Weniger ist mehr – das ist gemäss Teammanager Tobia Ciarulli das Motto der Schweizer Kochnationalmannschaften für den Culinary World Cup 2022 in Luxemburg.
In einem Jahr findet der Culinary World Cup in Luxemburg statt. Wie laufen die Vorbereitungen?
Das Jahr 2021 war intensiv, aber trotz der schwierigen Corona-Situation liefen die Vorbereitungen wie geplant. Wir haben versucht, an den Grundbestandteilen der Menüs sowie am Geschmack zu feilen. Nächstes Jahr geht es dann um die Verfeinerung der Gerichte.
Wie ist die Stimmung in den Teams?
Die Situation war und ist für alle nicht einfach. Zuerst der Lockdown, danach die Wiedereröffnung des Gastronomiesektors. Vielerorts herrscht Personalmangel, und es gibt ungeplante Ausfälle wegen des Virus. Die Teammitglieder sind an ihren Arbeitsplätzen zusätzlich gefordert und stossen manchmal auch an ihre Grenzen. Im letzten Testlauf waren die beiden Teams aber wieder fit und bereit, Vollgas zu geben.
Es gab in den vergangenen Monaten einige Wechsel in den Teams. Sorgt das für zusätzliche Unruhe?
Neue Mitglieder zu rekrutieren, die passende Zusammensetzung zu finden, sich im Team kennenzulernen und sich gleichzeitig auf die WM vorzubereiten – das ist ein anspruchsvoller und dauernder Lernprozess, der nicht immer einfach ist. Aber die Teams wurden durch die Aufnahme von Dalila Zambelli im Junioren-Team und Patrick Mumenthaler in der Kochnationalmannschaft sehr gut ergänzt.
Die Schweizer Menüs sind wie immer streng geheim. Können Sie uns dennoch etwas dazu verraten?
Ich kann verraten, dass unsere Philosophie nach wie vor darin besteht, nationalen Produkten den Vorzug zu geben. Wir lassen uns vom kulinarischen Erbe der Alpen inspirieren.
Als Teammanager konnten Sie mit den Teams viele Erfahrungen sammeln. Welches sind die wichtigsten Lektionen, die Sie mit den neuen Teams umsetzen?
Wenn ich mir die Menüs und Ergebnisse unserer grössten Konkurrenten anschaue, komme ich zum Schluss: Wir müssen einen Schritt zurücktreten. Damit meine ich, Gerichte mit weniger Komponenten zu präsentieren und den Schwerpunkt auf den Geschmack der Hauptkomponenten zu setzen statt darauf, möglichst viele Skills bei der Zubereitung zu zeigen. Das Niveau der Gerichte muss hoch sein, aber wir dürfen darüber nicht vergessen, dass weniger manchmal mehr ist.
Die Teams werden seit 2019 von Mentalcoach Andreas Fleischlin begleitet. Woran genau arbeitet er mit den Mitgliedern?
Die mentale Stärke ist ein wichtiger Aspekt bei der Wettbewerbsvorbereitung. Ziel des Mentaltrainings ist es, das eigene Potenzial zu erkennen und effizient zu nutzen. Zudem lernen die Teams Entspannungs- und Konzentrationstechniken. Diese mentale Stärke verbessert die Leistung an Wettbewerben. Gegenüber früher, als es noch kein Mentaltraining gab, konnten die einzelnen Mitglieder sowie das Team als Ganzes unglaubliche Fortschritte machen.
Die internationalen Wettbewerbe sind nicht nur für die Mannschaften nervenaufreibend, sondern auch für das Coaching-Team. Hand aufs Herz – zu wie viel Schlaf kommen Sie während der Wettbewerbe überhaupt?
Wettbewerbstage sind für alle sehr anstrengend. Während der Wettbewerbe erlebe ich in etwa die gleichen Emotionen wie die Teammitglieder, die in den Küchenboxen kochen. Ich bin voll konzentriert und verfolge jeden Arbeitsschritt. Die Tage vergehen so schnell, dass man nicht einmal Zeit hat, darüber nachzudenken, ob man müde ist oder nicht. Man bereitet sich immer bereits auf den nächsten Schritt vor. Teilweise schlafe ich nur zwei bis drei Stunden pro Nacht und nutze die Pausen, um mir im Transporter-Bus eine kurze Auszeit zu nehmen.
Wieso lohnt sich die Wettbewerbserfahrung trotz aller Strapazen?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Diejenigen, die Wettbewerbe lieben und das Wettkampf-Virus im Blut haben, verstehen das. Es sind die Leidenschaft für unseren Beruf, der Ehrgeiz, unsere Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und ein grosser Wille, die uns vorantreiben.
Welche Teams sind in Luxemburg die grösste Konkurrenz?
Die Skandinavier sind auf jeden Fall eine grosse Konkurrenz. Jedoch reisen alle Teams mit dem Ziel nach Luxemburg zu gewinnen. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass es immer überraschende Aussenseiter gibt wie beispielsweise das Junioren-Team aus Österreich an der WM 2018.
Seit Jahren dominieren die Skandinavier die internationalen Wettbewerbe. Was haben sie anderen Nationen voraus?
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Lanze für uns brechen. Die Skandinavier sind genau wie wir sehr gut vorbereitet. Doch seit einigen Jahren stellen wir fest, dass auch die Juroren im internationalen Umfeld mit dem Halo-Effekt zu kämpfen haben – also nicht immer ganz unvoreingenommen sind.
Kann die Schweiz die Skandinavier 2022 schlagen?
Ich glaube, wir sind nur noch wenige Zentimeter davon entfernt. Der Unterschied liegt nicht in den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, sondern in der Bereitchaft der Gruppe als Ganzes, diese wenigen Zentimeter gemeinsam zu gehen.
(Interview Angela Hüppi)