Die Pop-up-Idee «Dinner Time Stories» erzählt kulinarische Geschichten, die sich auf dem Teller abspielen. Visuelle Effekte verwandeln den gedeckten Tisch mal in einen Ozean, mal in eine Wüste.
Stellen Sie sich vor, ein Hummer wird direkt vor ihren Augen gefangen und auf Ihrem Teller zubereitet. Zuvor liefert sich der Chefkoch mit dem Krustentier einen Kampf, ehe er von einer Welle übermannt wird. Und im nächsten Augenblick wird Ihnen bereits ein Teller mit Hummer serviert. Der Kampf ist natürlich nicht real, sondern eine 3D-Beamer-Projektion. Und Sie sind nicht auf den Fischmärkten Frankreichs oder auf dem Meer, sondern in einem Restaurant – einem, das «Dinner Time Stories» erzählt. Während eines Sechs-Gang-Menüs begleitet man den «Petit Chef» aus Marseille, der auf Marco Polos Spuren kulinarisch die Welt entdeckt. Die fünf Zentimeter grosse Animationsfigur reist auf der Seidenstrasse ins arabische Reich, nach Indien und schliesslich über den Himalaya nach China. Begleitet wird das Erlebnis von visuellen Effekten, die auf den Tisch projiziert werden. Er wird zu einer Landkarte, zu einer Welt voller landestypischer Impressionen und zu einer Bühne für kulinarische Abenteuer.
Hinter der Idee steckt die Gastronomin Nadine Beshir, die ein besonderes Erlebnis erschaffen wollte. «Bei Dinner Shows dreht es sich oft um die Show und weniger um das Essen. Ich wollte hingegen ein Spektakel erschaffen, bei dem die Kulinarik nicht untergeht», erzählt die Araberin, als wir sie beim jährlichen «Food Service Summit» in Zürich treffen. Vor einem Jahr organisierte sie erstmals ein Dinnerspektakel in Dubai. Mittlerweile reist sie mit dem «Petit Chef» rund um die Welt: nach China, Russland, Japan, Korea, Frankreich, Spanien, Belgien und Italien. Im November feiert der Dinner Event in Berlin sein Debut. «In der Gastronomie muss man einzigartig sein. Es gibt unterschiedliche Konzepte, die Produkte werden besser, die Köche auch. Da muss man herausstechen. Ich wollte nicht mit dem aktuellen Markt konkurrieren. Also erschuf ich etwas, das es noch nicht gab», erzählt Beshir. Sie liess sich vom Cirque du Soleil inspirieren, dachte jedoch gleichzeitig an Business und Vermarktung: «Das Erlebnis muss ein gutes Motiv für Social Media sein. Es muss so beeindrucken, dass Besucher nicht widerstehen können und die Eindrücke sofort auf Facebook und Instagram teilen.» Die Gäste sorgen dafür, dass das Produkt vermarktet wird, und auch sonst basiert in Nadine Beshirs Konzept viel auf «Sharing Economy».
Die «Dinner Time Story» kommt und geht, als Pop-up-Restaurant mietet sich Nadine Beshir bei Hotels, Restaurants und Tagungszentren ein. Vier Monate bleibt sie meist an einem Ort – genug Zeit, damit sich das Event herumspricht. «Wenn ich einen Betrieb führe, möchte ich nicht viel investieren. Deshalb erarbeiteten wir das Konzept so, dass es ganz einfach in den bestehenden Restaurantalltag integriert werden kann», erzählt Beshir. Zwar habe sie eigene Köche, die der Küchenmannschaft vor Ort assistieren können, jedoch nicht müssen.
Der Betrieb kann eigene Köche und Servicemitarbeitende stellen. «Wir haben eine Menüfolge und würden alle Zutaten, Dekoartikel und Requisiten liefern. Ein Betrieb könnte jedoch auch eigene Menüs servieren. Man muss nicht alles von uns nutzen. Nur die Technologie zu verwenden, ist auch möglich», sagt Beshir.
