Der Eurovision Song Contest gilt als grösster Musikwettbewerb weltweit und begeistert jedes Jahr Millionen von Zuschauern und Fans. Nachdem Nemo den Sieg im letzten Jahr in die Schweiz holte, rüstet sich Basel seit August für die Austragung. Es soll ein einzigartiger Anlass mit langfristiger Wertschöpfung für die Region werden.
Mitte Mai ist es so weit: Der Eurovision Song Contest ESC findet nach 1956 und 1989 seit langem wieder einmal in der Schweiz statt. Ein Megaevent für die Gastgeberstadt Basel, die sich gegen Konkurrenz aus Zürich, Bern und Genf als Austragungsort durchsetzen konnte: 150 Millionen Zuschauer aus Europa und der ganzen Welt verfolgen die Finalshow jeweils am Fernsehen. Doch der ESC bietet noch viel mehr: Zwei Halbfinals, das grösste Public Viewing der Schweiz im Stadion St.-Jakob-Park, eine ESC-Fanmeile, ein Eurovision Village, Konzerte, einen Nachtclub und mehr. Nachfolgend ein Überblick über nur einige der Aspekte, die die Organisatoren die letzten Monate beschäftigt haben. Zudem gibt Letizia Elia, Direktorin von Basel Tourismus, im Interview Einblicke hinter die Kulissen.
Letizia Elia, schon bald startet der ESC in Ihrer Stadt. Ist Basel bereit?
Soweit wir bereit sein können, sind wir es. Wir sind gut aufgestellt und konnten bisher alle Fristen einhalten. Ein solch riesiges Projekt innerhalb von nur sieben Monaten auf die Beine zu stellen, war aber definitiv eine grosse Herausforderung – und eine Premiere für uns. Die Einmaligkeit dieses Projekts setzt uns natürlich unter Druck, unser absolut Bestes zu geben. Entsprechend sind wir momentan in einer Phase, in der es nicht mehr nur ums Pflichtenheft geht, sondern um die Kür.
In Basel geht es dieses Jahr Schlag auf Schlag: Nach dem ESC folgt im Juli mit der Uefa Women’s Euro ein weiterer Grossanlass. Schlafen Sie überhaupt noch?
Es ist tatsächlich eine sehr intensive Zeit. Zumal wir unser Team für das Projekt ESC nicht erweitert haben. Wir müssen unseren Job auch neben diesem riesigen Projekt weitermachen. Indem wir den Fokus des Marketings komplett auf die beiden Grossanlässe ausgerichtet haben, können wir das Pensum einigermassen stemmen – und ja, natürlich bleibt zum Schlafen auch noch etwas Zeit (lacht).
Neben Basel hatten sich auch Zürich, Bern und Genf für die ESC-Austragung beworben. Wie haben Sie gefeiert, als Ihre Stadt den Zuschlag erhielt?
Den Bescheid erhielten wir auf sehr spezielle Art, in Form eines Videos im Basler Rathaus. Ich war so nervös wie vor einer mündlichen Abschlussprüfung – wir hatten nur wenige Wochen Zeit für die Bewerbung gehabt und alle unsere Ferien verschoben oder ausfallen lassen, um uns ganz darauf zu konzentrieren. Als das Video dann mit Bildern aus Basel begann, wagten wir zunächst noch gar nicht, uns zu freuen – vielleicht wurden ja als Einstieg Bilder aller kandidierenden Städte gezeigt. Als wir dann realisierten, dass der ESC wirklich nach Basel kommt, war die Freude natürlich riesig. Am Wochenende wurde gefeiert, doch bereits am Montag begannen dann die Planung und Arbeit an der Umsetzung.
Der Anlass bietet die Gelegenheit, Ihre Stadt Europa und der Welt zu präsentieren. Worauf legen Sie dabei den Fokus?
Das ist für uns eine grossartige Plattform. Man überschätzt manchmal die Bekanntheit der eigenen Stadt. Wir möchten diese Chance nutzen, um Basel als offene Kulturstadt zu präsentieren. Zudem wollen wir herausstreichen, dass unsere Stadt aufgrund der Lage im Dreiländereck sehr eng mit Europa verbunden ist. Daher war der Titel unserer Bewerbung auch «crossing borders», zu Deutsch «Grenzen überschreiten».
Was wird in Basel anders sein als in bisherigen Host Cities?
Uns war es ein grosses Anliegen, dass der Event inklusiv ist und mehr bietet als die drei TV-Shows. So gibt es unter anderem das bisher grösste Public Viewing im Stadion St. Jakob-Park, wo 36 000 Menschen zusammen feiern können. Zudem haben wir den Fokus auf «Public Value»-Projekte gelegt und beispielsweise mit Hochschulen für Videoproduktionen und die Kreation des Maskottchens zusammengearbeitet. Auch viele Kulturinstitutionen sowie die Nachtclub-Szene sind involviert.
