Er hat zwar nicht als Tellerwäscher begonnen, aber Andrés Calvo legte dennoch eine bemerkenswerte Karriere hin.
Es gab eine Zeit – die ist noch gar nicht so lange her –, da durften selbst EU-Bürger nicht einfach so zum Arbeiten in die Schweiz kommen. Bis 2002 war die Anzahl Arbeitsstellen für ausländische Kräfte kontingentiert. «Eine Arbeitsbewilligung gab es nur, wenn man einen Arbeitsvertrag vorlegen konnte. Diesen wiederum bekam man erst, wenn man die Bewilligung hatte», erinnert sich Andrés Calvo. Der Spanier kam als 22-Jähriger in die Schweiz, wo sein Cousin bereits bei einem Bauunternehmer arbeitete.
Der Bauunternehmer hatte sich ein Kontingent von Arbeitsbewilligungen sichern können und suchte nun Arbeitskräfte. «Als mein Cousin anrief und sagte ‹Komm in die Schweiz, wir haben eine Arbeitsbewilligung für dich›, zögerte ich keinen Moment. Dabei habe ich als Handwerker zwei linke Hände und konnte kein Wort Deutsch sprechen. Das war 1988», sagt Calvo.
Zwei Jahre lang spielte er in Oftringen auf dem Bau den «Gango». Er schaufelte Kies, schob Karretten, reichte Facharbeitern das Werkzeug. «Gewohnt habe ich zusammen mit den anderen Gastarbeitern in einer Baubaracken-Siedlung.»
Die Post der Gastarbeiter wurde an die Baufirma geschickt und von dort an sie verteilt. «Dem Chef fiel auf, dass ich viele Briefe bekam. Darunter Rechnungen der Migros- Klubschule, weil ich Sprachkurse besuchte», erzählt Calvo in perfektem Deutsch mit charmantem spanischem Zungenschlag.
Dem Bauunternehmer gefiel der strebsame junge Handlanger. Er bot ihm eine Lehrstelle auf dem Bau an. Doch Andrés Calvo lehnte dankend ab. Sein Herz schlage für das Gastgewerbe und sobald er besser Deutsch spreche, wolle er sein Glück in dieser Branche versuchen. Zumal er in Spanien schon gekellnert habe.
«Ein anderer Chef wäre gekränkt gewesen, er aber hatte Verständnis.» Andrés Calvo bekam eine Stelle im Hotel Du Lac in Interlaken. «Ich hatte immer das Glück, Menschen zu treffen, die mich unterstützten.»
Einer dieser Menschen war Kurt Imhof, damals Direktor der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern SHL. «Ich war sehr lernfreudig und wollte unbedingt eine Hotelfachschule besuchen. Doch mein Deutsch war dazu noch zu schlecht.» Beim ersten Gespräch mit dem Hotelschuldirektor verstand Andrés Calvo bloss, dass er bald an der SHL anfangen könne, allerdings nicht als Student.
Kurt Imhof bot ihm eine Stelle im Housekeeping an. So konnte Calvo die SHL kennenlernen, Geld verdienen und Deutsch lernen. «Ich glaube, Herr Imhof wollte mich und meine Fortschritte im Auge behalten», schmunzelt der ehemalige SHL-Hausmeister-Assistent. Vor dem Stellenantritt verbrachte der Spanier noch einen sechsmonatigen Sprachaufenthalt in Berlin.
Insgesamt eineinhalb Jahre lang putzte Calvo die Schulräume, wechselte Glühbirnen und staubsaugte die Gänge, bevor er 1992 endlich selber als Student an der SHL angenommen wurde.
«Die ersten Semester gingen gut. Das praktische Arbeiten lag mir. Aber im vierten Semester war ich sprachlich überfordert», erinnert er sich. Er habe nur noch gelernt und gearbeitet und sei physisch an seine Grenzen gekommen. Kurt Imhof verordnete ihm eine Lernpause. Er solle mal ins Kino gehen, Freunde treffen oder einfach ausspannen. «Das hat geholfen und das letzte Semester ging mir lockerer von der Hand.»
Kurz vor der Diplomfeier rief der Hotelfachschuldirektor den spanischen Studenten erneut zu sich. Ihm war aufgefallen, dass Calvo keinen Gast zu seiner Diplomfeier angemeldet hatte. Seine Eltern konnten sich die Reise in die Schweiz nicht leisten.
Kurt Imhof nahm das zur Kenntnis und sorgte für eine Überraschung, die dem Spanier noch heute Freudentränen in die Augen treibt. «Ich werde nie vergessen, was das für ein Gefühl war, als mir an der Diplomfeier plötzlich meine Eltern gegenüberstanden», sagt Andrés Calvo. Für seine Mutter war es die erste Reise ihres Lebens. Für den Sohn das erste Mal, dass er den Stolz seiner Eltern so intensiv spürte.
Inzwischen ist Andrés Calvo in der Schweiz verwurzelt. Beinahe hätte er im Tessin ein Hotel gepachtet, doch das scheiterte an unrealistischen Bedingungen der Besitzer. Der Traum vom eigenen Hotel ist zwar nicht ganz ausgeträumt, doch im Hotel Wilden Mann in Luzern hat er 2008 sein berufliches Zuhause gefunden.
Das Arbeiten in Küche und Service macht dem Leiter Sales & Marketing, der gleichzeitig auch Vizedirektor ist, noch immer grossen Spass. Er springt daher gerne ein, wenn Not am Mann ist – beim Rüsten wie beim Abräumen. Andrés Calvo grinst verschmitzt: «Ich bin noch immer ein guter Handlanger.»
(Riccarda Frei)
Andrés Calvo wurde 1966 in einem nordspanischen Dorf in der Nähe von Santiago de Compostela geboren. Im Alter von 22 Jahren kam er als Gastarbeiter in die Schweiz. Nach dem Abschluss der Hotelfachschule arbeitete er in Kaderpositionen in verschiedenen Schweizer Hotels. Andrés Calvo ist seit über 25 Jahren Mitglied des Berufsverbands Hotel Administration Management bvham.