Die meisten Weinkarten könnten optimiert werden. Wer «trinkige» Weine anbietet, wird mehr verkaufen.
Stephan Radloff, Sie sind Direktor von Baur au Lac Vins in Regensdorf/ZH. Was ist für Sie ein «trinkiger» Wein?
StephanRadloff: Ein Wein, den ich als «trinkig» empfinde, hat Frische, viel Frucht und ist saftig im Gaumen. Ich mag ihn solo oder als Begleiter zu feinen Speisen. Gute Beispiele sind Grüner Veltliner Langenlois von Schloss Gobelsburg, Barbera La Tota von Marchesi Alfieri oder Pinot Noir Cuvée du Noir 1844 von Lenz.
Für alle, die sich mit Wein auseinandersetzen, spielen Frische und Saftigkeit eine Rolle. Die breite Bevölkerung bevorzugt Kraft und Süsse.
Leider. Die Tendenz hin zu Süsse im Wein bereitet mir als Weinhändler Sorgen. Bei opulenten, fülligen Weinen endet der Konsum nach zwei Gläsern. Das belegen die Statistiken: Weltweit ist der Weinkonsum rückläufig. Trotzdem wird Wein mit Süsseschliff im Stil eines Primitivo den Händlern aus den Händen gerissen.
Auf der Hitliste der meistverkauften Weine belegen solche gefälligen Gewächse die vordersten Ränge. Welches sind die «Top Ten» bei Baur au Lac Vins?
Unter den zehn meistverkauften Weinen stehen auf unserer Hitliste fünf Schaumweine – ein Prosecco und vier Champagner. Bei den Rotweinen ist der Figuero 12 ein Renner. Er ist kein einfacher Wein, gefällt jedoch dem breiten Publikum und befriedigt auch anspruchsvolle Weintrinker. Da muss sich ein Gastronom dumm anstellen, wenn das nicht passt.
Harte Worte aus Ihrem Mund.
Ja, aber leider eine Tatsache. Seit 175 Jahren ist Baur au Lac Vins im Weingeschäft. Da ist einiges an Erfahrung zusammengekommen. Auch beobachten wir die Gastroszene genau und sehen, dass in Bezug auf Wein fast alle Betriebe Optimierungspotenzial haben. Aus dem Bedürfnis unserer Kunden entstand dann auch ein Weinmarketingkonzept. Heute verkaufen wir Lösungen, nicht nur Wein.
Wie sieht so ein Konzept aus?
Ein allgemeingültiges Konzept gibt es nicht. Wir beginnen jeweils mit Fragen zum Weinumsatz, den daraus resultierenden Margen sowie dem Gästefeedback. Auch interessiert uns das Verhältnis des Weinumsatzes zum restlichen F&B-Umsatz, also Küche, Mineralwasser und Süssgetränke sowie Bier und Spirituosen. Ein Weinanteil von zehn Prozent ist tief. Bei einer Zusammenarbeit mit Baur au Lac Vins streben wir die 20-Prozent-Marke an.
Das klingt gar einfach?
Zugegeben, dahinter steckt viel Arbeit. Auf ein Grobkonzept, das wir mit der jeweiligen Geschäftsleitung besprechen, erstellen wir ein Detailkonzept mit allen Disziplinen wie Angebotsgestaltung, Preisgestaltung, Kommunikation und Logistik. Bei 3000 Lagerpositionen können wir aus dem Vollen schöpfen. Im Bereich Kommunikation sind Mitarbeiterschulungen wie auch die Weinkartengestaltung zentrale Bestandteile. Hinter jedem unserer Weine stehen Menschen mit spannenden Geschichten. Wer diese mit Leidenschaft den Gästen vermitteln kann, der hat gewonnen. Alles Weitere ist ein rollender Prozess auf der Basis einer langjährigen Zusammenarbeit.
Wo liegt der Haken?
Am meisten zu schaffen macht uns die hohe Fluktuation der Ansprechpartner in den Gastbetrieben. Viele haben neue und durchaus gute Ideen. Bis sie jedoch die «Kellerleichen» der Vorgänger verkauft haben und ein durchdachtes Konzept einführen könnten, haben sie ihre Stelle bereits wieder gewechselt. In Gastbetrieben, die mit Baur au Lac Vins zusammenarbeiten, hat der Wechsel eines Sommeliers einen geringeren Einfluss auf die Bewirtschaftung des Weinkellers.
Reden wir über Baur au Lac Vins. 175 Jahre sind eine lange Zeit. Was hat sich verändert?
Aus einem handgeschriebenen Kellerbuch im Taschenkalenderformat geht hervor, dass das Hotel Baur au Lac zu den ersten Häusern zählte, die auf dem Platz Zürich Bordeaux-Weine anboten. Zudem wurden Weine aus dem Burgund und verschiedenen anderen Weinbauregionen in Fässern importiert, im Hotelkeller gelagert und dann in Flaschen abgefüllt. Heute importieren wir ausschliesslich Flaschenweine.
Welche Herausforderungen bringt die Zukunft mit sich?
Wir bewegen uns im Premium-Weinhandel und sind breit abgestützt. Wir beliefern die Gastronomie, ausgewählte Fachhändler und in unseren Boutiquen auch Private. Doch mit dem sinkenden Weinkonsum – einzig der Konsum von Schaumwein steigt – wird der Kampf um Marktanteile immer härter. Als Vermittler zwischen Winzer und Weinfreund haben wir uns ein zweites Standbein im Wachstumsmarkt Asien aufgebaut.
(Interview Gabriel Tinguely)
Stephan Radloff, 53, hat sich als 12-Jähriger auf einem Familienausflug ins Elsass mit dem Weinvirus angesteckt. Mit 14, als seine Kollegen Töffli kauften, begann er, in Wein zu investieren. Es folgten Ausbildungen zum Önologen und Kaufmann im Weinbereich. Stephan Radloff arbeitet sei 1996 bei Baur au Lac Vins.