Welches waren die grössten Herausforderungen bei den Vorbereitungen auf diesen riesigen Anlass?
Der Faktor Zeit und die Dimension des Anlasses. Die gesamte Koordination hängt von unglaublich vielen einzelnen Entscheidungen ab. Das alles unter einen Hut zu bringen und die Planung voranzutreiben, war sehr herausfordernd.
Die ESC-Austragung kostet viel Geld, gleichzeitig rechnet man mit einer hohen Wertschöpfung. Wie lässt sich erreichen, dass Basel auch langfristig vom Event profitiert?
Eine langfristige Wirkung ist natürlich unser oberstes Ziel, und wir haben uns viele Gedanken dazu gemacht. Wir werden eine grossangelegte Kampagne fahren, um Gäste zu animieren, nicht nur die ESC-Spots zu besuchen, sondern die ganze Stadt zu erleben. Dazu werden unter anderem Tour-Guides in der ganzen Stadt positioniert. Eine App soll zusätzliche Orientierung und Tipps geben. Zudem wollen wir den Anlass nutzen, um uns als Destination für Grossveranstaltungen zu positionieren. Wir merken jetzt schon, dass das Interesse an Basel deutlich gestiegen ist und sind daher zuversichtlich, dass die Wirkung des ESC uns langfristig nützen wird.
2025 ist für Basel mit dem ESC und der Women’s Euro ein Mammutjahr. Besteht die Gefahr, dass die Baslerinnen und Basler danach die Nase voll vom Tourismus haben?
Wir müssen dafür sorgen, dass dem nicht so ist. Basel ist kein Overtourism-Hotspot. Trotzdem spüren auch wir, dass punktuell sehr viele Gäste unsere Stadt besuchen – beispielsweise während des Weihnachtsmarkts. Es ist wichtig, die Bevölkerung gut zu informieren und ihnen einen Mehrwert in Form von kostenlosen Erlebnissen zur Verfügung zu stellen wie zum Beispiel Gratis-Konzerte beim ESC. Insgesamt spüre ich aber, dass die Vorfreude in Basel grösser ist als die Skepsis. Wir führen ja den ersten ESC durch, der durch eine Volksabstimmung legitimiert wurde – mit fast siebzig Prozent Ja-Anteil.
Ein Jahr wie 2025 lässt sich wohl kaum toppen. Wie geht es danach in Basel weiter?
Zum einen ergeben sich durch die Grossanlässe 2025 tolle Perspektiven und neue Chancen für uns. Zudem ist 2026 ein grosses Kongressjahr für Basel. Die Arbeit geht uns nicht aus, auch wenn wir uns vielleicht manchmal speziell motivieren müssen, über die aktuell alles dominierenden Grossanlässe hinaus in die Zukunft zu schauen.
Waren Sie eigentlich schon vor 2024 ein ESC-Fan oder sind Sie es erst jetzt geworden?
Ich habe immer mal wieder reingezappt, aber als Fan hätte ich mich nicht bezeichnet. Jetzt, wo ich weiss, was alles dahintersteckt, bin ich begeistert, was bei diesem Anlass jedes Jahr in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt wird. Erst jetzt wurde mir auch wirklich bewusst, dass der Event ins Leben gerufen wurde, um Europa über die Musik zu verbinden – ein Thema, welches sehr gut in die aktuelle Zeit sowie zu Basel und zur Schweiz passt.
Wo werden Sie selbst das ESC-Finale verfolgen?
Geplant ist, dass ich mir das Finale am Samstag in der «Arena plus» anschaue, also in unserem eigenen Public-Viewing-Projekt im Stadion St. Jakob-Park. Es ist mir aber mehr als bewusst, dass ich in dieser Woche sehr flexibel sein und wahrscheinlich das eine oder andere kurzfristig umplanen muss.
(Angela Hüppi)
Letizia Elia ist seit September 2022 Direktorin von Basel Tourismus. Zuvor war die Baslerin zunächst stellvertretende Direktorin des Congress Center Basel und später Leiterin Business Development und Mitglied der Geschäftsleitung bei Schweiz Tourismus.
Wertschöpfung
Basel rechnet für das Jahr 2025 mit einer Wertschöpfung von rund 60 Millionen Franken dank der Austragung des Eurovision Song Contests. Diese Zahl ist abgeleitet von der Wertschöpfung der vorherigen beiden Host Cities Malmö (SE) und Liverpool (GB). Von der Wertschöpfung profitiert eine breite Palette an Unternehmen und Personen – von der Gastronomie und Hotellerie über das lokale Gewerbe und Kulturschaffende bis hin zu Transportfirmen. Wichtig ist für Basel Tourismus aber vor allem auch die langfristige Wirkung des Events: Man will sich als offene Kulturstadt inmitten Europas positionieren, die den ESC als Referenzanlass für weitere Grossveranstaltungen für sich nutzen kann.
