Nach zwei Pandemiejahren standen am Gourmet Festival in St. Moritz endlich wieder zehn internationale Gastköche am Herd. Ihre Gerichte drehten sich rund um das Thema «Middle Eastern Cuisine» und zeigten, wie vielfältig diese ist.
Die Küche des Mittleren und Nahen Ostens steht für mehr als nur Essen. Sie steht für ein Lebensgefühl, für Essen als ein gemeinschaftliches Erlebnis. Sie bringt Menschen an einen Tisch, um Gerichte im Sharing-Prinzip zu teilen und sich auszutauschen. Was könnte besser zum St. Moritz Gourmet Festival passen? Fabrizio Zanetti, Küchenchef im Hotel Suvretta House und kulinarischer Leiter des Festivals, sagt zur Auswahl des diesjährigen Themas: «Wir wollten eine neue Küche nach St. Moritz bringen, die man hier selten sieht. Die verschiedenen Gewürze, Geschmäcke und kulturellen Einflüsse der Middle Eastern Cuisine hautnah erleben zu dürfen, war eindrücklich.»
Wie vielfältig diese Küche ist, bewies am Festival unter anderem Silvena Rowe. Die bulgarisch-türkische Starköchin präsentierte im Hotel Saratz in Pontresina/GR ein komplett veganes Fünf-Gang-Menü und stellte verschiedene Gemüse, Gewürze und Saucen in den Mittelpunkt. Rowe gilt als eine der führenden Wellness-Chefs der Golfregion und hat sich ganz dem Thema Gesundheit verschrieben (siehe Interview).
«Meine Gerichte sollen mehr als schmecken, sie sollen das Leben verlängern», sagt die 56-Jährige. In Pontresina kochte sie unter anderem ein wunderbar sämiges Trüffelrisotto, das seine Cremigkeit nicht durch Butter und Käse, sondern dank einer Sauce aus Kokosnussmilch, Pinienkernen und Hefeflocken erhielt.
Auch Zineb «Zizi» Hattab hat sich ganz der veganen Küche verschrieben. Die ehemalige Software-Ingenieurin sagt dazu: «Die Auseinandersetzung mit unserer Lebensmittelindustrie hat mich dazu bewogen, selber auf tierische Produkte zu verzichten.» In ihren Zürcher Restaurants Kle und Dar serviert sie Hunderte Gerichte pro Woche. «Für keines musste ein Tier leiden, und die CO₂-Emissionen sind um siebzig Prozent geringer», schreibt sie in ihrem Buch «Taste of Love». In St. Moritz kochte die junge Köchin unter anderem ihre «Kle Fried Mushrooms»: frittierte Pilze in Anlehnung an die Fastfood-Kette KFC.
Essen ist für Zizi Hattab auch Erinnerung – an ihre Kindheit in Katalonien, an Familientreffen in Marokko, an die backende Grossmutter. Ihre Harira, eine traditionelle Suppe der nordafrikanischen Küche (siehe Rezept), weckt in ihr die Erinnerung an die Familie, wie sie nach dem Ramadan das Fastenbrechen beging. «Essen ist meine Sprache», so Hattab. «Und mit meinen Gerichten kann ich ausdrücken, was ich fühle.»
Bei Fabrizio Zanetti im «Suvretta House» in St. Moritz zu Gast war Sami Tamimi. Der gebürtige Palästinenser war unter anderem Chefkoch im «Lilith» in Tel Aviv, in den 90er-Jahren eines der renommiertesten Restaurants Israels. Seit 1997 lebt er in London. Im Deli «Baker & Spice» lernte er Yotam Ottolenghi kennen. Heute führen die beiden fünf Filialen des Ottolenghi-Deli und zwei Restaurants.
