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«Craftbier fehlt in der Top-Gastronomie»

Trotz Craftbiertrend: Das Bierangebot in der Gastronomie ist beinahe unverändert. Im Sinne des Gastes ist dies nicht, sagt Martin Wartmann von der Klosterbrauerei Fischingen/TG.

Die Idee, im Kloster Fischingen eine Brauerei zu eröffnen, kam Martin Wartmann während einer Zen-Meditation vor Ort. Mehr zur Brauerei gibt es auf HG+. (ZVG)

Martin Wartmann, in der hiesigen Gastronomie ist Craftbier häufig eine Randerscheinung. Warum ist das so?
Martin
Wartmann: In der Schweiz leiden wir nach wie vor unter 50 Jahren Bierkartell. Bier war in der oberen Preisklasse jahrelang kein Thema. Zudem fehlen Bierkenntnisse bei vielen älteren Gästen, ebenso bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und es gibt noch ein weiteres Problem.

Welches? 
Weil handwerklich gebrautes Spezialitätenbier in der klassischen Gastronomie nur am Rande vorkommt, fragen die Gäste gar nicht erst danach. Auch nicht die jüngeren, bereisten und neugierigen Gäste. Jene also, die sich mit den Bierstilen auskennen und noch so gerne ein teureres Craftbier trinken würden. 

«Die Kalkulation von Craftbieren darf nicht mit der Faktorrechnung gemacht werden.»
 

Vielen Betrieben fehlt der Mut, das Biersortiment zu erweitern, weil sie Angst vor Verlusten haben. Begründet? 
Es hat nicht nur mit fehlendem Mut zu tun. Vielen fehlt es schlicht an Ausbildung und Orientierung. 

Inwiefern? 
Sie wissen nicht, wo sie ansetzen sollen. Nehmen wir zum Beispiel die Strategie einiger F&B-Manager. Sie versuchen, mit möglichst vielen verschiedenen Bieren alles abzudecken. Das führt jedoch nicht zu mehr Umsatz, sondern zu aufgeblasenen Angeboten und Verlusten. Besonders dann, wenn sie zusätzlich die Preise falsch kalkulieren. 

Wie sollten diese Ihrer Ansicht nach kalkuliert werden? 
Craftbiere sind aufgrund der Herstellung und der komplizierten Logistik im Einkauf doppelt so teuer wie Industriebiere. Berechnet man deren Verkaufspreise mit derselben Faktorrechnung, entstehen Mondpreise, die letztlich niemand mehr bezahlt. Eine Möglichkeit wäre es, sich stattdessen am Preismodell der Amerikaner zu orientieren. 

Wie sieht dieses Modell aus? 
Die Amerikaner rechnen Bier mit einem Deckungsbeitrag plus Zuschlag. Sie nehmen also die Basismarge des Standardbiers und schlagen den Einkaufspreis der Spezialität drauf. So entstehen Preise, die wirtschaftlich sind und die der Gast auch zu bezahlen bereit ist. Es braucht eine gute Balance zwischen Industriebieren und Craftbieren. 

Also bleibt die «Stange hell» den Gästen erhalten?
Ja, bleibt sie. Denn beim Sortimentsaufbau geht es nicht darum, die Umsatzträger zu ersetzen. 

«Die stereotype Bestellung ‹eine Stange› wird durchbrochen.»
 

Sondern darum, dem Gast mit wenigen, aber dafür aufs Sortiment und aufs Haus abgestimmten Spezialitäten die eigene Kompetenz zu zeigen. Im Offenausschank beispielsweise sollte man keinesfalls billiges Lagerbier anbieten, sondern eine leichte Spezialität. 

Was meinen Sie damit genau? 
Ich spreche von einem Bier, das vielen Gästen schmeckt und das aufgrund der Markenstärke höhere Verkaufspreise und bessere Margen ermöglicht. Diesen «Anker» im Offenausschank ergänzt man preislich nach oben mit drei, vier Flaschenbieren, die sich geschmacklich differenzieren. 

Warum sollte man für den «Anker» nicht das Bier nehmen, das alle kennen?
Erst mit dem besonderen Bier am Hahn durchbricht man die stereotype Bestellung «eine Stange». Die zwingende Rückfrage der Mitarbeitenden «Wir haben XY im Ausschank, ist das in Ordnung? Oder möchten Sie lieber Craftbier?», führt direkt zum erfolgversprechenden Verkaufsgespräch. 

Fachkompetenz vorausgesetzt. 
Exakt. Um diese zusätzlich zu unterstreichen, und um das Preisband zu erweitern, lohnt es sich zudem, an die Spitze des Angebotes ein oder zwei exklusive, lang haltbare Biere zu setzen. Hier zögern jedoch die meisten Chefs. 

Weshalb? 
Weil sie sich ein solches Bier selbst nicht kaufen würden, können sie sich gar nicht vorstellen, dass es Gäste gibt, die für eine Flasche Bier 20.30 Franken oder gar noch mehr bezahlen würden. Dabei erregen genau diese Biere die Aufmerksamkeit und das Interesse der Gäste.

(Interview Désirée Klarer)


Zur Person

Seit über 30 Jahren befasst sich Martin Wartmann mit der Materie Bier. Er ist Brauer in vierter Generation, Inhaber der Actienbrauerei und VR-Mitglied der Brauhaus Sternen AG. Zudem zeichnet er unter anderem für das Ittinger Klosterbräu und die einstige Gastrokette Back und Brau verantwortlich. 2015 eröffnete er in Fischingen/TG die erste und einzige Klosterbrauerei der Schweiz. Hier braut er vornehmlich hochprozentige Gourmetbiere alter Tradition.  

Mehr Informationen unter:
www.pilgrim.ch
www.actienbrauerei.ch