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Welterbestätten in Zeiten des Overtourism

Am zweiten Juni-Wochenende öffnen die Schweizer Unesco-Welterbestätten ihre Türen. Was bringt ihnen das Unesco-Label, und womit locken sie am Wochenende Besucher an?

  • Die 30 Kilometer langen Weinbergterrassen oberhalb des Genfersees erstrecken sich vom Schloss Chillon bis zu den östlichen Vororten von Lausanne.
  • Der Stiftsbezirk St. Gallen steht mit der Stiftsbibliothek und seinen Archiven auf der Welterbeliste. (Roland Gerth)

Die Weinbergterrassen des Lavaux tragen seit 2007 das Unesco-Label, die Burgen von Bellinzona seit 2000 und die Uhrenstädte La Chaux-de-Fonds und Le Locle als Zeugen der Industriegeschichte seit 2009. Diese drei Beispiele zeigen, wie vielseitig die Stätten sind, die das Unesco-Siegel tragen.

Im Sinne der im Jahr 1972 von der Schweiz ratifizierten Welterbekonvention hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, Weltkulturerbestätten der Menschheit zu sichern. Dabei geht es um den integralen Schutz und die nachhaltige Nutzung dieser Welterbestätten. Mit den Unesco-Welterbetage von Samstag, 8., bis Sonntag, 9. Juni, machen die zwölf Schweizer Destinationen, die das Label tragen, mit verschiedenen Veranstaltungen auf sich aufmerksam.

Warum das Label wichtig ist

«Die Aufnahme in die Welterbeliste hilft im hart umkämpften Tourismusmarkt, sich als Kulturobjekt abzuheben», sagt Simon Rageth von der Unternehmenskommunikation der Rhätischen Bahn AG (RhB). Das Label sei international anerkannt und habe eine grosse Ausstrahlungskraft. «Es gibt Gäste – insbesondere aus dem asiatischen Raum –, welche ihre Tour durch Europa entlang der Unesco-Welterbestätten planen», weiss Rageth. Zwar wurden bisher keine für die Welterbestätte RhB-spezifischen Wertschöpfungsstudien erstellt. Doch eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2018 habe ergeben, dass das Welterbe als Reisemotiv angesehen wird.

Um das Label behalten zu können, ist jede Weltkulturstätte dazu verpflichtet, in einem Managementplan den Erhalt und die Weiterentwicklung der schützenswerten Orte zu regeln. Auch die RhB erstellt diesen Plan, der periodisch überprüft wird. «Bund, Kanton und die RhB definieren darin die Handlungsfelder und die Aktionspläne, die nötig sind, um diese Ziele in puncto Erhaltung, Vermittlung und Inwertsetzung zu erreichen», sagt Simon Rageth. 

Ob das Unesco-Welterbe RhB schon mal von Overtourism betroffen war, lässt sich gemäss Rageth nicht eindeutig beantworten. Zwar sei es schon vorgekommen, dass in einem Zug mehr Gäste als Sitzplätze vorhanden waren. Es komme aber auch immer wieder vor, dass «zu wenige Touristen» an Bord seien. «Auch dies müssen wir verhindern», hält Rageth fest. Denn das Welterbe kann auch dazu beitragen, der Bevölkerung eine Existenz zu sichern und 
die Abwanderung zu verhindern. Eine wichtige Aufgabe sei es, für eine nachhaltige Weiterentwicklung zu sorgen.

Internationale Pfahlbauten

Auf der Welterbeliste sind 111 Pfahlbau-Fundstellen aus der Schweiz, Österreich, Deutschland, Frankreich, Slowenien und Italien verzeichnet. Die sich über sechs Alpenländer erstreckenden Fundorte sind die Überreste prähistorischer Siedlungen. Mehr als die Hälfte der Schweizer Stätten liegen an See- und Flussufern oder in Feuchtgebieten. 

Andreas Hostettler, Regierungsrat des Kantons Zug, ist auf die prähistorischen Pfahlbauten in seinem Kanton stolz und dass die Fundstellen seit 2011 auf der Welterbeliste stehen. «Das Label bringt Anerkennung und Sensibilisierung für ein einzigartiges Kulturerbe.» Das Label sei eine Würdigung der Sorgfalt, mit der die kantonalen Behörden und der Archäologische Verein Zug das Erbe der Vergangenheit pflegen. Dass die Pfahlbauten das Label tragen dürfen, verdanken sie auch der archäologischen Forschung, die seit 1859 betrieben wird. Sie hat bis heute Reste von insgesamt über 50 Pfahlbausiedlungen zutage gefördert. 