Tamimi hat es sich zur Mission gemacht, die palästinensische Küche bekannter zu machen. «Wer als Tourist nach Palästina kommt, fährt in Bussen zu religiösen Stätten – ausgestiegen, um zu essen, wird selten.» In St. Moritz kochte er unter anderem Zitronenhühnchen mit Za’atar (wildem Thymian) und Mandeln, dazu gab es Maftoul – eine Art grober Couscous, handgerollt aus Weizenmehl und Wasser. «Ich habe mich bewusst für ein einfaches Gericht entschieden, das unsere Traditionen repräsentiert», so Tamimi.
Gerade diese Einfachheit beeindruckte Fabrizio Zanetti: «Der Austausch mit den Gastköchen ist jedes Jahr bereichernd. Sami Tamimi hat mich daran erinnert, dass man nicht immer mit teuren Luxusprodukten arbeiten muss, um hochwertige und spannende Gerichte zu kreieren.»
Es ist nicht zuletzt dieser Austausch, von dem das Gourmet-Festival lebt. «Neben dem wirtschaftlichen Erfolg hat das Festival eine klare kulturelle und soziale Wertschöpfung», sagt Martin Scherer, Präsident des Vereins St. Moritz Gourmet Festival. «Es bietet immer auch Anlass für Austausch innerhalb der Branche sowie Zugang zu anderen Kochkünsten und Kulturen.»
(Angela Hüppi)
HGZ: Dieses Jahr drehte sich das Gourmet-Festival in St. Moritz rund um das Thema Middle Eastern Cuisine. Ein breites Feld – was haben die verschiedenen Küchen dieser Region gemeinsam?
Sie alle stammen von der osmanischen Küche ab, die den Grundstein für die heutige türkische Küche gelegt hat. Es handelt sich dabei um eine der grossartigsten Küchen der Welt. Auch meine Gerichte sind davon inspiriert. Jüngst habe ich begonnen, japanische Einflüsse einzubauen, um meine Küche noch spannender zu machen.
Sie arbeiten seit 36 Jahren als Köchin. Wie hat sich die Küche des Nahen und Mittleren Ostens seither verändert?
Als ich vor vielen Jahren in London zu arbeiten begann, gab es viele türkische Restaurants und Imbisse, aber sie waren alle im niederpreisigen Segment angesiedelt. Heute ist das erfreulicherweise anders, man hat sich eine bessere Reputation erarbeitet. Die heutigen Restaurants zeigen die Vielfalt und Komplexität dieser Küche auf. In Dubai, wo ich heute lebe, boomt die Gastronomieszene, sie gehört zu den besten der Welt.
Wie würden Sie Ihre eigene Küche beschreiben?
Ich kreiere «food for life», also Essen, welches gesund ist und das Leben verlängern soll. Essen ist letztlich einfach Information für den Körper, und es sollte dafür sorgen, dass man sich besser fühlt. Ich versuche, meine Gerichte voll mit Antioxidantien, Polyphenolen und Nährstoffen zu packen. Gleichzeitig sollen sie alle Sinne ansprechen.
Welches sind einige Ihrer liebsten Superfoods?
Dazu gehören zum Beispiel bulgarische Blütenpollen. Es handelt sich dabei um ein günstiges Produkt, welches voller wichtiger Nährstoffe ist. Man kann die Pollen in Smoothies, Suppen oder als Pulver einsetzen. Ebenfalls sehr gesund sind Leinsamen, Beeren, Granatäpfel und natürlich ganz viele «Greens», also grünes Gemüse und Kräuter.
Silvena Rowe, Wellness-Chef in Dubai
War Ihre Küche schon immer so gesundheitsbewusst?
