Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Bis nichts mehr ging

Der Erfolg zwang Werner Tobler in die Knie. Heute lässt es der Luzerner Spitzenkoch ruhiger angehen.

  • Die Küche bezeichnet Werner Tobler auch als sein Wohnzimmer. Immerhin verbringt er darin bis zu 16 Stunden am Tag. (Bilder Sylvan Müller)
  • Werner Tobler hat nie Nein gesagt – bis sein Körper das für ihn tat.

Plötzlich war alles zu viel. Nach zehn äusserst erfolgreichen Jahren als Küchenchef und Patron im Restau-
rant Braui in Hochdorf LU konnte Werner Tobler nicht mehr. «Wahrscheinlich ein Burnout», sagt er heute, vier Jahre später. So genau weiss er es nicht. Nur, dass nichts mehr ging.

Dabei hat Werner Tobler seinen Job immer geliebt. Schon als Kind half er gerne in der Küche der Mutter mit. «Vielleicht habe ich die Liebe zum Kochen in den Genen. Wir wurden zu Hause jedenfalls immer überdurchschnittlich gut bekocht.» Zur Arbeit gehen müssen? Das kannte er nie: «Ich wollte immer kochen, das ist meine Leidenschaft. Wenn ich nicht in der Küche stehen kann, geht es mir schlecht.» Auf seinen Werdegang angesprochen, will der 55-Jährige nicht viele Worte verlieren. Unter anderem hat er bei Felix Hubli in Davos und bei Köbi Nett in St. Gallen gearbeitet, bevor er sich als Privatkoch mit einem Catering-Unternehmen selbstständig machte. Tobler winkt ab. «Namen sind gar nicht wichtig», sagt er. Wichtig sei nur, was er dort gelernt habe. Und was er nicht gelernt habe: «Ich weiss jetzt auch, wie man es nicht machen sollte.» Pedantisch sei er, «huere gnau», sagt er von sich selbst. Und vielleicht nicht immer der angenehmste Chef, gibt er zu. Aber kein Schleifer – das hat er selbst schon erlebt. Das waren die wenigen Tage in seiner Karriere, die ihm keinen Spass machten.

«Ich habe nie Nein gesagt»

Das Braui-Team jedenfalls führte Tobler äusserst erfolgreich. Als er das Restaurant 2004 gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Uschi Frapolli übernahm, lief es mehr schlecht als recht. Tobler wurde von der Gemeinde als Berater hinzugezogen, um das Geschäft wieder anzukurbeln. Er fackelte nicht lange und sprach Klartext mit den Gemeinderäten: «Ich kann euch zehn Konzepte liefern – aber umsetzen kann nur ich sie.» Gesagt, getan. Tobler und Frapolli bewarben sich und erhielten den Zuschlag. Freunde halfen, das Projekt zu finanzieren. Die Qualität stimmte, die Gästezahl wuchs. Werner Toblers Küche wurde mit 15 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet, und Feinschmecker kamen von weither, um bei ihm zu essen. Mittags standen die Menschen Schlange, um einen der 80 Plätze im Restaurant zu ergattern.

Mit dem Erfolg wuchs der Druck: «Ich habe nie Nein gesagt.» Die «Braui» war praktisch immer voll, daneben war Tobler auch im Catering tätig und beriet andere Gastrobetriebe. «Ich habe nur noch gearbeitet. Und getrunken.» Das ging lange gut. Bis der Körper tat, was Werner Tobler nicht konnte: Er sagte Nein. Tobler erlitt einen Darmverschluss.

Dass er spätestens jetzt eine Pause gebraucht hätte, wollte er nicht einsehen. Auf der Intensivstation träumte er vom Spargelschälen. «In meinem Kopf ging es immer weiter.» Zu früh stieg er wieder ins Geschäft ein, übernahm sich, bekam Hernien im Bauch. Sein Körper zeigte ihm seine Grenzen auf: Von einem Tag auf den anderen konnte er nicht mehr arbeiten, fiel fast ein Jahr lang aus. Es folgte die schlimmste Zeit in Werner Toblers Karriere. Ohne ihn funktionierte die «Braui» nicht mehr. Nach einem Jahr musste er Konkurs anmelden. Dass er nicht früher die Reissleine zog, bedauert er heute: «Da arbeitest du zehn Jahre lang so hart, und am Ende bleibt dir nichts.» Nach dem Konkurs lebten Tobler und seine Lebensgefährtin vom Ersparten. Eine Psychologin sollte ihm wieder auf die Beine helfen. «Sie riet mir, den Job zu wechseln. Und Bilder zu malen, um das Erlebte zu verarbeiten.» Nichts für Werner Tobler. Für ihn war klar: Er wollte, nein musste, so schnell wie möglich wieder in einer Küche stehen.

