Seit über 8000 Jahren prägen Olivenöle mit ihrem fruchtigen, pikanten Geschmack die mediterrane Küche. Auch in der Schweiz wird das Kulturgut täglich eingesetzt. Grund genug, sich das Produkt einmal genauer anzuschauen – von der Ernte bis zur erlesenen Delikatesse.
Wenn sich an Weihnachten die Familien treffen, kommen viele Hände zusammen. Früher halfen diese nicht nur bei der Zubereitung des Festessens. In Spanien wurden sie auch draussen bei der Olivenernte gebraucht. Denn die Lese und Verarbeitung der Ölfrüchte erfolgten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag.
In Spanien werden nach wie vor viele Oliven von Hand gepflückt oder mit Ruten von den Zweigen geschlagen. Selbst wenn Maschinen die Oliven von den Bäumen schütteln, braucht es fleissige Hände, die Netze unter die Bäume legen, Zweige entfernen und die Ölfrüchte in Transportbehälter füllen.
Dennoch unterscheidet sich die heutige Olivenölproduktion von der früheren. Kaum ein Esel zieht noch Steine, unter deren Gewicht die Oliven zu Brei gewalzt wurden. Die mächtigen Baumpressen sind in Museen ausgestellte Zeugen längst vergangener Tage. Genauso wie die Terracotta-Amphoren, in denen das Olivenöl lagerte. Zeitgemäss kommen chromglänzende und effiziente Zentrifugen zum Einsatz. Eine trennt das Öl vom Trester, eine zweite scheidet das Wasser aus. Die geernteten Oliven werden innerhalb von 24 Stunden verarbeitet. Das hat eine positive Auswirkung auf die Qualität des Öls.
Nebst besserer Qualität dank moderner Technik beeinflusst der Erntezeitpunkt den Geschmack des Öls. Auf Castillo De Canena beispielsweise beginnt die Ernte bereits Mitte Oktober. Zum Gutsbetrieb in Baeza in der Region Jaén gehören 5000 Hektaren Olivenwälder, wie die Kulturen genannt werden. Der familiengeführte Betrieb zählt damit zu den grössten der Welt. «Wenn die Oliven noch knapp reif sind, ergeben sie ein fruchtiges, mitunter grasiges und pikantes Öl», sagt Exportmanagerin Isabel Alameda Olivares. Das schätzen die Spitzenköche Spaniens genauso wie die Chefs der besten Restaurants rund um den Globus. «Japan ist ein wichtiger Exportmarkt. Denn unsere ‹virgen extra›-Olivenöle sind eine ideale Zutat für die leichte Küche», erklärt Isabel Alameda Olivares. «Das volle Aroma der sortenreinen Öle aus Arbequina- oder Picual-Oliven entfaltet sich am besten, wenn dieses am Schluss über ein Gericht geträufelt wird.» Zum Braten und Frittieren eignen sich Qualitäten der dritten Stufe (siehe Box ganz rechts). Denn Olivenöl hat einen hohen Rauchpunkt, der bei 220 Grad Celsius liegt.
Im Oktober grün geerntete Oliven enthalten acht bis zehn Prozent Öl. Seine Farbe ist grasig grün und stammt vom Chlorophyll in der Schale der Oliven. Öl aus im November geernteten Oliven schimmert olivgrün. Im Dezember oder Januar reif geerntete Oliven haben eine violette bis schwarze Schale und ergeben eine Ausbeute von 25 Prozent Öl. Dieses leuchtet aufgrund des Carotins in der Schale goldgelb. Ab Mitte Januar bietet Castillo de Canena eine horizontale Geschmacksprobe an: je ein Arbequina-Olivenöl virgen extra aus der Oktober-, November- und Dezemberernte.
Mit der Tradition zu brechen und die Olivenbauern zu einer früheren Ernte zu bewegen, war nicht einfach. «Für die Oktoberernte bezahlen wir die höchsten Preise und erhalten dafür die kleinste Ausbeute», sagt Juan Antonio Parrilla González, Direktor von Picualia. Sein Unternehmen entstand aus der Fusion zweier Genossenschaften und betreibt die weltweit modernste «Ölmühle».
