Hart, aber fair haben die Hotel & Gastro Union und der Schweizerische Bäcker-Confiseurmeister-Verband den neuen Gesamtarbeitsvertrag ausgehandelt. Am runden Tisch sind sich die Präsidenten und Geschäftsführer einig: Alle gewinnen.
Der neue Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Bäcker-Confiseur-Branche ist unter Dach und Fach. Dieser wurde im Rahmen eines Round-Table-Gesprächs an der Fachschule Richemont in Luzern gemeinsam von den Verhandlungspartnern Urs Wellauer, Direktor des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbands (SBC), Silvan Hotz, SBC-Präsident, Markus Eugster, Präsident des Schweizer Bäckerei- und Konditorei-Personal-Verbands sbkpv, und David Affentranger, Geschäftsführer sbkpv, präsentiert.
Hotellerie Gastronomie Zeitung: Was bedeutet der neue GAV für die Bäckerbranche?
Markus Eugster: Für mich ist die Neuauflage des GAV ein Meilenstein. Was besonders schön ist: Die Bäcker-Confiseure sind wieder die eigenen Herren im Haus.
Markus Eugster, was wollen Sie mit «eigenen Herren im Haus» sagen?
Eugster: In der Bäcker-Confi-seur-Branche gilt dann nur noch der neue Bäcker-GAV.
Zurück zur Bedeutung des GAV für die Bäckerbranche …
Urs Wellauer: Wir konnten eine massgeschneiderte Lösung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erarbeiten. Der GAV ermöglicht uns eine gemeinsame, tragbare Zukunft.
Silvan Hotz: Er bedeutet eine Stärkung für die gesamte Bäcker-Confiseur-Branche, die sich so im Markt behaupten kann. Das ist sehr wichtig.
David Affentranger: Ich schliesse mich an. Strukturell ist der GAV ein Riesenschritt in die richtige Richtung. So können wir als Bäcker und Confiseure auch in Zukunft selber bestimmen.
Hotz: Wir waren uns nicht immer so einig … (alle lachen).
Affentranger: Das ist richtig. Doch trotzdem funktionierte es.
Silvan Hotz, sind Sie sich jetzt einig?
Hotz: Ja. Es war ein Geben und Nehmen.
Affentranger: Wenn man miteinander verhandelt, schliesst man erst dann ab, wenn es beiden Parteien passt.
Die Sozialpartner ersuchen um eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für den neuen GAV beim Bundesrat. Was bedeutet das?
Hotz: Alle Betriebe unserer Branche haben nun die gleichen Bedingungen und müssen diese auch umsetzen. Mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung müssen sich diese künftig auch an den Kosten der Aus- und Weiterbildung beteiligen, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch die bisherigen Trittbrettfahrer, wollen gute Fachkräfte haben.
Affentranger: In einem Betrieb muss jetzt nicht mehr nach zwei Systemen abgerechnet werden. Dies wird der erste Bäcker-Confiseur-GAV, der gleichwertig mit dem L-GAV des Gastgewerbes ist.
Wellauer: Genau. Es ist so, dass wir zwischen dem Bäcker-GAV und dem L-GAV des Gastgewerbes Schnittstellen optimieren konnten. Für den Arbeitnehmer spielt es keine Rolle, welchem GAV er unterstellt ist. Dem Arbeitgeber bringt dies jedoch eine administrative Vereinfachung.
Viele Bäckereien-Confiserien führen Cafés oder Restaurants. Bei mehr als 50 Sitzplätzen galt bisher für den Gastroteil der L-GAV des Gastgewerbes. Der Bäcker-Confiseur-GAV ist neu dem Gastro-GAV angeglichen worden. Bietet dieser noch weitere Vorteile?
Affentranger: Nebst der einfacheren Administration vereinfacht er auch das Miteinander. Fragen wie «Weshalb hast du das und ich nicht?» entfallen nun.
Wellauer: Das Betriebsklima ist ein wichtiger Punkt. Obwohl mit den bestehenden GAVs Rechtssicherheit bestand, kam es trotzdem vor, dass der eine oder die andere Arbeitnehmende das Gefühl hatte, bevorteilt oder benachteiligt zu sein. Für den Arbeitgeber war diese Situation nicht immer einfach. Die neue Unterstellung der ungelernten Mitarbeitenden unter den GAV bedeutet für die Arbeitgeber weitere Aufgaben.
Weshalb eine weitere Aufgabenstellung?
Hotz: Mit Mindestlöhnen und der fünften Ferienwoche haben Arbeitgeber erhebliche Mehrkosten zu tragen. Trotzdem ist es wichtig, dass alle Mitarbeitenden gleich behandelt werden. Das bringt Sicherheit und Ruhe in die Betriebe.
