Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit schliessen

Die International Food Innovation Conference zeigte auf: Die Gäste wollen zwar gesundes und nachhaltiges Essen – entscheiden sich aber noch zu selten dafür. Was die Branche tun kann.

Im Bereich Essen und Nachhaltigkeit ist mittlerweile vieles möglich – trotzdem geht die Entwicklung noch zu langsam voran.» So eröffnete Lukas Jezler, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts GDI, die diesjährige International Food Innovation Conference. Daher lag der Fokus der dritten Ausgabe der Tagung auch nicht bei Industrie und Technik, sondern auf der Seite des Konsumenten. Welche Blockaden müssen beseitigt werden, damit die Konsumenten sich gesünder und nachhaltiger ernähren? Welchen Einfluss kann die Lebensmittelbranche nehmen, um die Entwicklung voranzutreiben?

Wissen allein reicht nicht

Gemäss dem neuesten European Food Trend Report des GDI geben zwar 76 Prozent der Befragten an, beim Thema Ernährung auf die Gesundheit zu achten. Und für 48 Prozent spielt auch die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle bei der Ernährung. In der Realität spiegelt sich das aber kaum wider. «Die Erfahrung zeigt, dass beispielsweise Umweltfaktoren bei der Wahl der Lebensmittel kaum eine Rolle spielen», erklärt GDI-Forscherin Christine Schäfer. «Im Vordergrund stehen Geschmack, Sättigung und der Preis.» Sie ist überzeugt, dass es einen Systemwechsel braucht: «Unsere Ernährung nicht zu ändern, ist aufgrund der Entwicklung des Klimas und der Weltbevölkerung keine Option mehr.» Und die Erfahrung zeige auch: Einzig auf Eigenverant­wortung zu setzen, funktioniere nicht, um Veränderungen in der nötigen Zeit umzusetzen.

Information sei zwar ein Weg, um das Bewusstsein der Menschen für das Thema zu stärken. So wüssten beispielsweise immer noch viele Konsumenten nicht, dass ein Stück Rindfleisch aus der Region einen höheren ökologischen Fussabdruck habe als ei-ne importierte Fair-Trade-Man-go. Allein durch Information lässt sich der Mensch allerdings kaum dazu bewegen, sein Verhalten zu ändern. Das gilt insbesondere für ein so emotionales Thema wie die Nahrungsaufnahme.

Doch welche Möglichkeiten gibt es, Konsumenten und Gäste die gesündere und nachhaltigere Variante schmackhafter zu machen? Neben politischen Mitteln wie Subventionen und finanziellen Anreizen gibt es auch einfachere und trotzdem wirksame Methoden, die von Lebensmittel-Anbietern umgesetzt werden können. Wir haben einige Tipps dazu zusammengestellt.

(Angela Hüppi)


Bequemlichkeit

Je einfacher etwas ist, desto eher tut man es. Das gilt auch beim Thema Ernährung. Wenn Gesundes und Nachhaltiges genau so schnell und einfach verfügbar ist wie Fast Food, greifen die Gäste eher zu. Das können beispielsweise vorgeschälte und bereits geschnittene Früchte sein, aber auch gesunde Fertiggerichte mit regionalem Gemüse und ohne Zusatzstoffe. In Kantinen wird das Vegi-Menü viel öfter bestellt, wenn es das Menü Nummer eins ist. Und wenn am Buffet Gemüse und Salat vor den weiteren Komponenten stehen, bleibt auf dem Teller gar nicht mehr so viel Platz für Letztere. Ein Faktor ist auch die Sichtbarkeit: Wenn Alternativen direkt neben dem Fleisch liegen, greifen Konsumenten eher zu.

Genuss Statt Kraftstoff

Essen ist Kraftstoff – dennoch geht es in unserer Gesellschaft beim Thema Essen in erster Linie um Genuss. In den Köpfen vieler schwirrt noch das Vorurteil herum, dass gesundes Essen nicht schmeckt. Dieses lässt sich unter anderem durch eine ästhetische, farbenfrohe Präsentation des Essens abbauen, aber auch durch bessere Menübeschreibungen. Statt «grünen Bohnen» bietet man beispielsweise «knusprig gebratene Bohnen Szechuan-Style» an. Studien zeigen, dass sich der Umsatz so um bis zu 35 Prozent steigern lässt. Ein weiterer Vorteil: In einem Ambiente, welches ganz auf den Genuss eines Menüs setzt, wird bis zu 16 Prozent weniger gegessen als in einem neutralen Umfeld.

Social-Media-Tauglichkeit

Und plötzlich assen alle Avocado-Toast ... Was auf sozialen Medien wie Instagram oder Tiktok gut aussieht, kann schnell zum weltweiten Hype werden. Das gilt auch für Nahrungsmittel und Restaurants. So ­geschehen bei der fotogenen grünen Avocado, aber auch bei farbenfrohen Bowls mit verschiedenen Früchten oder dem Matcha Latte, der ebenfalls durch seine knallige Farbe überzeugt. Auf Tiktok läuft gut, was auf Videos gut aussieht: Etwa mit Käse gefüllte Teigtaschen, die sich videogen auseinanderbrechen lassen. Wer gesundes und nachhaltiges Essen pushen möchte, legt also Wert auf Ästhetik. Neben dem schön angerichteten farbenfrohen Gericht das Geschirr und den Hintergrund nicht vergessen!