Noch ein Wort zur Qualität: Trübe Öle sind nicht besser als klare. Im Gegenteil. Tresterteilchen und Wasser können den Geschmack beeinträchtigen. Bestes Olivenöl sollte innerhalb eines Jahres verbraucht werden. Auch hat die Farbe grundsätzlich keinen Einfluss auf die Qualität des Öls. Deshalb erfolgen sensorische Prüfungen stets in blauen oder roten Gläsern. Gut zu wissen: Seit 1934 wird jede für den Export bestimmte Charge Olivenöl vom offiziellen spanischen Inspektionsdienst Soivre chemisch und sensorisch geprüft und freigegeben. Soivre-Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun. Denn die Hälfte des weltweit verkauften Olivenöls stammt aus Spanien.
«Den Unterschied zwischen frisch gepresstem Organgensaft und Fanta kennt in Spanien jeder. Kaum jemand weiss hingegen, wie sich Olivenöl extra virgen von einfachem Olivenöl unterscheidet», enerviert sich Isabel Alameda Olivares. «Wir produzieren beste sortenreine Olivenöle. Darauf dürfen wir stolz sein. Unsere Arbeit soll sich für uns auch auszahlen.»
Genau das sagt auch Teresa Pérez Millán. «In Spanien haben wir 30 verschiedene geschützte Ursprungsbezeichnungen (AOP) für Olivenöl. Trotzdem verkaufen spanische Produzenten bestes Olivenöl tankweise und zu günstigsten Preisen nach Italien, dem grössten Abfüller und Händler von Olivenöl. Italienische Marken machen dann mit unserem Öl das grosse Geld», ergänzt die Direktorin des Branchenverbands der spanischen Olivenölproduzenten und liefert eindrückliche Zahlen. Aus der Ernte 2018/19 wurden 3,131 Millionen Tonnen Olivenöl produziert – 1,787 Millionen Tonnen allein in Spanien. Italien als zweitgrösster Olivenölproduzent kam derweil auf nur 205 Tausend Tonnen, ähnlich viel wie Marokko mit 200 Tausend Tonnen. «Mehr als die Hälfte aller Olivenöle wird also in Spanien produziert», so Teresa Pérez Millán.
Und gleich noch ein paar weitere Zahlen und Fakten: Rund 1000 Oliven braucht es für einen Liter Öl. Olivenöl hat einen Anteil von 1,53 Prozent an der gesamten Pflanzenölproduktion. In der Schweiz konsumieren wir ein Prozent der weltweiten Olivenölproduktion – häufig in Form banaler Mischungen. «Extra vergine» einer bekannten Marke klingt vertrauenswürdig. Kaum jemand liest jedoch das Kleingedruckte. Dort steht nämlich nicht nur «produziert in Italien». Die Deklaration «miscela di oli comunitari» verrät, dass Öle aus mehreren europäischen Ländern gemischt wurden und «miscela di oli comunitari e non comunitari» sagt, dass Olivenöle aus allen Produktionsländern enthalten sein können.
Weltweit gibt es rund 2500 Olivensorten. 150 davon gedeihen im Sortengarten der Hacienda Guzmán in der Nähe von Sevilla, die nur sortenreine Öle anbietet. Jede Region hat ihre Spezialitäten. In Spanien dominieren die Sorten Picual, Hojiblanca, Arbequina und Cornicabra. «Arbequina ergibt milde, an Banane und Zitrusfrüchte erinnernde Öle», sagt Irene Trujillo, Marketing Manager der Hacienda Guzmán. «Hojiblanca-Öle sind würzig mit Noten von grünen Tomaten und Artischocken. Manzanilla, eigentlich eine Tafelolive, ergibt pikante Öle, die nach frisch geschnittenem Gras duften.»
Picual ist die Sorte mit dem höchsten Gehalt an Polyphenolen und Antioxidantien. Daraus gepresste Öle schmecken für ungeübte Gaumen grün, bitter und pikant. Sie gelten als die gesündesten Olivenöle und begleiten die Spanier durch den ganzen Tag. So beginnt das klassische Frühstück mit Orangensaft sowie Brot mit Olivenöl und gehackten Tomaten. Erst später folgt ein Espresso.
