Wer seinen Mitarbeitenden mit Wertschätzung und Empathie begegnet, kann die Fluktuation im Betrieb auf ein Minimum reduzieren. Das lohnt sich – auch finanziell.
Jeder fünfte Mitarbeitende in Beherbergungsindustrie und Gastge- werbe ist auf der Suche nach einer neuen oder zusätzlichen Stelle. Da- mit ist die Quote in dieser Branche doppelt so hoch wie im Durchschnitt. Selbst in vergleichbaren Branchen wie dem Gesundheits- und Sozialwesen (zirka neun Prozent) sowie dem Baugewerbe (sechs Prozent) ist der Prozentsatz um einiges tiefer. Diese Zahlen gehen aus einer Studie hervor, die Hotelleriesuisse gemeinsam mit dem Beratungs- und Forschungsbüro Ecoplan erarbeitet und herausgegeben hat. Für die Studie wurden unter anderem die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) hinsichtlich der Branchenabflussquote berücksichtigt. Die Studie zeigt auf, wie viele Stellensuchende die Branche dauerhaft verlassen. Im Gastgewerbe beträgt die Abflussquote elf Prozent und ist damit doppelt so hoch wie in anderen Branchen. Ein Verlust für die Branche, aber mehr noch für die einzelnen Betriebe selbst.
Die Suche nach einem adäquaten Ersatz der Fachkräfte ist oft ein mühsamer und langwieriger Prozess. Das dürften die meisten wissen, die schon mal nach einer Fachkraft suchen mussten. Was hingegen gerne unterschätzt wird, sind die Kosten, die daraus entstehen. Laut Kuno Ledergerber, bis 2019 Leiter Zentrum Human Capital Management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur/ZH, können die Kosten gut und gerne einen Jahreslohn betragen. «Das Schreiben und Publizieren von Inseraten, die Zeit für Vorstellungsgespräche und die Einarbeitung der neuen Mitarbeitenden, das alles kostet Geld.»
Hinzu kommen die Opportunitätskosten: In der Zeit, in der man nach einem neuen Mitarbeitenden sucht, macht man nichts anderes. «Wenn man für die aufgewendete Zeit den eigenen Stundenlohn und jenen der in den Bewerbungsprozess involvierten Mitarbeitenden aufaddiert und berücksichtigt, dass es auch zu Fehlbesetzungen kommen kann, stellt man fest, dass hier viel Geld verloren gehen kann.» Schwer beziffern lasse sich etwa das immense Wissen, das eine Fachkraft mitnehme, wenn diese den Betrieb verlasse.
Wissen, Erfahrung und Fachkompetenz gehören nicht dem Betrieb, sondern sind das Humankapital jedes Einzelnen. In der Betriebswirtschaft befasst sich das Human Capital Management (HCM) damit, wie dieses Humankapital gewinnbringend im Unternehmen eingesetzt werden kann.
Konkret umfasst HCM drei Bereiche: Den Bereich Human Capital Marketing, also die Gewinnung, Pflege und Erhaltung der Mitarbeitenden. Den Bereich Competence Management, also die Erschliessung und Entwicklung der Kompetenzen der Mitarbeitenden. Und den dritten und letzten Bereich: das Performance Management. Hier geht es darum, das Humankapital einzusetzen, zu steuern und Leistung zu generieren. Zumindest, wenn man dem Human-Capital-Management-Ansatz der ZHAW folgt.
Das Besondere an diesem Ansatz ist, dass die Mitarbeitenden nicht bloss als Ressource betrachtet werden, sondern in gleicher Weise wie Finanzinvestoren.
«Die Mitarbeitenden sind die Investoren ihres Wissens und ihrer Erfahrungen, das heisst ihres Humankapitals», erläutert Kuno Ledergerber. Der Arbeitgeber leihe sich dieses Humankapital, wobei hier dieselben Grundsätze gelten würden wie beim Finanzkapital: Es muss dem Betrieb zu Wertschöpfung verhelfen.