Nein, früher habe ich viel Zucker gegessen. Als ich mich vor sieben Jahren in Dubai niedergelassen habe, hat mir das die Augen geöffnet. Ich begann, mich immer mehr mit gesunder Ernährung auseinanderzusetzen und beschäftige mich heute mit dem Thema Biohacking. Dabei geht es darum, mit seiner Ernährung Krankheiten wie Krebs zu verhindern und das Leben gezielt zu verlängern. Ich esse beispielsweise täglich 125 Gramm Brokkoli-Sprossen, weil sie Krebs bekämpfen. Die Sprossen verpacke ich in einen Smoothie, denn schmecken tun sie mir eigentlich nicht. In meinen Restaurants serviere ich hauptsächlich pflanzliche Kost, mit nur wenig Fleisch aus Weidehaltung. Zucker ist tabu. Meine Devise lautet: 80 Prozent des Essens sind für den Körper, 20 Prozent für die Seele.
Ihnen ist wichtig, dass auch gesundes Essen hervorragend schmeckt. Haben Sie ein paar Tipps für uns?
Gerade bei veganer Kost muss man sich den Geschmack tatsächlich etwas härter erarbeiten. Ich verwende viele Gewürzmischungen, Marinaden und Saucen wie Harissa, Aioli oder Ponzu.
In Ihrer langjährigen Karriere sind Sie nie stehen geblieben. Was planen Sie als Nächstes?
Ich will das Restaurant der Zukunft eröffnen. Derzeit lebe ich meine Philosophie des gesunden Essens zwar privat stark aus, in den Restaurants kommt sie teilweise aber noch etwas zu kurz. Meine Vision ist ein Gourmet-Menü auf wissenschaftlicher Basis, nur mit gesunden, unverarbeiteten Superfoods. Ein Power-Menü für die Gesundheit.
(Interview Angela Hüppi)
Silvena Rowe baute das Restaurant Omnia in Dubai mit auf, das unter anderem mit dem UAE-Award «Best Healthy Restaurant» ausgezeichnet wurde. Derzeit betreibt Rowe das Café Al Botanica und die Restaurants Nassau und Indian Kitchen by Chef Silvena im Golf- und Country Club Jumeirah Golf Estates. Weiter wirkte Rowe in der britischen Fernsehsendung «Saturday Kitchen» mit und ist als Gastjurorin bei «Masterchef Bulgaria» zu sehen.
Zutaten für 4 Personen
100 g grüne Linsen 100 g Kichererbsen 800 g reife Tomaten (z. B. San Marzano oder Ochsenherz) 1 Zwiebel 1 Stange Staudensellerie 1 Handvoll Petersilie 1 Handvoll Koriander etwas Rapsöl zum Anbraten 1 TL Kurkuma 1/2 TL Ingwerpulver 1 Lorbeerblatt 750 ml Gemüsebouillon Salz und Pfeffer
So wird’s gemacht
Die Linsen und die Kichererbsen über Nacht in Wasser einlegen.Die Tomaten auf der Gemüsereibe reiben. Sie müssen dafür nicht geschält werden, die Haut bleibt automatisch zurück. Die Zwiebel und den Staudensellerie in kleine Würfel schneiden. Die Petersilie und den Koriander grob hacken. Die Linsen und die Kichererbsen abgiessen.Die Zwiebel und den Staudensellerie bei mittlerer Hitze in etwas Rapsöl andünsten, bis beides glasig ist. Das Kurkuma- und Ingwerpulver dazugeben und kurz mitdünsten. Die geriebenen Tomaten, Linsen, Kichererbsen, Koriander, Petersilie und das Lorbeerblatt dazugeben. Alles mit der Bouillon übergiessen. Eine Stunde köcheln lassen – oder so lange, bis die Kichererbsen und die Linsen weich sind. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Das Rezept stammt aus dem Buch von Zineb «Zizi» Hattab, das sich rund um Rezepte dreht, die von ihren spanischen und marokkanischen Wurzeln inspiriert wurden. Ihre Rezepte sind unkompliziert und verzichten gänzlich auf tierische Produkte. Das Buch ist auch ein Porträt der jungen Köchin, die ihren Beruf als Programmiererin an den Nagel hängte und mehrere Stages bei den besten Köchen der Welt absolvierte.
«Taste of Love» Zineb Hattab
ISBN 978 3 03902 163 5
Fr. 49.00