Die Wertschöpfung sei zwar bescheiden, doch dank des Labels würden viele Museumsbesuche generiert, so Hostettler. Die Pfahlbauten haben denselben Stellenwert wie die Pyramiden in Ägypten und die Chinesische Mauer, aber von einem nicht mehr zu bewältigenden Ansturm seien die Fundorte verschont. Ähnlich ergeht es dem Stiftsbezirk St. Gallen, welcher einst das bedeutendste geistige Zentrum des europäischen Abendlandes war und seit 1983 das Unesco-Label trägt. Der bauliche Reichtum mit der barocken Kathedrale und der Bestand von original erhaltenen Handschriften machen den Stiftsbezirk zum Ort der kulturellen Überlieferung. Aber bezüglich Gästeaufkommen habe St. Gallen noch Luft nach oben, so Tobias Treichler, Vizedirektor und Leiter Marketing und Kommunikation von St. Gallen-Bodensee Tourismus. «Wir erhoffen uns durch die positive Bekanntheit des Labels steigende Gästezahlen.»  

Wo die Berge Kopf stehen

Die Tektonikarena Sardona ist eine von nur 200 Unesco-Weltnaturerbestätten und geologisch gesehen eine der spannendsten. Entlang der weit herum sichtbaren Linie der Glarner Hauptüberschiebung, auch «magische Linie» genannt, schoben sich vor 10 bis 20 Millionen Jahren ältere auf viel jüngere Gesteinsschichten. Das Gebiet ist Zeuge für die Gebirgsbildungsprozesse und die Plattentektonik. Die weltweit höchste Auszeichnung für ein Naturgut bringt die Tektonikarena Sardona in die gleiche Liga wie den Grand Canyon in den USA, die Galapagos- Inseln in Ecuador oder das Great Barrier Reef in Australien. 

«Das Unesco-Label bringt uns eine höhere Beachtung der Region und vermittelt ein positives Image», so Harry Keel, Geschäftsführer der IG Unesco-Welterbe Tektonikarena Sardona. Er beziffert die Wertschöpfung durch das Siegel mit rund 15 Millionen Franken pro Jahr. Das sei ein Vielfaches mehr, als für das Welterbe eingesetzt wird. 

Im Gegenzug verpflichtet sich die IG Tektonikarena Sardona, die einzigartigen Werte rund um die Gebirgsbildung für die kommenden Generationen zu erhalten. Dabei müssen die Integrität, also die Vollständigkeit und Intaktheit gewährleistet sein. Vom Overtourism ist seine Welterbestätte weit entfernt. «In unserer Region haben die Touristiker erst begonnen, die Chancen ihrer Welterbestätte zu erkennen», hält Keel fest. Und dennoch sei eine der Herausforderungen, mit einem guten Besuchermanagement die Besucherströme zu lenken, um keine Schäden anzurichten. 
 

«Das Label ist gerade in Zeiten des Overtourism wichtig.»


Eine andere, weit bekanntere Naturlandschaft ist das Unesco-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau–Aletsch. «Die Auszeichnung Unesco-Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau–Aletsch mit dem Grossen Aletschgletscher bringt uns grosse Bekanntheit. Auch im Sinn von: ‹Unesco-Welterbe auf der Bucket List – einmal im Leben muss man den Aletschgletscher gesehen haben›», sagt Monika König-Gottsponer, Leiterin Marketing und Kommunikation der Aletsch Arena AG. Die Aletsch- Arena positioniert sich als «befreiendstes Naturerlebnis der Alpen», und das Label stütze diese Markenpositionierung. Eine direkte Wertschöpfung sei zwar nicht messbar, doch man könne von einer indirekten Wertschöpfung sprechen, so König-Gottsponer. 

Die Auszeichnung als Unesco-Welterbe fordert nicht nur die Erhaltung des Welterbe-Gebietes im engeren Sinn, sondern verpflichtet auch zu einer nachhaltigen Entwicklung in der alle Standortgemeinden umfassenden Region. Ein Label macht in ihren Augen auch zukünftig Sinn. «Es trägt nicht nur zur Bekanntheit und Attraktivität bei, sondern verpflichtet auch zu einer nachhaltigen Entwicklung.»

Label und Overtourism 

Dem kann auch Kaspar Schürch, Geschäftsleiter der World Heritage Experience Switzerland mit Sitz in Bern, beipflichten: «Das Unesco-Label wird nicht verliehen, um die touristische Nachfrage zu steigern. Vielmehr regelt es den Umgang mit den einzigartigen Objekten.» Selbstverständlich ziehen heute viele der mit dem Label ausgezeichneten Orte eine grosse Zahl an Gästen an. Einige der Orte weltweit seien dann auch stark mit Problemen von Overtourism konfrontiert. Genau hier können aber klare Vorgaben zum Schutz und Erhalt helfen, die Besucherströme zu lenken, hält Schürch fest. «Das Label ist somit gerade in Zeiten des Overtourism wichtig und kann helfen, die negativen Einflüsse des Overtourism zu minimieren.»

(Ruth Marending)


Warum die Idee entstand

Der Begriff «kulturelles Erbe» (héritage) geht auf den französischen Bischof Henri-Baptiste Grégoire zurück. Den Anstoss zur Schaffung der Welterbe-
konvention gab der Aufruf der Unesco von 1960, die durch den Bau des Assuan-Staudammes vom Nil bedrohten Denkmale in Nubien für die Nachwelt zu retten. Seither werden Stätten in die Welterbeliste aufgenommen, die eine herausragende universelle Bedeutung aus historischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen haben.