Portionengrösse

Wer die Wahl hat, greift meist zur grossen Portion oder Packung. Dies unter anderem, weil sich eine grössere Portion aufgrund des Preis-Leistungs-Verhältnisses oft mehr lohnt. Menschen sind aber auch schlecht darin, Portionengrössen abzuschätzen. Es lohnt sich daher, kleinere Grössen anzubieten. Selbst wenn diese wenig bestellt werden, erscheint die neue mittlere Portion im Vergleich grösser und wird mehr bestellt. Die Gäste denken ausserdem in Zahlen, nicht in Portionengrössen. Drei kleine Brezeln scheinen bei gleichem Gewicht mehr zu sein als zwei grössere. Wer den Fokus nicht auf den Verkauf von möglichst vielen Kalorien legt, sondern von möglichst viel Genuss, verdient am Ende mehr.

Blick in die Zukunft

Auch dieses Jahr wurden an der International Food Innovation Conference verschiedene Inno-vationen im Lebensmittelbereich vorgestellt. Hier einige Beispiele.

Gesunde Convenience

Die israelische Firma Anina stellt gesunde Convenience-Mahlzeiten mit Gemüse her, welches aufgrund seiner Form ansonsten nicht verkauft worden wäre. Die Zutaten sind zu 100 Prozent natürlich und liefern neben weiteren wertvollen Nähr-stoffen viel Protein und Nahrungs-fasern. Der Clou: Die Verpackung ­besteht aus getrocknetem Gemüse und ist ebenfalls essbar.anina.com

Die Farm in der Küche

Die Firma Agwa bietet Schränke für die Küche an, in denen man seine eigenen Kräuter und Gemüsesorten anpflanzen kann. Dank künstlicher Intelligenz wachsen die Pflanzen unter idealen Bedingungen und können frisch geerntet direkt eingesetzt werden. Über eine App erhält der Anwender eine Aufforderung, wenn er beispielsweise Wasser ­nachfüllen muss oder wenn eine Pflanze bereit zur Ernte ist. agwafarm.com

Urbane Landwirtschaft

Acht von zehn Menschen nehmen zu wenige sekundäre Pflanzenstoffe zu sich. Das Unternehmen Green Onyx will mit seinen sterilen und modularen Zuchtreaktoren Abhilfe schaffen. Ein Modul produziert vier Tonnen Wasserlinsen pro Jahr, eine Pflanze mit hoher Nährstoffdichte, die mit wenig Energieaufwand gezüchtet werden kann – es handelt sich um die am schnellsten wachsende Blütenpflanze überhaupt.greenonyx.ag

Nachhaltige Food Hall

Ingka Centres gehört zu Ikea und baut Einkaufscenter, die ihren Fokus auf das Erlebnis legen. Die Vision: nachhaltige Food Halls, in denen es kein Fleisch und hauptsächlich pflanzenbasiertes Essen gibt – ohne dies explizit anzupreisen. Lokale Produzenten, kein Food Waste und kein Einwegplastik gehören selbstverständlich dazu.ingka.com

Preis

58 Prozent der Schweizer Konsumenten geben an, dass ihnen tiefere Preise helfen würden, sich gesund zu ernähren. Gerade in Zeiten der Inflation achten die Gäste noch mehr auf ihren Geldbeutel. «Unsere Produkte müssen günstiger als Fleisch sein», sagt beispielsweise Judith Wemmer von Planted Foods. «Ansonsten wird der Switch nie passieren.» Seit der Gründung des Unternehmens habe man die Produktionskosten bereits um 80 Prozent verringert. Neue Technologien und Verfahren kosten Geld – diese Kosten sinken aber, wenn sie sich erst einmal etabliert haben. Möglich wäre auch, das Fleisch­menü ­zugunsten des Vegi-Menüs etwas teurer zu ver­kaufen, so dass der Anreiz bei Letzterem grösser ist.

Künstliche Intelligenz

Generalisierte Ernährungsempfehlungen haben natürlich ihre Berechtigung. Gleichzeitig hat aber auch jeder Mensch individuelle Bedürfnisse – je nach Alter, Geschlecht, Tätigkeit etc. Künstliche Intelligenz kann hier persönliche Tipps geben. So weiss man beispielsweise, dass nach schlechtem Schlaf der Insulinspiegel beim Frühstück schneller in die Höhe schiesst. Künftig könnten am Arm getragene Tracker dies berücksichtigen und Tipps für ein angepasstes Frühstück geben. Je mehr Menschen ihre Gesundheitsdaten tracken, desto genauer werden die Vorhersagen und Tipps. Ein weiterer Vorteil: Eine Gamification wie etwa das Verdienen von Abzeichen etc. erhöht die Partizipation.

Spielerischer Umgang

Wer kennt das nicht: Kinder auf den Geschmack von Gemüse zu bringen, ist gar nicht so einfach. Die Künstlerin Marije Vogelzang plädiert für einen spielerischen Umgang mit dem Essen. So hat sie etwa für ein Projekt mit Kindern Ohrringe aus verschiedenem Gemüse hergestellt. Um die Ohrringe zu formen, durften diese nur ihren Mund benutzen. «Einige kamen auf den Geschmack – und am Ende wurden die meisten Ohrringe gegessen.» Spielerisch kann auch der Umgang mit Fleischalternativen sein. So hat Vogelzang ein Produkt lanciert, welches von dem Fantasietier Ponti stammt. Dessen Rauchgeschmack stammt daher, dass die Pontis in erloschenen Vulkanen leben und sich dort von Asche ernähren.


Mehr Informationen unter:

gdi.ch