Positiv ist die aktuelle Entwicklung in der spanischen Olivenölindustrie auch für die Natur. So ist der Bioanteil in den vergangenen Jahren auf 26 Prozent angestiegen. Die Bauern halten Schafe, die das Gras um die Bäume kurz fressen. Schädlinge werden mit Lockstoffen verwirrt, so dass die Männchen die Weibchen nicht mehr finden und es keine Vermehrung gibt. Auch hat die Produktion von Olivenöl in Bezug auf den Klimawandel einen weiteren vorteilhaften Aspekt: Umgerechnet auf einen Liter Öl binden Olivenbäume bis zu zehn Liter CO2.
Der Klimawandel mit langen Trockenphasen macht den Olivenbäumen aber auch zu schaffen. Da die Wurzeln nicht sehr tief in die Erde dringen, kann es zu Trockenstress kommen. Dabei steigt der Anteil der eigentlich gesunden Polyphenole und Antioxidantien. Damit das Öl aber nicht zu bitter und scharf, sondern auch fruchtig schmeckt, werden heute immer mehr Olivenbäume über ein unterirdisches Tropfsystem bewässert. Mit dem Regenwasser, das in künstlich angelegten Teichen gesammelt wird, können die Bauern die Qualität ihrer Oliven beeinflussen – vollautomatisch von Messstationen gesteuert.
Olivenbäume sind äusserst genügsam. Seit über 8000 Jahren gehegt, gehören sie zu den ältesten Kulturpflanzen. Einige Olivenbäume sind über 1500 Jahre alt, was keinen Einfluss auf die Quantität und die Qualität der Oliven hat. Wichtig ist nur, dass sie regelmässig geschnitten werden. Auch da ist wiederum viel Handarbeit gefragt.
(Gabriel Tinguely)
Castillo de Canena
Sortenreine Extra-virgin-Olivenöle, auch in Bioqualität, von Castillo de Canena sind bei Hugo Dubno erhältlich. www.dubno.ch
Hacienda Guzmán
Die biozertifizierten, sortenreinen Extra-virgin-Olivenöle der Hacienda Guzmán sind bei Premium Food erhältlich. www.premiumfoods.ch
Mehr Informationen unter:
www.aceitesdeolivadeespana.com
Extra virgen/virgin/vergine
Der deutsche Begriff für das spanische «virgen extra», das englische «extra virgin» oder das italienische «extra vergine» lautet «natives Olivenöl extra». Diese höchste Qualitätsstufe wird direkt aus Oliven, ausschliesslich mit mechanischen Verfahren und ohne Wärmeeinwirkung gewonnen. Das Öl darf nicht mehr als 0,8 Prozent Ölsäure enthalten. Bei der sensorischen Prüfung liegt die Fehlertoleranz bei null Punkten. Zahlreiche weitere vom IOC definierte Grenzwerte müssen eingehalten werden.
Virgen/virgin/vergine
Für natives Olivenöl oder eben «virgen» gilt die gleiche Gewinnungsart wie für «virgen extra». Der Ölsäuregehalt darf zwei Prozent nicht übersteigen. Die Fehlertoleranz bei der sensorischen Prüfung liegt bei 3,5 Punkten. Kaltgepresstes Olivenöl mit mehr als zwei Prozent Säure wird als «Lampantöl» bezeichnet und wurde früher als Brennstoff für Lampen und Beleuchtung verwendet. Raffiniert gilt es als Olivenöl.
Olive Oil/Olivenöl
Olivenöl ist eine Mischung von raffiniertem Olivenöl und nativen Olivenölen. Es enthält weniger als ein Prozent Ölsäure und unterliegt keiner sensorischen Prüfung. «Olive pomace» ist die Bezeichnung für Tresteröl, das durch die Behandlung von Oliventrester mit Lösungsmitteln gewonnen wird. Es ist zur Raffination für den menschlichen Verzehr oder für technische Zwecke bestimmt.