Die Reise des «Petit Chefs» bringt Leben auf den Tisch. Mal fliegt man über die Wüste, mal erstreckt sich auf der Tafel eine Berglandschaft. Hinter den Visualisierungen stecken die Belgier Filip Sterckx und Antoon Verbeeck mit ihrer Firma «Skullmapping». Sie erarbeiteten die visuelle Reise, die perfekt mit der Menüfolge interagiert. Projiziert werden die Bilder mithilfe eines Beamers, der an der Decke befestigt ist. Je nach Grösse des Raumes und der Personenzahl werden mehrere Beamer angebracht. Die Geschichte ist jedoch nicht rein visuell, auch Geräusche werden während der Präsentation eingespielt. Und sogar Raucheffekte und Geruchswolken sind Bestandteil. Ist eine Animation beendet, bringt man den jeweiligen Gang an den Tisch. Und die Gänge erstrecken sich über den gesamten Kontinent.
Die Reise des kleinen Küchenchefs beginnt in Marseille der 1920er-Jahre. Nach dem gescheiterten Versuch mit einem eigenen Restaurant begibt er sich auf das kulinarische Abenteuer. Als ersten Gang serviert man passend zur Geschichte Foie gras mit einem Zwiebelchutney und Brioche. Um der Erzählung zusätzlichen Ausdruck zu verleihen, wird das Gericht in einem kleinen Koffer serviert. Der «Petit Chef» packt seine Sachen und bricht in Richtung arabisches Reich auf. Dort entdeckt er orientalische Gewürze, Kichererbsen und Feigen. Das Gericht dazu wird in einer Box gereicht, die es erst noch zu öffnen gilt. «Wir wollen den Entdeckergeist der Gäste wecken. Das Öffnen der Box ist eine kleine Schatzsuche im Ali-Baba-Stil», erzählt Beshir. Der Schatz kommt in Form von Hummus, gefüllten Weinblättern und Fattoush-Salat daher. Dekoriert wird der Tisch neben orientalischen Ornamenten auch mit Shishas.
Weiter geht die Reise nach Indien. Die Hauptfigur besucht das bunte Holi-Festival und entdeckt die Vielfalt der Gewürze in diesem Land. Kulinarisch wird erneut eine verschlossene Box gereicht, dazu unterschiedliche Gewürzsäckchen, die die Sinne der Gäste anregen sollen. Typisch indisch verköstigt man Dal – einen Linseneintopf mit Kokos und Kurkuma.
Die nächste Animation begleitet den Küchenchef in eisige Höhen hoch über den Himalaya auf dem Weg der Seidenstrasse. Den Gästen wird parallel ein Sorbet gereicht, um das Ambiente zu verdeutlichen. Servicemitarbeitende reichern das Gefäss mit Flüssigstickstoff an, der sich entfaltet, sobald man es öffnet. So erhält man eine Vision vom kalten Nebel hoch in den Bergen. Auf der nächsten Station geht es hinab nach China. Drachenfiguren fliegen an den Gästen vorbei, es ertönen asiatische Klänge. In Tongefässen wird der nächste Gang gereicht: Man hat die Auswahl zwischen einem vegetarischen Gericht oder einer Speise mit Fleisch oder Fisch. Frittierter Tofu mit Reis, Poulet mit schwarzen Bohnen oder rotes Curry mit Shrimps stehen zur Auswahl. Zum süssen Abschluss wagt sich der «Petit Chef» an einen karamellisierten Reispudding. Auf den Tellern der Gäste rührt er visuell die Milch an, stampft auf den Kardamom-Samen herum und streut Zucker hinein. Gleich nachdem er die Kruste in Flammen setzt, serviert der Servicemitarbeitende das fertige Dessert.
Alternativ zu dieser Menüfolge können auch jegliche andere Variationen gereicht werden. In gleichem Stil servierte die kleine Figur statt der Foie gras eine Bouillabaisse. Der Tisch wurde zum Meeresgrund, auf dem er nach Fischen und Muscheln suchte.
Als Dessert existiert die Idee, die Tafel in eine Schneelandschaft zu verwandeln. Als würde der kleine Mann einen Schneemann bauen wollen, rollt er Kugeln, die als Glacekugeln auf den Tellern der Gäste landen.
«Der Hauptfokus kann durchaus auch auf französischer Küche liegen, die mit ausländischen Spezialitäten verfeinert wird. Jedes Restaurant kann ganz frei entscheiden», erzählt Nadine Beshir. Doch egal ob man sich für die traditionelle Küche entscheidet oder ein eigenes Menü kreiert – die Geschichte des daumengrossen Chefkochs wird den Gästen in jedem Fall in Erinnerung bleiben.
(Anna Shemyakova)