard hingegen gut. «Wir begrüssen, dass Berufskollegen dazu beitragen, unsere Branche zu promoten und helfen, Berufsleute mitauszubilden», sagt er. Auch Christian Kramer, Inhaber und Gründer der Kramer Gastronomie, befasse sich bereits seit einiger Zeit damit, eine eigene, einjährige, moderne und praxisnahe Ausbildung auf die Beine zu stellen. «In dieser könnten beispielsweise Quereinsteiger oder Menschen, die erst seit Kurzem in der Schweiz leben, eine vollwertige Berufsausbildung erhalten», sagt Schiedt.

«Wir begrüssen, dass Berufskollegen dazu beitragen, unsere Branche zu promoten und helfen, Berufsleute mitauszubilden.»

Maximilian Schiedt, CEO Kramer Gastronomie AG

Als Lernihalte vorgesehen seien traditionelle Werte und Handwerksgriffe in Verbindung mit klassischer und moderner Ernährungslehre. Hinzu komme die Beherrschung sämtlicher Gerätschaften und Hilfsmittel, welche eine anspruchsvolle und wettbewerbsfähigen Gastronomie-Küche heute aufzuweisen habe. «Die Ausbildung findet während dem laufenden Job und bei voller Bezahlung statt», so Schiedt. Durch das vielseitige Angebot der Kramer Gastronomie, das von traditionell schweizerisch, über europäische, amerikanische und verschiedene asiatische Küchen reiche, sei die Ausbildung breit. «Mit unserem relativ umfangreichen Bankettgeschäft in verschiedenen Betrieben, können wir in diesem Spezialsegment unserer Branche ebenfalls eine top Ausbildung bieten», ist Schiedt überzeugt.

Bestehende Angebote nutzen

Dass die Berufsverbände nicht sonderlich angetan sind von solchen Ideen, überrascht Péclard nicht. «Es geht ja um viel Geld. Es geht um Arbeit, um ein Umdenken und um den Willen, ein System zu ändern. Das ist schwierig. Mit unserem Vorgehen haben wir jedoch viel Erfolg. Und wir müssen etwas in diese Richtung unternehmen. Es will ja heute kaum mehr jemand den Kochberuf ausüben», sagt er. Das Problem sieht er unter anderem in der Theorielastigkeit der Berufslehre zum Koch begründet. «Was heute alles gemäss Schulverbänden und Behörden per Vorschrift unterrichtet werden muss, ist viel zu viel Theorie, viel zu wenig Praxis. Da schlafen doch alle ein. Der Pfeffer fehlt eindeutig. Ein Unterricht soll doch begeistern und mitreissen, oder?», fragt Péclard rhetorisch.

Diesen Einwand will Max Züst von der Hotel & Gastro Formation in Weggis/LU nicht gelten lassen. «Da kann ich nur erwidern, dass es sich dabei nicht nur um trockene Theorie handelt. Bei Progresso-Lehrgängen beispielsweise werden den Absolventinnen und Absolventen auch die Kultur und die Werte der Schweizer Arbeitswelt nähergebracht», sagt er. Werde jemand zudem spezifisch auf den Betrieb ausgebildet, sei dies sicher mit weniger Aufwand verbunden und die Fachkraft sei schneller einsatzfähig. Aber nur in diesem Betrieb. Züst sagt: «Ich bezweifle, dass ein Koch mit Prädikat Péclard danach auf dem Arbeitsmarkt auch in anderen Betrieben problemlos eingesetzt werden könnte».

«Ich bezweifle, dass ein Koch mit Prädikat Péclard danach auf dem Arbeitsmarkt auch in anderen Betrieben problemlos eingesetzt werden könnte.»

Max Züst, Direktor Hotel & Gastro Formation

Mit Progresso vermittle die Hotel & Gastro Formation in fünf Wochen das Rüstzeug für den Einstieg ins Gastgewerbe. Die Schulung kann am Stück oder gestaffelt stattfinden und wird durch den L-GAV finanziert. «Bei mehreren Interessierten bieten wir den Betrieben Schulung vor Ort an. Leider wissen das noch nicht viele Betriebe. Wir müssen hier die Arbeitgeberverbände künftig stärker in die Pflicht nehmen», sagt Züst.

Urs Masshardt, Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union, kann sich seriöse betriebseigene Ausbildungen gut vorstellen. Allerdings nur, wenn diese nachhaltig und systemkohärent sind. «Von Schnellbleichen und nicht systemkohärenten Ausbildungen distanzieren wir uns», sagt er. Er würde begrüssen, wenn betriebseigene Ausbildungen durch die Hotel & Gastro Formation validiert werden könnten und im besten Fall durch den L-GAV mitfinanziert würden. «Solche und viel mehr Lösungsansätze sind gemeinsam am Tisch anhand von L-GAV-Gesprächen zu  diskutieren. Ich fordere erneut Gastrosuisse auf, ihr unsägliches branchenschädigendes Moratorium aufzulösen, um mit uns und den anderen Sozialpartnern lösungsorientierte Gespräche zu führen», sagt er.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit fördern

Gastronomen wie Péclard wollen nicht weiter zuwarten, bis sich die Sozialpartner an einen Tisch setzen und nach Lösungen suchen. Michel Péclard konnte für sein Vorhaben Armin Egli gewinnen, bisher Küchenchef im «Chedi» in Andermatt/BE. Dieser sieht das Problem des Fachkräftemangels in der Gastronomie auch in der fehlenden Vereinbarkeit von Beruf und Familie begründet. Gegenüber dem Tagesanzeiger sagt Egli: «Es muss uns gelingen, die Zimmerstunde aus dem Arbeitsalltag zu verbannen und die Arbeitszeiten sozial verträglicher zu machen.» Ähnlich sieht es auch Reto Walther, Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands. «Die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit stellt im Gastgewerbe nach wie vor die Ausnahme und nicht den Regelfall dar. Hier muss etwas passieren. Betriebe müssen in neue Arbeitszeitmodelle investieren, wollen wir die Leute in der Branche halten.» Für Bastian Eltschinger, selbst gelernter Koch, hat die Arbeit am Abend und am Wochenende viele Vorzüge. Doch im Schnitt sei es sei schon so, dass  die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit einen viel höheren Stellenwerte habe, als früher, räumt er ein. Um Fachkräfte zu finden und zu halten, setzt Eltschinger auf die Viertage-Woche und flexible Arbeitszeiten. Er sagt: «Was ich nicht verstehen kann, sind Betriebe, die die Löhne massiv anheben. Bei den kleinen Margen, die in unserer Branche möglich sind, ist das nicht zielführend. Schliesslich müssten auch die Gäste bereit sein, mehr für ihren Restaurantbesuch zu bezahlen, wenn die Rechnung aufgehen soll.»

(Désirée Klarer)