Der neue GAV beinhaltet für den Arbeitgeber finanzielle Herausforderungen. Wird das Brot nun teurer?
Hotz: Selbstverständlich!
Wellauer: Jetzt können wir endlich die Preise erhöhen … (lacht). Nein, das ist natürlich extrem schwierig. Der Druck gegen eine Preiserhöhung ist hoch. Da spielen Discounter und Grossverteiler eine grosse Rolle. Zurzeit werben diese vor allem intensiv mit frischem Brot. Dieses Lockvogel-Marketing spüren viele Betriebe. Doch wir empfehlen unseren Mitgliedern, auf der Preisspirale nach unten nicht mitzumachen.
Hotz: Rund 50 Prozent der Kosten in einem Betrieb sind Mitarbeiterkosten. Die Preiskalkulation ist Sache eines jeden Mitglieds. Es kann sein, dass ein Betrieb Preiserhöhungen gegenüber den Kunden begründen muss. Ich denke, wenn wir den Kunden Qualität anbieten und unsere Berufe positiv hervorheben, akzeptieren diese auch geringe Preiserhöhungen. So gesehen kann eine Preiserhöhung sogar imagefördernd eingesetzt werden.
Affentranger: Ein Ziel ist es, Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglichst lange in der Branche zu halten.
Wie viele Betriebe sind von den Bestimmungen im neuen GAV betroffen?
Wellauer: Es sind sicher alle Betriebe betroffen. Ganz genau können wir das nicht sagen. Im Gegensatz zur Gastronomie gibt es in der Bäcker-Confiseur-Branche keine Erhebung der Betriebsstrukturen. Eine Hochrechnung können wir vom Branchenspiegel ableiten. So wissen wir, dass rund 20 Prozent unserer 1485 Betriebe gastronomische Leistungen erbringen. Die Tendenz, das sehen wir auch, ist steigend.
Hotz: Die Tendenz ist schon zunehmend, aber eher im kleinen Rahmen. Es hat ja nicht jede Bäckerei-Confiserie ein Kaffee mit 50 Sitzplätzen und mehr.
Affentranger: Es ist schade, dass wir es als Branche nicht schaffen, vom Bundesamt für Statistik detailliert erfasst zu werden.
Wir haben über Kosten gesprochen. Markus Eugster, was konkret bringt der neue GAV den Mitarbeitenden?
Eugster: Der neue Bäcker-Confiseur-GAV schafft Sicherheit. Er bietet zahlreiche Verbesserungen. Vor allem ungelernte Arbeitskräfte werden bessergestellt. Für sie gelten Mindestlöhne von 3435 Franken. Wie die Gelernten bereits mit dem GAV 2015 fünf Wochen Ferien haben, erhalten dies mit dem GAV 2019 auch Ungelernte. Alle haben nach einer maximalen Probezeit von drei Monaten Anrecht auf den 13. Monatslohn. Im Krankheitsfall erhalten Arbeitnehmer während der Karenzfrist von 30 bis 60 Tagen 88 Prozent ihres Lohnes. Das sind einige positive Verbesserungen. Zudem wurde das Abrechnungssystem bei der Nachtarbeit geändert.
Wellauer: Die Diskussion über die Nachtarbeit war einer der grossen Knackpunkte in den Verhandlungen.Sie sprechen Knackpunkte an. Worüber wurde am längsten debattiert?Hotz: Die schweren Brocken, bei denen die grössten Kosten auf uns Bäckermeister zukommen, sind die Mindestlöhne für ungelernte Mitarbeiter, die 88 Prozent Lohnfortzahlung während der Karenzfrist, der Zeit, bevor die Krankentaggeldversicherung bezahlt, sowie der 13. Monatslohn ab dem dritten Monat.
Affentranger: Und die Regelung der Nachtarbeit.
Wellauer: Ja, die Nacharbeit war eine Herausforderung. Einerseits, weil sie monetäre Auswirkungen hat. Auch die Löhne waren nicht ganze einfach zu verkaufen. Deshalb werden wir erst ab 2020 mit einem Prozent Lohnanpassung kommen und nicht schon auf 2019, weil wir gespürt haben, dass wir das Fuder überladen. Da sind wir froh, dass die Sozialpartner eingesehen haben, dass das gesamte Vertragswerk nicht an diesen Punkten scheitern darf.
Affentranger: Jede erzielte Verbesserung kostet die Arbeitgeber Geld. Doch strukturell ist der GAV eine grosse Geschichte. Schliesslich wissen wir alle, dass wir keine überbezahlte Branche sind. Ich glaube, dass die Arbeitgeber ein paar Franken mehr bezahlen würden. Wir wissen aber auch, dass die Situation am Markt nicht einfach ist.
