Was Ralf Weber in der Spitzengastronomie sah, war oft nicht spitze. Heute geht er seinen eigenen Weg.
«Da kam der Punkt, an dem ich mir sagte: Mir reicht’s mit der Sternegastronomie.» Erzählt Ralf Weber von der Zeit, in der er in Spitzenrestaurants arbeitete, wird er emotional. Erinnerungen, Momente, Begegnungen. Gute wie schlechte. Sie haben Ralf Weber zu dem gemacht, der er heute ist: Wirt und Küchenchef mitten in Zürich. Einer, der das Handwerk der französischen Küche bravourös beherrscht. Einer, der die Leidenschaft des ehrlichen Kochens täglich lebt. Einer, der sich für immer von den Punkten, Sternen und Gastroführern verabschiedet hat.
Immer wieder blitzt in seinem gemütlichen «Lotti» die Spitzengastronomie hervor. Bei den ausgewählten Ölen, beim kompromisslosen Hang zum perfekten Produkt, bei der Kartoffelterrine. Sie ist immer noch die gleiche, die er einst in Sternelokalen zubereitete. Die Kartoffeln lässt er durch die Schneidemaschine, taucht Dutzende Scheiben in flüssige Butter und bäckt sie gepresst. Serviert mit kühlem Hüttenkäse – ein herrliches, simples Gericht. «Früher schnitt ich die Terrine als Beilage in Würfel, heute stelle ich sie alleine auf einem Tellerchen in den Mittelpunkt.»
Wobei Mittelpunkt nicht ganz richtig ist. Wer bei Ralf Weber diniert, lässt sich am besten auf eine Tavolata ein. Geröstetes Markbein mit Brot und Meersalzflocken, Auberginentätschli, die es mit Omas Hacktätschli locker aufnehmen können, bio Black-Tiger-Crevetten vom Holzgrill mit Speckzwetschgen und Zwiebelchutney. Und wer Glück hat, kommt sogar in den Genuss der Steinpilze aus Solothurn. Der Trüffelhund des Nachbarn spürt die faustgrossen Pilze auf, die auf dem Grill das Buchenholzaroma annehmen. Ein Klecks Sauerrahm, zweimal an der Pfeffermühle gekurbelt – fertig ist die unwiderstehliche Umami-Bombe.
Auch beim Fleisch macht Ralf Weber keine Abstriche. Rind und Lamm stammen von Silvia und Reto Rust aus dem Toggenburg. «Bei ihnen wird dem Tier Sorge getragen», erklärt Weber. «Die Tiere sind aus nächster Umgebung. Die Familie schlachtet selber. Ich nehme nichts vom Schlachthof, das Rind muss älter als 18 Monate alt sein und darf nicht im Stall gelebt haben.»
Die Liebe zu Spitzenprodukten und die Kompromisslosigkeit wurde Ralf Weber in seinem Lehrbetrieb, Kolja Kleebergs Michelin-Lokal «Vau» in Berlin, eingeimpft. «Da hatten wir Baumnussöl aus Frankreich, Haselnussöl, fünf verschiedene Olivenöle.» Was Ralf Weber aber bei seinen weiteren Arbeitgebern in der vermeintlichen Spitzengastronomie erlebte, stuft er in die Kategorie «aussen hui, innen pfui» ein. Brüllende Küchenchefs, die den Druck an den Mitarbeitern abliessen. Weinkisten, die in den Kofferräumen der Restauranttester verschwanden. Edelste Gerichte, die mit Industrie-Essig und billigsten Gewürzen zubereitet wurden. Versnobte Gäste, die nachts um drei Uhr Rindsfilet-Tatar für den Hund bestellten. Ein Mindestgehalt, von dem für Kost und Logis so viel abgezogen wurde, dass ihm als Sous-chef in einem Schweizer Fünfsternehotel netto 2500 bis 3000 Franken Lohn blieben. «Als ich dann mitkriegte, wie eine Mitarbeiterin im Spa-Bereich von einer Frau geohrfeigt wurde, weil die Massage nicht gut gewesen sei, und sich daraufhin der Hoteldirektor beim Gast entschuldigte, wusste ich: Das war’s. Raus aus der Sternegastronomie.»
Über Umwege landete er in der Zürcher Wirtschaft Neumarkt. Sein erster Job als Küchenchef, ehrliche Schweizer Küche. Sechs Jahre arbeitete Ralf Weber im Betrieb des Weinfreaks René Zimmermann. Dessen Tochter Anna, die er einst nicht ausstehen konnte («Sie ging mir auf den Sender. Stand rum und wollte mir erklären, wie ein Bankett funktioniert.»), ist mittlerweile seine Geschäftspartnerin.
Als vor einem Jahr ein städtisches Lokal unweit des Hauptbahnhofs zur Pacht ausgeschrieben war, bewarben sich Ralf Weber und Anna Zimmermann und erhielten den Zuschlag. «Jetzt bin ich nicht mehr nur Küchenchef, sondern auch Wirt. Arbeite mehr, habe einen tieferen Lohn, trage mehr Verantwortung, bin an meinen Betrieb gebunden. Aber ich bereue den Schritt nicht. Es ist schön, mein eigener Chef zu sein.» Sechs Angestellte in der Küche, zwei Abwascher, fünf Service-Mitarbeiter, die eine oder andere Aushilfe. Die Tische beizte er selbst ab, schliff sie und polierte sie so lange mit Rosshaar, bis die Hände rot waren. Der Betrieb schreibt schwarze Zahlen. Ab nächstem Sommer will Ralf Weber einen Lernenden ausbilden: «Wir jammern alle über fehlenden Nachwuchs in der Küche, bilden aber selbst keinen aus – das geht nicht.»
In Sternelokale geht Ralf Weber heute viel bewusster. «Ich gehe nicht mehr wegen der Sterne hin, sondern weil ich hinter der Philosophie der Küche stehen kann. Ich gehe in Fabian Fuchs’ «Equitable» oder demnächst ins «Mesa» zu Sebastian Rösch. «Hätte ich in einem derartigen Betrieb gearbeitet, wäre ich heute vielleicht noch in der Sternegastronomie.» Ralf Weber sagt es ohne Wehmut. Er hat seinen Weg gefunden. Und der ist auch ohne Sterne spitze.
(Benny Epstein)
Ralf Weber erlebte in seiner Laufbahn Küchenchefs, die ihren Köchen Angst einflössten. Um selbst als Chef mit dem Druck und den Mitarbeitern besser umzugehen, nahm sich der Deutsche einen Coach. «Meine Köche sollen mit Freude in die Küche kommen. Nur so kann man kreativ arbeiten», erklärt Weber. «Als Chef musst du eine Respektsperson sein. Das heisst: respektiert werden, aber auch Respekt vorleben. Laut werde ich nur, wenn ich verarscht werde. Wird offensichtlich verbranntes Essen geschickt, hört es bei mir auf. Faulheit akzeptiere ich nicht. Ich falte den Koch dann aber nicht zusammen, sondern möchte, dass er selbst zur Erkenntnis kommt, dass er faul war. Das bringt viel mehr.»