«Der Erfolg eines Hotels oder eines gastronomischen Betriebes hängt von der Zufriedenheit der Gäste ab. Zufrieden sind die Gäste, wenn die Einrichtung stimmt, die Räumlichkeiten sauber sind und der Service freundlich ist», sagt Kuno Ledergerber. Und er betont: «Diese Aufzählung macht deutlich, dass Mitarbeitende gerade im Gastgewerbe ein nicht zu unterschätzender Faktor sind.»
Was dabei helfen kann, damit Mitarbeitende ihr volles Potenzial entfalten, ist eigentlich simpel: Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitenden mit Respekt und ehrlich gemeinter Wertschätzung begegnen und ihnen vertrauen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich beim Betrieb um eine Weinbar oder einen einfachen Take-away handelt. In beiden Fällen wissen die Mitarbeitenden an der Front vermutlich am besten, welche Arbeitsabläufe verbessert werden könnten. Damit die Mitarbeitenden das tun können und vor allem wollen, müssen sie sich wohl fühlen. Christoph Jordi, Gründer und Inhaber der Beratungsfirma Do Different, nimmt als Beispiel den Apfelbaum: «Wer sich einen Apfelbaum kauft und ihm kein Wasser gibt, muss sich nicht wundern, wenn er keine Äpfel erntet.» Es müsse ein Klima geschaffen werden, in dem sich die Mitarbeitenden ernst genommen fühlen. «Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, wichtig zu sein, entwickelt sich eine ungeheure Power im Betrieb.» Ziel sei es, aus Betroffenen Beteiligte zu machen.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Führungsperson. Diese ist nicht mehr Experte für alles, so wie früher der Patron. Heute ist sie im besten Fall Befähiger und Katalysator. «Alles, was ein Vorgesetzter tut, sollte er tun, damit die Mitarbeitenden und das Team besser werden. Vorgesetzte und Mitarbeitende orientieren sich am gemeinsamen Wachstum», sagt Christoph Jordi.
Für Claudia Züllig, Hôtelière im Hotel Schweizerhof in Lenzerheide/GR, ist es selbstverständlich, sich im Betrieb einzubringen. «Dass mein Mann und ich selbst mitarbeiten und damit ein Vorbild sind, ist einer der grössten Motivatoren für unsere Mitarbeitenden. Dies vernehmen wir auch bei den Austrittsgesprächen.» Allerdings muss sie selten solche Gespräche führen. «Wir haben eine sehr geringe Fluktuation. Bei den Kaderleuten zum Beispiel sind fast alle mehr als zehn Jahre bei uns tätig.» Diese schätzten das ihnen entgegengebrachte Vertrauen und den Gestaltungsspielraum. Die übrigen Mitarbeitenden wiederum sind froh um die klare Linie, mit der sie geführt werden. «Klar dürfen sie sich einbringen. Aber die meisten möchten das gar nicht. Sie schätzen es, geführt zu werden.»
(Désirée Klarer)
Echt freundlich
Pierre Nierhaus neuestes Buch ist eine komplette Anleitung für erfolgreiche Projekte sowie eine neue werteorientierte Führung (Servant Leadership). Der Geheimtipp des Hospitality-Experten: Wer erfolgreich sein will, egal in welcher Branche, muss vor allem Menschen mögen.
«Echt freundlich»
Pierre Nierhaus
ISBN 978-3-87515-320-0
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www.nierhaus.com
Die Traumfabrik
Seit Jahren belegen Studien: Etwa 70 Prozent aller Arbeitnehmenden sind mit ihrem Job unzufrieden. Dieses Buch weist einen konkreten Weg, wie Führungskräfte und Mitarbeitende neue Motivation und Freude aus ihrer Arbeit schöpfen können.
«Die Traumfabrik»
Edwin Prelog
ISBN 978-3-648-08233-1
Fr. 42.50
www.prelog-coaching.de
Wertschätzung als Erfolgsfaktor
Was macht Menschen in ihrem Tun erfolgreich? Und was haben Wertschätzung und Empathie mit Erfolg zu tun? Kann man Empathie lernen? Diesen und vielen weiteren Fragen wird in diesem Buch auf den Grund gegangen. Ein Buchtipp von Claudia Züllig.
«Wertschätzung als Erfolgsfaktor»
Bettina Spichiger
ISBN 978-3-906311-14-2
Fr. 25.80
www.bettinaspichiger.ch