Nach zwei Jahren Zwangspause hatte er wieder Kraft für etwas Neues. Im Dorfzentrum von Hildisrieden LU stiess er auf ein Café und Bistro, das nicht recht laufen wollte. Tobler sah Potenzial. Nach einem halbstündigen Gespräch mit dem Besitzer war klar: Hier wollten Werner Tobler und Uschi Frapolli den Neustart wagen. Die Finanzierung gelang erneut dank der Unterstützung von Bekannten. «Bacchus» heisst das Restaurant, nach dem griechischen Gott des Weines und des Rausches. Genussmanufaktur nennt Tobler es denn auch, nicht Restaurant. Genuss ist das Schlüsselwort – Tobler will sich nicht wieder übernehmen. Klein und fein soll das «Bacchus» sein. Und bleiben. Mit möglichst wenig Personal will er hier einen möglichst guten Job machen. Im ersten Jahr macht er nicht einmal Werbung für seine neue Wirkungsstätte. Er geht es langsam an, lässt sich und seinem Körper Zeit.

Einen Salat zum Teilen? Gibt’s nicht!

Heute, zwei Jahre später, ist Werner Tobler wieder glücklich und fit. Das «Bacchus» läuft gut, und auch der integrierte kleine Feinkost-Laden kommt im Dorf gut an. Hier werden Spezialitäten wie Käse, Fleisch, Gewürze oder Wein verkauft. Daneben gibt Tobler Kochkurse, ist als Berater tätig und arbeitet an seinem nächsten Kochbuch. Läuft er ins nächste Burnout rein? «Ich muss schon aufpassen», gibt er zu. Damit ihm nicht alles wieder zu viel wird, gibt es im «Bacchus» eine Vier-Tage-Woche. Am Mittwoch bereitet er alles vor, donnerstags bis sonntags ist das Restaurant geöffnet. Montag und Dienstag hat er frei. Meistens. Das Angebot im «Bacchus» ist klein, sodass Werner Tobler in der Küche alles selber machen kann. Mittags gibt es ein «Menu plaisir» – «Business Lunch klingt doch furchtbar» –, abends ein Menü mit zwei Vorspeisen zur Auswahl. Am Sonntag können die Gäste dem Küchenchef eine «Carte blanche» erteilen. «Das ist eigentlich am besten. Wenn man mich einfach machen lässt, worauf ich gerade Lust habe.»

Tobler versucht, sich nicht mehr so viel Druck zu machen. «Unser Essen ist nicht das Günstigste. Dafür biete ich Qualität und bin nicht darauf angewiesen, jeden Tag volles Haus zu haben.» Qualität fängt für ihn schon bei Brot und Butter an. Knusprig muss es sein, schön serviert. «Manche Gastronomen haben das Gefühl, sie müssten am Brot sparen, damit die Gäste sich nicht daran satt essen und dann weniger bestellen. Das ist doch idiotisch», sagt er und fügt hinzu: «Das darfst du ruhig schreiben!» Bei ihm werden die Gäste verwöhnt. Dass vor dem Menü ein Amuse-Bouche auf den Tisch kommt, ist selbstverständlich.

Werner Tobler ist durch und durch Genussmensch. Und Genussmenschen will er auch in seinem Restaurant haben. Darum tischt er ihnen auf, was er selbst gerne essen möchte. Und wenn zwei Gäste einen Salat und einen Hauptgang zum Teilen bestellen, kann er nicht aufs Maul sitzen. «So etwas geht einfach nicht. Wer zu mir kommt, soll es sich gutgehen lassen. Das kostet halt auch etwas.»

Heute gibt es auch ein Leben ausserhalb der Küche

Werner Tobler hat sich aufgerappelt. Es geht ihm wieder gut, er steht in der Küche und ist glücklich. Aber die Warnung seines Körpers vergisst er nicht. Er versucht, alles etwas lockerer zu nehmen. Auch mal etwas liegen zu lassen – obwohl ihm das schwerfällt. Er versucht, das Leben nicht nur in der Küche, sondern auch ausserhalb zu geniessen. Er verbringt mehr Zeit mit seiner vier Jahre alten Enkeltochter und seinem Hund, hört Jazz, geht raus in die Natur. Am meisten Zeit verbringt er aber immer noch in der Küche. Und das ist gut so. Tobler liebt es, Menschen zu verwöhnen und glücklich zu machen. «Kochen ist letztlich ein brotloser Job. Aber der schönste der Welt!»

(Angela Hüppi)