Nachhaltigkeit
Für den ESC und die Uefa Women’s Euro hat Basel ein gemeinsames Nachhaltigkeitskonzept formuliert, um die ökologischen Auswirkungen zu minimieren, soziale Themen wie Inklusion, Diversität und Gewaltprävention zu integrieren und beides mit wirtschaftlichen Zielen zu vereinbaren. Zu den beschlossenen Massnahmen gehört die Zusammenarbeit mit der SBB, um vergünstigte Anreiseoptionen sowie Spezialzüge anbieten zu können. Zudem wird es auf dem ESC-Areal kein Wegwerfgeschirr geben. Ebenfalls wichtig ist die soziale Nachhaltigkeit. Der ESC in Basel soll ein möglichst inklusiver Anlass sein – unter anderem wird eine Disco für Menschen mit Hörbeeinträchtigung organisiert.
Public Value
Public Value, also der öffentliche Nutzen, wird bei der Austragung des ESC in Basel besonders grossgeschrieben. Da die Tickets für die Hauptevents wie TV-Shows und Public Viewing begrenzt sind, sollen auch alle anderen Gäste sowie die Basler Bevölkerung etwas vom Anlass haben. So kreieren unter anderem Studenten Inhalte für einzelne Social-Media-Produktionen, Schulklassen schreiben ihren eigenen Song und präsentieren ihn während der ESC-Woche in Basel, und Anfang Mai gibt es einen Weltrekordversuch mit der grössten Ü60-Disco der Welt. Zudem werden lokale Musikbands und Strassenkünstler die Möglichkeit haben, ihr Können in Basel zu präsentieren.
Gastronomie
Damit die Basler Gastronomie bestmöglich vom Eurovision Song Contest profitiert, wurde für die gesamte ESC-Woche eine Freinacht-Bewilligung erteilt. Im Innenbereich dürfen alle Betriebe 24 Stunden geöffnet haben, im Aussenbereich die Betriebe im Innenstadt-Perimeter bis 2 Uhr nachts – in der offiziellen «Eurovision Street», der Steinenvorstadt, sogar bis 3 Uhr nachts. Wer ein Public Viewing mit über 300 Gästen veranstalten will, kann sich bei der SRG anmelden – der Rücklauf ist gemäss Basel Tourismus sehr gut. Gastrobetriebe in der Innenstadt dürfen zudem ohne zusätzliche Bewilligung die drei TV-Übertragungen im Aussenbereich zeigen. Die maximal zulässige Bildschirmdiagonale dafür beträgt drei Meter, Lautsprecher sind nicht erlaubt.
Beherbergung
Eine der Branchen, die am meisten vom ESC profitiert, ist die Hotellerie. Derzeit sind nur noch einzelne Betten frei. Hotelleriesuisse Basel hat ihre Mitglieder dazu aufgerufen, die Preise während der ESC-Woche nur moderat zu erhöhen, woran sich auch die meisten gehalten haben. Für Hotelleriebetriebe wurde zudem ein «Get ready»-Anlass von Basel Tourismus durchgeführt, um sie auf den Grossanlass vorzubereiten. Dabei gab es Inputs zu Gastfreundschaft und zur Stadt Basel, damit die Betriebe zu Experten und Botschaftern der Region werden. Auch über den Event wurde informiert und beispielsweise darauf hingewiesen, dass die ESC-Gäste Wert auf Vielfalt und Inklusion legen und viele von ihnen auch an Basels Nachtleben interessiert sind. Als Motto für alle gilt: «Basel empfängt die Welt».
Sicherheit
Ein riesiges Thema bei einem Anlass vom Kaliber des Eurovision Song Contests ist die Sicherheit. Gemäss Schätzungen werden während der ESC-Woche zwischen 250 000 und 500 000 Menschen Basel besuchen. Während dieser Zeit stehen rund 1300 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz. Zudem sendet das Schweizer Militär 40 Soldaten nach Basel. Die Hauptlocation St. Jakobshalle und ihre Umgebung sind bereits jetzt gesperrt, Mitarbeitende sowie die Zuschauerinnen und Zuschauer müssen dort Flughafenähnliche Sicherheitskontrollen durchlaufen. Weiter wird es während des Anlasses ein weiträumiges Drohnenflugverbot über der Region geben. Die Kosten für die gesamten Sicherheitsmassnahmen betragen für den Kanton Basel-Stadt 7,9 Millionen Franken.