Welches waren die grössten Diskussionspunkte für die Arbeitnehmenden?
Affentranger: Das Strukturelle und dass wir die Abgeltung der Nachtarbeitszeit beibehalten konnten. Die Nachtarbeitszeit wurde zwar um eine Stunde reduziert. Unter dem Strich gehen wir mit mehreren Rechnungsmodellen davon aus, dass Mitarbeiter heute genau gleichviel verdienen. Das immer unter dem Gesichtspunkt der Besitzstandswahrung. Unseren Leuten erklären, dass eine Stunde weniger bezahlt ist, dies sich aber auf das ganze Jahr ausgleicht, ist nicht einfach zu verkaufen.
Eugster: Da stimme ich zu. Für viele Mitarbeiter sind die 25 Prozent Zuschlag auf Nachtarbeit zwischen 22 und 4 Uhr respek- tive 9 bis 3 Uhr, ein rechter Lohnbestandteil. Wenn der ganz wegfallen würde, wäre das ein Problem und die Delegierten hätten dem GAV nicht zugestimmt.
Wie ist die Abstimmung über den GAV im Lager der Arbeitgeber ausgegangen?
Wellauer: Mehr oder weniger einstimmig … (lacht).
Affentranger: Ich schätze sehr, dass Sie zu Hause so gut erklärt haben. Es hat zwar «Ghäscheret», doch am Schluss wurde am gleichen Strick gezogen. Dafür danke ich vielmals.
War die Abstimmung auch bei den Arbeitnehmenden einstimmig?
Affentranger: Ja, auch bei uns wurde der GAV einstimmig angenommen.
Wie lange wurde verhandelt?
Eugster: Über eineinhalb Jahre.
Wellauer: Wir gingen mit klaren Vorgaben in die Verhandlungen: Es gibt nichts mehr – gar nichts mehr! Aus dieser Ausgangslage, die wir sogar schriftlich hatten, etwas zu machen, braucht es seine Zeit, um auch unsere Gremien zu überzeugen. Da bin ich jetzt ganz offen: Intern wurde auch die Situation eines vertragslosen Zustands diskutiert. Doch wenn das der Wille gewesen wäre, hätten wir damit die Branche wirklich nicht weitergebracht.
Hotz: Ohne GAV würden noch grössere Probleme auf uns zukommen.
Affentranger: Wir haben hart, aber fair miteinander geredet. Es gab keine ausfälligen Voten oder Angriffe unter der Gürtellinie. Das habe ich sehr geschätzt. Etwas vom Wichtigsten ist: Wir haben den GAV zusammen ausgehandelt, unterzeichnet und können ihn nun auch zusammen kommunizieren.
Wie geht es nun weiter? Wie sieht der Fahrplan aus?
Wellauer: Wir haben mit den Sozialpartnern zusammen versucht, ein Vertragsloch zu verhindern und haben deshalb gemeinsam beim Seco eine Verlängerung des bestehenden Vertrags eingegeben. Denn: Es könnte sein, dass wir im schlimmsten Fall bis Ende Jahr noch keinen Entscheid bezüglich einer Allgemeinverbindlicherklärung des neuen GAV haben. Unabhängig davon werden wir im Herbst regionale Info-Veranstaltungen organisieren.
Hotz: Unser Ziel ist es, dass der Vertrag am 1. Januar 2019 in Kraft treten kann. Das geschieht aber nur, wenn er vom Seco vorgängig allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Der Ball dafür liegt nun beim Seco.
Affentranger: Wenn das nicht klappt, haben wir mit der Verlängerung des GAV 2015 ein bestehendes Regelwerk. Besser wäre jedoch der neue. Den haben wir auf fünf Jahre abgeschlossen. Das bringt Ruhe.
Hotz: Genau. Die fünf Jahre geben etwas Luft. Wir müssen nicht nach zwei oder drei Jahren wieder mit neuen Forderungen an unsere Mitglieder treten.
Affentranger: Eine Lohnerhöhung von einem Prozent auf den 1. Januar 2020 ist inbegriffen.
Wellauer: Wir haben ein solides Vertragswerk und Gleichwertigkeit zum L-GAV des Gastgewerbes.
Hotz: Wenn die Allgemeinverbindlichkeit steht, übergeben wir den Vollzug in die Hände unserer paritätischen Kommission Bäcker-Confiseure (pkbc), welche die Einhaltung des GAV prüfen und durchsetzen wird.
(Interview Gabriel Tinguely, Claudia Vernocchi und Mario Gsell)